Sicherheit ohne Waffen und ohne Polizei

Nonviolent Peaceforce in den USA

von Caro Carty

Im Juni 2020 waren die Spannungen in Minnesotas Twin Cities (St. Paul und Minneapolis) hoch. George Floyd, ein unbewaffneter Schwarzer, war von Polizisten des Minneapolis Police Department ermordet worden, Demonstrant*innen, die Rassengerechtigkeit forderten, trafen auf extreme Gewalt von Seiten militarisierter Polizei. Weiße Rassisten nutzten die Gelegenheit, in die Stadt zu stürmen und Angst und Chaos zu schüren. Einige Community Leaders und Aktivist*innen forderten, die Polizeibehörde abzuschaffen und die öffentliche Sicherheit neu zu definieren, und einige Bürger*innen verpflichteten sich, keine Polizei mehr in ihre Nachbarschaft zu rufen. Doch die Gemeinden kämpften oft damit, was es bedeutet, ihr Engagement für polizeifreie Sicherheit aufrechtzuerhalten, ohne voll entwickelte und gut ausgestattete Alternativen an der Hand zu haben.

Inmitten dieser Gespräche schlossen sich Nachbar*innen zusammen, um rotierende Nachbarschaftswachen und Netzwerke der gegenseitigen Hilfe zu organisieren, um ihre Schwarzen, Indigenen und People of Color (PoC)-Nachbar*innen und Geschäfte vor dem Überfall durch weiße Rassisten und vor der Polizei zu schützen.

Was den Nachbar*innen an diesem Tag fehlte, war ein gemeinsames Wertegerüst und eine gemeinsame Leitvision. Da sah die internationale NGO Nonviolent Peaceforce (NP), die ein Büro in Minneapolis hat, eine Lücke.

Nonviolent Peaceforce (NP) hat jahrelange Erfahrung in anderen Ländern und Kontinenten in der Gewaltprävention. NP leitet phantasievolle Gespräche und Prozesse an, um die Sicherheit in Gemeinschaften neu zu überdenken. NP sieht es nicht als  ihre Aufgabe, diese Vision vorzuschreiben, sondern mit der jeweiligen Gemeinde zusammenzuarbeiten, um bereits vorhandene Kapazitäten, Stärken und lokale Sicherheitspraktiken herauszuarbeiten. NP unterstützt die Gemeinden dann bei der Entwicklung von praktischen Fähigkeiten und einem gemeinsamen Verständnis, um die Sicherheit in ihre eigenen Hände zu nehmen und ein System der öffentlichen Sicherheit zu realisieren, das nicht auf der Androhung oder Anwendung von Gewalt beruht. In einer Kultur, die sich auf Waffen und Gewalt verlässt, ist dies für viele Menschen eine überzeugende Idee. Sie bringt Menschen dazu, innezuhalten und eine andere Art des Umgangs mit Konflikten in Betracht zu ziehen.

Die ersten Schritte
Die ersten Schritte bestanden darin, in den Twin Cities Minneapolis und St. Paul (Minnesota) Beobachter*innen für die Wahlen im November zu organisieren.

"Wir haben gesehen, wie effektiv diese Arbeit im November war, als die USA in einen höchst umstrittenen und hitzigen Wahlzyklus eintraten", erzählt Marna Anderson, eine der Initiator*innen des Projekts. „In einem breiten Bündnis hat NP 250 Wahlhelfer*innen ausgebildet und unterstützt, die an 30 gefährdeten Wahllokalen tätig waren. Dies waren die Orte, für die die Trump-Kampagne versucht hatte, pensionierte und nicht im Dienst befindliche Polizeibeamt*innen der Minneapolis Police Federation (dieselbe Vereinigung, die die Mörder von George Floyd unterstützt) als Wahlbeobachter*innen zu rekrutieren."

„Wir hatten eine Störung, die zu Gewalt hätte eskalieren können, wenn wir nicht da gewesen wären", erzählte Amy. Als sich ein Mann mit einer Trump-Flagge weigerte, das Wahllokal zu verlassen, bemerkte das Team der Wahlschützer*innen, dass vorbeifahrende Autofahrer*innen sich aufregten. Autos fuhren vorbei und kurbelten ihre Fenster herunter, um den Trump-Anhänger anzuschreien. „Ich konnte erkennen, dass es an der Zeit war, einzugreifen - das war kein produktiver Konflikt", erinnert sich Amy. Sie und zwei andere Teammitglieder überquerten die Straße, um mit dem Mann mit der Trump-Fahne ins Gespräch zu kommen.

