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Nicht schießen, aber einmischen
vonIm deutschen Bundestag sind Entwürfe von vier Fraktionen zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht worden, die sich mit der Frage befassen, ob und in welchem Umfang künftig die Bundeswehr über die Landesverteidigung hinaus eingesetzt werden soll. Der am weitesten gehende Vorschlag der Regierungskoalition (CDU, CSU und FDP) würde es der Bundesrepublik erlauben, praktisch unbeschränkt die Bundeswehr weltweit In Kampfeinsätze zu schicken. Diese für unser Land existenzielle Frage wird vor allem in den Fachgremien und an der Öffentlichkeit vorbei diskutiert. Der Vorstand der deutschen Sektion der IALANA (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms) hat dazu einen Alternativvorschlag erarbeitet, der hier vorgestellt wird.
Das Kriegsverbot und das Gewaltverbot des Kellogpaktes vom 27.8.28 (RGBI 1929 II S. 97) und des Artikels 2 Absatz 4 UN-Charta vom 26.6.45 (BGBI 1973 II S. 431) müssen in konsequenter Weise Eingang in die Verfassung finden. Unabhängig von dem Anlaß und dem Ziel eines Krieges wird in jedem Krieg getötet und zerstört. Das Leben unschuldiger Menschen und unersetzbare Zivilisations- und Kulturgüter werden vernichtet.
Mit kriegerischer Gewalt werden die zugrundeliegenden Konflikte nicht gelöst. Vielmehr entstehen durch die Kriegsführung in der Regel weitergehende Konflikte.
Gegen diese unbestrittene Feststellung wird argumentiert, daß sich der Krieg unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Beachtung des Kriegsvölkerrechts führen lasse, und daß der Krieg geeignet sei, unverhältnismäßig größeren Schaden zu verhindern. Abgesehen von dem erfolgreichen Krieg gegen Hitlerdeutschland ist der Beweis dafür aus der neueren. und neuesten Geschichte nicht zu erbringen. Die Forderung nach der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Kriegsführung und die Forderung nach Einsatzformen und Mitteln, die den geringsten Schaden nach sich ziehen, ist beim Militär nicht erfüllbar. Die Analyse aller bisherigen Kriege zeigt, daß Kriege nicht beherrschbar und nicht eingrenzbar sind, und daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in allen Fällen verletzt worden ist. Darüber hinaus ist weltweit die Ausbildung von Soldaten nicht in erster Linie auf Lebensrettung und Erhaltung von Zivilisations- und Kulturgütern ausgerichtet, sondern auf die Vernichtung des Feindes und das Erreichen politisch annehmbarer Bedingungen für die Kriegsbeendigung.
Rechtsstaatliche Ordnungen verbieten ausnahmslos die Tötung Unbeteiligter auch zur Verhinderung schwerwiegender Straftaten oder zur Rettung anderer. Dieser Standard an rechtsstaatlicher Zivilisation muß auch im Verhältnis der Staaten zueinander im Rahmen einer künftigen Weltordnung erreicht werden.
Mit gewaltsamen Konflikten zwischen organisierten Gruppen von Menschen muß auch künftig gerechnet werden. Die vorhandenen Militär- und Rüstungspotentiale und deren Rechtfertigung werden als Ursache und Verstärkung der Konflikte noch lange Zeit erhalten bleiben. Auch die UN-Charta sieht als letztes Mittel den Einsatz militärischer Sanktionsmaßnahmen vor. Das ist jedoch kein ausreichendes Argument, daß sich Deutschland mit nationalen Kampftruppen an dieser Art von Sanktionen beteiligt.
Das gegenwärtige politische Denken leidet unter einer Verengung des Blickwinkels. Gesehen werden nur die Extrempositionen "Nichtstun" oder "Zuschlagen". Das ist die Prügelpädagogik des 19. Jahrhunderts und entspricht nicht dem Entwicklungsstand unserer Kultur und Zivilisation.
Zugeschlagen wird aus Hilflosigkeit und aus Wut, wenn angemessene und abgewogene Reaktionen nicht mehr gesehen werden können. Bei den meisten Menschen stellen sich Entsetzen, Ohnmachtsgefühle und Empörung ein, wenn sie Einzelheiten sogenannter "ethnischer Säuberungen" hören oder sehen, wenn sie von Massenvergewaltigungen oder massenhaften Tötungen erfahren, von marodierenden Mörderbanden, die nach dem Zusammenbrechen der staatlichen Ordnung in einem Land voller Verhungernder ungehindert die letzten Versorgungsgüter zusammenplündern.
