Nach der Flutkatastrophe

von Christine Schweitzer

"Die meisten Menschen würden feststellen, dass der Tsunami sich nicht um irgendwelche von Menschen gemachten Grenzen kümmerte. Er verschonte weder die Gebiete, die von der Regierung kontrolliert werden, noch die unter Kontrolle der LTTE [Tamil Tigers, die Organisation der tamilischen Aufständischen in Sri Lanka]. Tamilen, Singhalesen und Muslime, sie alle haben gelitten, verloren ihr Leben, ihre Angehörigen und ihre Häuser. Aber Fluten lösen keine politischen oder militärischen Grenzen auf", schreibt Publizist und Friedensaktivist Jehan Perera eine Woche nach der Flutkatastrophe, die Sri Lanka wie Indonesien, Indien und etliche andere Länder und Inselgruppen in Südasien verwüstete.

Es ist jetzt in den Tagen nach dem Tsunami viel darüber gesprochen worden, welche Auswirkungen die Katastrophe auf die Konflikte in Sri Lanka und Aceh (Sumatra-Indonesien) haben würde. In Aceh öffnete die Regierung, wenn auch zögerlich, den Zugang zu der von dem Erdbeben und der Flutwelle wohl am stärksten betroffenen Region, die die vergangenen Jahre über quasi militärisches Sperrgebiet gewesen war. Angesichts der verheerenden Zerstörungen gibt es dort auch im Moment wohl keinen Aufstand mehr. In Sri Lanka konnte beobachtet werden, wie alle drei Gruppen, Singhalesen, Tamilen und Muslime, sich gegenseitig halfen, ja selbst Soldaten von LTTE und Regierungsarmee sollen in Notrettungseinsätzen zusammengearbeitet haben. Dies weckte gerade in Sri Lanka Hoffnung darauf, ob der zu einem Stillstand gekommene Friedensprozess, der zunehmend durch gegenseitige Drohungen und fehlende Verhandlungsbereitschaft gefährdet war, nicht auf einem anderen Wege wieder ins Rollen gebracht werden könnte. "Beste Alternative zu einem durch Verhandlungen erzielten Ergebnis" heißt das in der Friedensforschung. Aber auch wenn die Chancen darauf längst noch nicht vorbei sind, so gibt es doch nicht viel Anzeichen für Hoffnung - die gegenseitige Polemik wurde Anfang Januar zumindest schon wieder einmal aufgenommen.

Viele lokale und internationale Friedens- und Menschenrechtsorganisationen sind in den betroffenen Ländern tätig gewesen. Sie sind nach der Katastrophe oft die ersten gewesen, die konkrete Hilfe organisierten, und die den einströmenden internationalen Helfern, die naturgegeben wenig Ahnung von den lokalen Begebenheiten (oder gar den Konflikten) haben, Orientierung an die Hand geben. "Do no Harm - wenigstens keinen Schaden anrichten" heißt eines der Prinzipien humanitärer Hilfe, das in den letzten Jahren immer vehementer eingefordert wird. Unter "Schaden" wird dabei verstanden, dass durch unbeabsichtigt einseitige Hilfe oder sonstiges Fehlverhalten Konflikte geschürt oder bestimmte Seiten in einem Konflikt unterstützt werden.

Viele der Gruppen haben auch selbst Verluste erlitten und MitarbeiterInnen in den Fluten verloren. So die indische Frauen-Entwicklungsorganisation Swadhina, die Mitglied der Internationale der KriegsgegnerInnen ist. Bis zu zwanzig der von ihr betreuten Dörfer wurden Opfer des Tsunami. Auch internationale Gruppen wurden betroffen. Die us-amerikanische Organisation Nonviolence International, die von dem Exil-Palästinenser Mubarak Awad gegründet worden war, hat nicht nur in Banda Aceh ihr Büro mit allen, teilweise unersetzlichen Büchern verloren, sondern auch einer ihrer Mitarbeiter ist unter den Vermissten.

Nonviolent Peaceforce in Sri Lanka, deren Teams praktisch genau in den von der Flut am stärksten betroffenen Gebieten arbeiten, war ebenfalls betroffen: Eine Mitarbeiterin verlor mehrere Familienmitglieder und ihr Haus. Eine internationale Mitarbeiterin wurde im Süden des Landes verletzt, und ihr Kollege erlitt kurz danach einen leichten Herzanfall, aber beide sind auf dem Wege der Besserung. Nonviolent Peaceforce zusammen mit vielen anderen NROs in Sri Lanka, darunter auch die dortige Niederlassung des Berghof-Friedensforschungsinstituts, setzen sich jetzt dafür ein, dass das Prinzip des Do-no-Harm berücksichtigt wird. Gleichzeitig will Nonviolent Peaceforce, ähnlich wie Peace Brigades International in Aceh, die die Region dort vor einiger Zeit hatten verlassen müssen, aber jetzt zurückkehren, dabei helfen, dass eventuelle Chancen für einen Frieden nach dem Tsunami nicht vertan werden. Frieden und Menschenrechte drohen manchmal nach einer solchen Katastrophe aus dem Blickfeld zu geraten, weil sich alle auf die unmittelbare Hilfe konzentrieren. Vielleicht ist es die Aufgabe von Friedensorganisationen, dies zu verhindern - dort vor Ort wie auch hier in Deutschland.

 

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Im Blickpunkt
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.