Ziviles Peacekeeping

Menschen vor Gewalt schützen – nicht bombardieren

von Christine Schweitzer

Heute ist sie fast vergessen: Unter der Drohung einer Intervention der NATO in den Kosovo im Herbst 1998 stimmte die jugoslawische Regierung unter Milosevic Ende Oktober 1998 der Stationierung einer OSZE-Mission zu. Unbewaffnete OSZE-MitarbeiterInnen waren für sie akzeptabel, bewaffnete UN-Blauhelme nicht. Es handelte sich um die erste Mission im OSZE-Raum, die das praktizierte, was wir heute als „Ziviles Peacekeeping“ bezeichnen. Die Entsendung der „Kosovo Verification Mission“ (KVM) begann im November 1998. Doch bevor sie am 20. März 1999 nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen in Rambouillet wieder abgezogen wurde und die NATO ihre Bombardierungen begann, hatte sie nur rund 75 Prozent der angestrebten 2.000 VerfikateurInnen erreicht. Die OSZE-Mitgliedsstaaten hielten damals einfach nicht genügend qualifiziertes Personal bereit.

Das Mandat der KVM war gewesen, eine permanente Präsenz im gesamten Kosovo aufzubauen, den Waffenstillstand zwischen den serbischen Sicherheitskräften und der aufständischen Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) zu überwachen, der zwischen den USA und der Republik Jugoslawien vereinbart worden war, Verletzungen dieses Waffenstillstands zu melden, die Grenzen zu überwachen und zusammen mit dem Roten Kreuz und dem UNHCR die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen. Auch eine Wahlbeobachtung im Kosovo wurde angedacht. Die VerifikateurInnen errichteten ständige Posten in Krisengebieten, besuchten Orten, wo von Kämpfen berichtet wurde, beobachteten verschiedene Gerichtsprozesse, inspizierten den Rückzug schwerer Waffen, begleiteten serbische Polizei und ErmittlerInnen in Orte, die von der UCK kontrolliert wurden und versuchten, aktiv einzugreifen, wo es zu Gewalt kam.

Die Bewertung der KVM ist umstritten. Auf der einen Seite konnten die VerfikateurInnen die Gewalt nicht völlig verhindern, und auch die OSZE-Mission selbst wurde zunehmend zum Opfer von Übergriffen. Auch war das Abkommen, das zur Stationierung der KVM führte, von Anfang an mit Fehlern belastet. Es war ein Abkommen, das die Kosovo-albanische Seite nicht als Vertragspartei einschloss, die sich deshalb auch nicht daran gebunden fühlte. Die UCK nutzte den Waffenstillstand, um sich zu regruppieren. Zudem war eine internationale Militärintervention Teil der Strategie der Aufständischen. Man glaubte, auch schon zu Zeiten des gewaltfreien Widerstands zwischen 1989 und ca. 1997, die Unabhängigkeit von Serbien nicht aus eigenen Kräften erreichen zu können, sondern nur mithilfe internationalen bewaffneten Eingreifens. Dies zu provozieren, lag dann nahe und ist sicher auch einer der Faktoren, die zum Scheitern von Rambouillet beitrugen. Zumal die NATO nur allzu bereit zu einem militärischen Eingreifen war und dann wohl auch die KVM missbrauchte, militärische Erkenntnisse über die Verhältnisse zu erlangen.

Auf der anderen Seite gelang es der KVM unzweifelhaft, trotz dieser Probleme Gewalt zu reduzieren, indem sie mit beiden Seiten sprach. Ihr gelang es, lokalisierte Gewaltausbrüche einzudämmen. Auch spielte zumindest anfänglich die Tatsache ihrer Präsenz als solche eine Rolle dabei, Konflikte zu verhindern. Sowohl die serbischen wie die gemäßigten Kommandeure der UCK waren bereit, den Kampf einzustellen, was eine Chance zur Stabilisierung der Situation bot. Flüchtlinge und Vertriebene kehrten in größeren Zahlen zurück. Selbst im Januar-Februar 1999, als die Spannungen wieder stiegen, hatte das Eintreffen von Personal der KVM an Spannungspunkten gewöhnlich eine deeskalierende Wirkung, wie aus den damals veröffentlichten täglichen Berichten hervorging. (1)

Ziviles Peacekeeping
Eine wesentlich eindeutigere Erfolgsbilanz weisen Nichtregierungsorganisationen (NROs) im Bereich des Zivilen Peacekeepings auf. (2) Unter Zivilem Peacekeeping wird ein Ansatz verstanden, Menschen vor Gewalt in Konfliktsituationen zu schützen, indem eine längerfristige Präsenz unbewaffneter ausgebildeter Friedensfachkräfte vor Ort aufgebaut wird. Anders als z.B. beim Zivilen Friedensdienst geht es beim Zivilen Peacekeeping ausschließlich um den direkten Schutz vor Gewalt, nicht um Versöhnungsarbeit oder andere Bereiche der Friedenskonsolidierung. Trotzdem verbindet auch Ziviles Peacekeeping Aktivitäten, die direkt der Gewaltprävention dienen, mit solchen, bei denen es darum geht, Konfliktparteien zusammenzubringen und die Fähigkeiten lokaler Gemeinschaften zu stärken, Gewalt-Eskalationen zu widerstehen. So beteiligen sich die Zivilen PeacekeeperInnen aktiv am Aufbau und der Stärkung von lokalen Systemen der Frühwarnung und frühen Handelns. Besondere Schwerpunkte der Arbeit sind der Schutz von besonders bedrohten Gruppen und Gemeinschaften, wie z.B. Vertriebenen oder ethnischen Minderheiten, politisch Verfolgten oder generell der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten.