Hilflosigkeit und Empörung dürfen jedoch nicht zum Motor und zur Richtschnur von Politik werden. Die Verengung des Sehens und des Denkens führt dazu, daß die zahlreichen nichtmilitärischen Möglichkeiten der Konfliktverhinderung, der Konfliktbegrenzung und der Konfliktlösung unbeachtet bleiben. Dazu zählen nicht nur die in Artikel 41 UN-Charta beispielhaft aufgezählten Sanktionsmöglichkeiten, sondern Maßnahmen auf allen politischen, finanziellen, kulturellen und technischen Gebieten. Zu denken wäre zum Beispiel an die Ersetzung aller nationalen diplomatischen Vertretungen im Zielland durch eine UN-Botschaft, an das Sperren aller Kreditlinien, an das Einfrieren und Verbrauchen der Auslandsguthaben, an die Aufkündigung der Kompatibilität der Währungen, an die konsequente Durchsetzung von Embargos bei gleichzeitiger Entschädigung der dadurch wirtschaftlich benachteiligten Dritt-Staaten, an die nachhaltige Störung der militärischen und nichtmilitärischen Informations- und Kommunikationssysteme von außen.
Ein Land wie Irak, das 95% einer Devisen durch Ölexporte erwirtschaftet hat und damit in allen Lebensbereichen davon abhängig. gewesen ist, hätte eine ernsthafte Blockade seiner Wirtschaftsbeziehungen nicht lange durchhalten können, wenn sie nur versucht worden wäre.
Es gibt keinen zureichenden Grund dafür, daß sich Deutschland an internationalen militärischen Interventionen beteiligt. Internationale Verantwortung, die der neu gewonnenen Souveränität und der wirtschaftlichen Stärke der Bundesrepublik entsprechen würde, kann unser Land übernehmen durch
- verstärkte Erforschung von Konfliktursachen,
- Entwicklung von Prognoseinstrumenten für international bedeutsame Konflikte und von Mechanismen nichtmilitärischer Konfliktregelung,
- Organisation der humanitären und Katastrophen-Hilfe und letztlich auch durch
- Beteiligung an einem System nicht. militärischer Sanktionen bis hin zu erhöhten Finanzaufwendungen an die UN, die es dieser ermöglichen würde, eigene Ordnungskräfte und Kampfverbände aufzustellen.
Solange all dies nicht ernsthaft zum Inhalt nationaler und internationaler Politik gemacht wird, müssen wir davon ausgehen, daß die Regierungen unserer Staaten mit ihrer Militärpolitik nicht wirklich Frieden schaffen wollen im Sinne von Konfliktlösungen zugunsten tragfähiger Zukunftslösungen. Es geht ihnen vielmehr um die Neuaufteilung der Welt in Interessensphären. Dazu werden ausgewählte kriegerische Konflikte, von denen es immer Dutzende gleichzeitig auf der Erde gibt - zur Zeit etwa fünfzig - instrumentalisiert. Damit wird den Menschen eingeredet, man brauche schnelle Eingreiftruppen (rapid reaction forces) oder Krisenreaktionskräfte, wie die Deutschen diese Truppen nennen, um "das internationale Recht wiederherzustellen" oder "dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten" oder ähnliches.
Der Vorschlag der IALANA zur diskutierten Verfassungsänderung geht dem-
gegenüber dahin,
- die förmlichen und die materiellen Voraussetzungen der Verteidigung des Bundesgebietes unverändert zu lassen,
- für die im NATO-Vertrag und im WEU-Vertrag geregelte militärische Beteiligung an der Verteidigung der Staatsgebiete von Bündnispartnern eine hohe Verfahrensschwelle einzuführen: wegen der existenziellen Bedeutung die für eine Verfassungsänderung notwendigen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat, und
- jeden weitergehenden militärischen Einsatz der Bundeswehr verfassungsrechtlich zu verbieten, soweit er Kampfbandlungen nicht sicher ausschließt. Das gilt auch für Blauhelmeinsätze, die gegebenenfalls abgebrochen werden müßten.
Der Vorschlag der IALANA zur Neufassung der den Frieden und die Verteidigung betreffenden Verfassungsbestimmungen kann bei der Redaktion angefordert werden.
aus: Betrifft JUSTIZ Nr. 33 - März 1993