Es sind Momente wie diese, in denen deutlich wird, wie wertvoll es ist, ein geschultes und reaktionsbereites Team zu haben. Die von Amy beschriebene Situation hätte leicht zu verbaler oder sogar körperlicher Gewalt eskalieren können. Stattdessen waren Amy und ihr Team in der Lage, sich empathisch zu nähern und sicherzustellen, dass alle Parteien in der Lage waren, sicher und ohne Angst vor Einschüchterung zu wählen.

Schutz bei Demonstrationen
Dieses Modell der schnellen Reaktion wurde während der Flashpoints während des Prozesses von Derek Chauvin, dem ehemaligen Polizeibeamten aus Minneapolis, der George Floyd im Mai 2020 ermordet hatte, durchgeführt. Nonviolent Peaceforce bildete 85 Freiwillige in UCP als Teil von Community Safety Teams aus, die bei Demonstrationen aktiviert werden sollten. Von Februar bis Mai 2021 wurden Freiwillige und Mitarbeiter*innen für neun Schutzaktionen in den Twin Cities aktiviert: vier Veranstaltungen während des Derek Chauvin-Prozesses, bei zwei Stop Asian American Pacific Islander (AAPI) Hate-Veranstaltungen und bei drei Veranstaltungen nach dem Tod von Daunte Wright im April, einem hochkarätigen Polizeimord, der fast eine Woche lang Aufstände und den Einsatz extremer Gewalt durch die Strafverfolgungsbehörden auslöste.

Am 14. April setzte NP ein hochqualifiziertes Team ein, um Bürger*innen zu schützen, während sie ihr Recht auf Protest ausübten und, was noch wichtiger war, einen Todesfall in der Gemeinde betrauerten. Kalaya'an Mendoza, NP-Direktorin für US-Programme, schildert eine Momentaufnahme: „Es ist etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang. Der üble Gestank von CS-Gas liegt in der Luft. Ein Gefühl von Panik und Angst ist deutlich spürbar. Ich erinnere mich, in die Augen dieser drei jungen Männer gesehen zu haben und zu sehen, wie sie immer angespannter wurden. Zuerst wussten sie nicht, wer wir waren ... Aber dann kam eine Frau aus der Menge und sagte: ‚Ihr müsst jetzt sofort mit ihnen gehen. Sie werden euch sicher nach Hause bringen.' Und wir konnten diese drei jungen Männer aus dem Konfliktgebiet in Sicherheit bringen."

"Und als wir uns der Polizeilinie näherten, gab es einen Offizier in einem gepanzerten Fahrzeug, der mit seinem Licht auf uns leuchtete. Ich konnte nicht sagen, ob es eine Tränengaskanone oder eine Schrotflinte war, aber wir hatten alle unsere Hände oben und konnten ihnen helfen, von dort wegzukommen. Innerhalb der nächsten 20 Minuten begannen [die Strafverfolgungsbehörden] damit, die Gegend zu umstellen. Und sie begannen, Demonstrant*innen zu verhaften."

Mehr als 200 Demonstrant*innen wurden in den kommenden Nächten verhaftet. Unzählige weitere wurden durch „weniger tödliche" Munition verletzt, die von mehreren tausend Ordnungskräften in Einsatzkleidung eingesetzt wurde. Die meisten der Verletzten oder Verhafteten waren unter fünfundzwanzig Jahre alt, viele von ihnen BIPOC-Student*innen und Aktivist*innen.
Wenn auch nur ein kleines Beispiel, so kann es doch illustrieren, sich die Macht und das Potenzial von Netzwerken von Zivilist*innen vorzustellen, die in einer überparteilichen Kapazität anwesend sind, trainiert, um sich gegenseitig und das Recht auf Protest zu schützen.

Eine Langfassung dieses Artikels kann hier auf der Website des Bund für Soziale Verteidigung nachgelesen werden: https://t1p.de/BSV-NP-USA

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Rubrik

Friedensbewegung international
Caro Carty, Communications and Major Donor Assistant, mit Sitz in St. Paul, Minneapolis.