Die Wurzeln Zivilen Peacekeepings gehen mindestens 80 Jahre zurück in die Zeit des indischen Unabhängigkeitskampfes, als Gandhi den Vorschlag einer „Friedensarmee“ entwickelte. Seither ist es von vielen NROs weiterentwickelt worden, darunter Peace Brigades International (PBI) und Nonviolent Peaceforce (NP). Seit fast fünfzehn Jahren setzt Nonviolent Peaceforce das Zivile Peacekeeping erfolgreich in Bürgerkriegsgebieten, u.a. auf den Philippinen und im Südsudan, ein.

Ohne Waffen, aber nicht wehrlos
Ziviles Peacekeeping funktioniert dann, wenn es den PeacekeeperInnen gelingt, vertrauensvolle Beziehungen zu allen Konfliktparteien und zu den Menschen vor Ort aufzubauen. Vorbedingung dafür sind Überparteilichkeit und Unabhängigkeit von staatlichen oder anderen Partikularinteressen, seien diese ökonomischer, missionarischer oder politischer Art. Außerdem riskiert der potentielle Angreifer, dass die internationalen Zivilen PeacekeeperInnen die Untat weltweit bekannt machen, was Regierungen wie aufständische Gruppen in aller Regel fürchten.

Zivile Peacekeeperinnen und Peacekeeper haben keine Waffen zu ihrem Schutz. Viele Menschen finden es deshalb schwer zu verstehen, was sie in einem gewaltsamen Umfeld erreichen können, da sie daran gewöhnt sind, zu denken, dass Gewalt die einzige Quelle von Schutz sei. Es ist wahr, dass unbewaffnete Zivilistinnen und Zivilisten keine Mittel haben, etwas direkt zu erzwingen – sie können Angreifer nicht töten oder durch Schüsse stoppen. Aber sie können trotzdem etwas bewirken, wie das folgende Beispiel aus der Arbeit von Nonviolent Peaceforce illustriert:

Vor einem Jahr in April befanden sich zwei Mitarbeiter von NP in Bor, einem Gebiet im Südsudan, wo Tausende von Menschen zusammengekommen waren. An einem Nachmittag im April waren sie dort mit 14 Frauen und Kindern, als das Lager von bewaffneten Milizen angegriffen wurde. Den Menschen wurde aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Andreas und Derek nahmen die 14 Frauen und Kinder mit in eine Hütte und stellten sich an den Türeingang. Dreimal kamen junge Männer mit fabrikneuen Waffen an, sagten „Ihr müsst gehen. Wir wollen diese Menschen“, und schrien sie an. Dreimal hielten Derek und Andreas ihre Nonviolent Peaceforce Identitätsabzeichen hoch und sagten: „Wir sind unbewaffnet. Wir sind hier, um die Zivilbevölkerung zu beschützen und wir werden nicht gehen“. Alle drei Male gingen die Milizangehörigen weg, und die Menschen waren sicher. Zu Vergleichszwecken: Es gab dort auch ein Bataillon von UN-PeacekeeperInnen aus Indien. Während der 20 Minuten, in denen 56 Menschen erschossen wurden, telefonierten sie mit Delhi, um Instruktionen zu erhalten, wie sie vorgehen sollten.

Es braucht mehr politische Anerkennung
Ziviles Peacekeeping ist ein Instrument, das als eigenständiges Instrument bislang nur wenig internationale Bekanntheit gewonnen hat, auch wenn es in den letzten Monaten in gleich zwei Berichten der Vereinten Nationen Erwähnung fand. (3) Viele Beispiele aus der praktischen Arbeit zeigen, wie zivile PeacekeeperInnen durch Verhandlungen, die Begleitung bedrohter Zivilistinnen oder lokale Frühwarnsysteme Menschen schützen und Gewalteskalationen verhindern können. Doch die Entwicklung des Zivilen Peacekeeping steht erst am Anfang. Und noch fehlen dafür auch schlicht die finanziellen Mittel – während die Entsendung von Militär über Verteidigungshaushalte finanziert wird, muss das Geld für Projekte des Zivilen Peacekeepings mühsam bei Ministerien zusammengebettelt werden. Aber die politische Anerkennung wächst langsam. Es ist Zeit, dass auch Deutschland zum Unterstützer des zivilen Peacekeepings wird. Eine praktische Maßnahme könnte sein, sich in der OSZE dafür einzusetzen, dass dieses Instrument zu einem Instrument der OSZE wird.

Anmerkungen
1 Zur KVM: Schweitzer, Christine (2010) Strategies of Intervention in Protracted Violent Conflicts by Civil Society Actors. The Example of Interventions in the Violent Conflicts in the Area of Former Yugoslavia, 1990 – 2002. Vehrte: Soziopublishing. (Dissertation) [Online] at http://www.ifgk.de/fileadmin/ifgk/forschung/CSchweitzerThesisYU-final.pdf

2 Literatur zu Zivilem Peacekeeping kann gefunden werden unter: http://www.soziale-verteidigung.de/pazifismus-militaerkritik/ziviles-peacekeeping/ . Eine weitere gute Quelle ist die Website von Nonviolent Peaceforce: www.nonviolentpeaceforce.org.

3 http://www.un.org/sg/pdf/HIPPO_Report_1_June_2015.pdf und http://wps.unwomen.org/~/media/files/un%20women/wps/highlights/unw-globa...

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.