Persönlich-politische Erinnerungen

Mit Mani auf der blauen Bank

von Jürgen Nieth

Eine blaue Bank in Connemara. Von hier trifft der Blick auf drei kleine Inseln, dann auf Wasser, nichts als Wasser. Dort, im Westen liegt Neufundland, keine 3.000 km entfernt, Europa und Amerika kommen sich hier am nächsten. Deshalb wurde in Connemara vor über 100 Jahren die erste die Kontinente verbindende Funkstation gebaut. Ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg landeten nicht weit davon entfernt, bei Clifden, Alcock und Brown nach dem ersten Flug über den Atlantik.

Vor über 20 Jahren haben Mani und Luise uns – Corinna und mich – zum ersten Mal in Connemara besucht. Auf dieser blauen Bank haben Mani und ich damals  - und dann alle paar Jahre wieder – unser Pint Guinness geleert. In meiner Erinnerung wurde dabei ununterbrochen diskutiert. Natürlich stand „Frieden“ im Mittelpunkt: Die Balkankriege, der Nahe Osten, später Afghanistan. Es ging um die Friedensbewegung, die noch eine Massenbewegung war, als wir uns 1983 kennenlernten, und die wir uns später so oft stärker gewünscht hätten. In den 1990ern ging es in Irland natürlich auch um den Nordirlandkonflikt, nach dem Good Friday Agreement 1998 dann zunehmend mehr darum, welche Schlussfolgerumgen aus dem nordirischen Prozess für eine zivile Konfliktbearbeitung in anderen Regionen gezogen werden können.

Die Bank im Freien lud auch ein zur Diskussion über Klimaveränderungen. Neufundland – sogar noch etwas südlicher gelegen – ist monatelang aufgrund des Polarstroms tiefgefroren, während in Connemara Fuchsien und Rhododendron über drei Meter hoch werden, und dank des Golfstroms an der Küste Agaven und Palmen wachsen. Doch die extremen Wetterlagen nehmen auch hier zu. 2012 blieb zum ersten Mal Schnee länger als ein paar Stunden liegen und im Winter 2014 wurde die Straße, die Mani so oft zu seinem irischen Freund Micail gegangen ist, durch mehrere aufeinanderfolgende Sturmfluten für Tage unpassierbar.

Den Mani, der ruhig auf der Bank saß und in die untergehende Sonne träumte, habe ich nicht kennen gelernt; er war immer mit irgendwas beschäftigt. So blieb es denn auch bei einem einzigen gemeinsamen Angelversuch an einem See. Da, wo Ruhe angesagt ist und „Konzentration auf den Fisch“, kamen bei Mani die Fragen im Minutentakt: Warum muss denn der Köder ein Regenwurm sein, geht Brot nicht auch? Brauchen wir hier keinen Angelschein? Welche Fische soll es denn hier geben? Und dann das, was ihn wohl am meisten beschäftigte: Was kochen wir, wenn es nicht für ein Abendessen reicht? Als er dann schließlich seine erste Forelle am Haken hatte, kam aber nur ein überraschtes „oooch“; rausholen konnte er sie nicht, da er sich gerade eine Zigarette drehte. Das war beim Angeln auf dem Meer schwierig: zu windig, zu nass und man braucht ständig beide Hände. Ich sehe immer noch Manis staunenden Blick, als zum ersten Mal vier oder fünf Makrelen an seiner Leine zappelten.

Auf der blauen Bank haben wir sie dann ausgenommen. Dort haben wir auch die vom Nachbarn herübergereichten Krebszangen geknackt, ungezählte selbst gesammelte Meeresschnecken gepult, Miesmuscheln und die leckeren Queen-Scallops gesäubert. In Manis Gesicht sah man, dass er dabei den Geschmack schon auf der Zunge hatte, und so drehten sich die Gespräche darum, was wir wie und als erstes machen: Crabmeat auf Sandwich oder Salat, Seafood Chowder oder Spaghetti mit Meeresfrüchten, gebratenen oder gegrillten Fisch. Es ging fast nie um ein „Entweder-Oder“, die Mengen waren so bemessen, dass in der Regel auch nach zwei Mahlzeiten noch etwas eingefroren werden musste.

Manis Irlandurlaube fanden auch den Weg in die Öffentlichkeit – wenngleich manchmal als Fehlinterpretationen. Das hier abgebildete Foto machte der Berliner Fotograf Santiago Engelhardt vor Moran's Pub im Oktober 2003. Er stellte es zusammen mit anderen Irlandfotos ins Netz, die deutsche „Ärzte-Zeitung“ kaufte es und illustrierte damit einen ganzseitigen Artikel über eine Kampagne der irischen Regierung gegen Alkoholismus.

Ein paar Jahre später kam eine irische Nachbarin und fragte mich nach „dem Pferd“. Ein Joke! Hintergrund: Der weit verbreitete Werbekalender von Sweeney-Oil enthielt ein Foto von einer Connemara-Pony-Auktion. Im Bild nicht nur ein wunderschönes Pony, sondern auch Mani und ich, die natürlich nur aus reiner Neugierde anwesend waren und die Feinheiten der Auktion bis zum Ende nicht verstanden haben.

In den letzten Jahren hatten sich Mani und Luise bei ihren Irlandurlauben für einen der rauesten Monate entschieden. Die irischen Freunde und Nachbarn nannten sie „November people“. Keine anderen TouristInnen verlaufen sich in dieser Zeit in den kleinen Ort an der irischen Westküste. Die beiden waren die Ausnahme und dementsprechend bekannt. Ich bin sicher, der Postman hätte einen Brief an die „November-People in Carna“ auch ohne Namen und Straße richtig zugestellt.

Ich weiß nicht genau, welche Gründe bei Mani und Luise für den November sprachen, sicher aber hatte er für den kommunikativen Mani viele Vorteile: Aufgrund des Wetters fahren die Fischer seltener raus, die Farmer reduzieren ihre Außenarbeit und irgendwie hat man das Gefühl, alle haben mehr Zeit. Ein Besuch ist immer Anlass für einen Tee und einen Whiskey und jeder freut sich auf ein Gespräch am Kamin.

Auch die November haben sonnige und windstille Tage. Trotzdem ist dann in der Regel alles, was irgendwie weggeweht werden kann, gut gesichert unter Dach. Die blaue Bank steht nicht mal für eine Zigarettenlänge zur Verfügung. Heute, am 22. August 2014, weht kein Lüftchen; die Sonne steht tief, ich sitze auf der Bank, vor mir der Laptop und ein Guinness. Dein Platz ist frei, Mani, aber ich kann Dir zuprosten: Auf dich und unsere Freundschaft: Sláinte!

Ausgabe

Jürgen Nieth ist stellvertretender Vorsitzender der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden. Er ist aktiv in der Friedensbewegung seit den Ostermärschen der 1960er Jahre und war von 1995 bis 2014 Redakteur von Wissenschaft & Frieden.