Öffentlichkeit statt Peacekeeping

von Stefan Gose
Schwerpunkt
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39 Peacekeeping-Operations haben die Vereinten Nationen seit 1945 in 27 Ländern durchgeführt, weitere 15 sind noch nicht abgeschlossen. Nur 14 dieser Blauhelmeinsätze begannen während des Kalten Krieges vor 1988. Dies zeigt angesichts von jährlich weltweit 20-30 Kriegen aller Art zum einen die begrenzte Reichweite dieses Instruments der Vereinten Nationen, zum anderen offenbart sich darin ein Grundproblem der UN, nämlich ihre politische und ressourcenbedingte Abhängigkeit von ökonomisch und militärisch starken Mitgliedsländern.

Peacekeeping-Einsätze fanden nie in Krisenregionen statt, solange Großmächte diese zu ihrem Einflussbereich zählten (Südamerika, Südostasien, Tibet, UdSSR, Osteuropa, Entkolonisierung/Afrika). Entspechend instrumentell waren stets die Aufträge der UN-Missionen. Von den ambitionierten Anfangszielen (Indien-Pakistan 1949-heute, Palästina 1948-heute) des Peacekeeping als ehrlichem Makler staatlicher Unabhängigkeit blieb schon seit den 50er Jahren nichts übrig. Die Widersacher im UN-Sicherheitsrat konnten sich im Kalten Krieg nur noch auf wenige hilflose Missionen verständigen (Libanon 1956-58, Palästina 1956-79, Kongo 1960-64, West-Neuguinea 1962-63, Jemen 1963-64, Dominikanische Republik 1965-66, Indien/Pakistan 1965-66, Zypern 1974-heute). Erst Ende der 80er Jahre wurden substanzielle Peacekeeping-Einsätze wieder möglich. In dieser dritten Phase wurden Blauhelme zunächst mit der Beseitigung unmittelbarer Altlasten des Kalten Krieges beauftragt (Afghanistan/Pakistan 1988-90, Angola 1988-99, Mittelamerika/ONUCA 1989-92, Kambodscha 1991-93, El Salvador 1991-95, Mosambik 1992-94) und erwiesen sich bereits dabei weitgehend als mangelhaft ausgestattet. Die vierte Phase von Peacekeeping-Einsätzen bezog sich auf regional unterschiedlich bedingte Hegemonial- und Territorialkonflikte (Iran/Irak 1988-91, Namibia 1989-90, Westsahara 1991-heute, Irak/Kuwait 1991-heute, Haiti 1993-2000, Tschad 1994, Guatemala 1997, Ost-Timor 1999-heute, Äthiopien/Eritrea 2000-heute). Als bislang letzte Phase von Peacekeeping-Einsätzen wurden Blauhelme mit den Spätfolgen des Kalten Krieges in Staatszerfallsregionen (Somalia 1992-95, Ruanda/Uganda 1993-96, Liberia 1993-97, Georgien 1993-heute, Tadschikistan 1994-2000, Jugoslawien 1995-heute, Sierra Leone 1998-heute, Zentralafrikanische Republik 1998-2000, DR Kongo 1999-heute) betraut.

Die Bilanz dieser Missionen seit 1988 fällt nicht zufällig mager aus. Der einzige Befriedungserfolg ist für Namibia festzustellen, wo bereits vor der UN-Intervention eine vergleichsweise stabile Situation bestand. In allen übrigen Fällen waren die Blauhelme ungenügend für ihre Missionen vorbereitet, ausgerüstet, ihre Kontingente waren zu gering, die Koordination häufig schlecht, die Kompetenzen oft unklar, nationale Alleingänge nicht selten, vor allem aber fehlte die politische Unterstützung der maßgeblichen UN-Staaten. Das ist kein Zufall, denn durchschnittlich werden Truppen von 5-10.000 Blauhelmen aus 30-45 Ländern zusammengewürfelt, die alle unterschiedliche Ziele mit ihrer Beteiligung verfolgen. Schlecht ausgerüstete Soldaten aus Entwicklungsländern sollen häufig das Image der heimischen Regierung heben und nebenbei den wesentlich höheren UN-Sold nach Hause bringen, Soldaten aus Industriestaaten sollen nicht selten ökonomische Erblegate sichern, aus GUS-Staaten kommen oft Militionäre, die ihr Waffenarsenal meistbietend verscherbeln, in Kamboscha machte ein bulgarisches Strafbataillon von blau behelmten Schwerverbrechern von sich Reden, ob Pakistanis ohne Schuhe, Fidschianer ohne Waffen, belgische Folterer oder kanadische Vergewaltiger - alles trifft sich beim globalen Peacekeeping. Doch die multi-kulti-Truppen sind nur Spiegel des Friedenswillens der hinter ihnen stehenden Regierungen. Wo Entsendestaaten mit ihrem Einsatz ein ernsthaftes Interesse verbinden, sind sie - mit oder ohne UN-Mandat - massiv präsent. Ob Frankreich im Tschad oder Ruanda, Großbritannien in Sierra Leone, die USA im Irak oder Mittelamerika, - nur von Peacekeeping ist dabei wenig zu spüren.

Der politische Hintergrund ist simpel: Nachdem mit Ende des Kalten Krieges UN-Missionen wieder möglich wurden, benutzte nicht nur die Bundesrepublik dieses humanitäre Mäntelchen ("Engel von Pnom Penh"), um dem eigenen Waffenarsenal eine neue Legitimation und außenpolitischen Ansprüchen eine olivgrüne Gestalt zu geben. Mit dem 2. Golfkrieg 1991 wurden China und Russland als alte Widersacher des Westens im UN-Sicherheitsrat jedoch skeptisch gegenüber dem neuen humanitären Interventionismus. Der ergebnislose Aufmarsch in Kambodscha und das sinnlose Debakel in Somalia führten auch in den USA zu der nüchternen Bilanz, dass Humanität alleine kein vitales amerikanisches Interesse ist. Dem Genozid in Ruanda sah man ebenso tatenlos zu, wie sich für das aktuelle Kongomandat von spärlichen 5.500 Soldaten auch erst 1.600 gefunden haben. Als Konsequenz schickten die westlichen Industriestaaten lokale Regionalmächte wie Nigeria in die blutigen Kriege von Liberia und Sierra Leone. Auch die EU unterstützt seit 1995 die Militarisierung zweifelhafter afrikanischer Bündnisse wie ECOWAS/ECOMOG und die südafrikanische Hegemonialpolitik. Im kongolesischen Bürgerkrieg erwies sich dies als kriegstreibend, denn aus allen Himmelsrichtungen marschierten nun Truppen zur Befriedung ihrer Claims ein. Ähnlich erwies sich zuletzt die australische Dominanz des UN-Einsatzes in Ost-Timor als konfliktverschärfend, da der fünfte Kontinent in Indonesien als traditioneller Rivale betrachtet wird.

Die amerikanische Interventionspolitik versteht sich unabhängig von UN-Mandaten: "with, whenever possible, without, whenever necessary" - so steht es im Strategischen Konzept der NATO von 1999; Konflikte, die zu blutig, aussichtslos oder ertraglos sind, sollen lokale Hegemonialmächte führen - dazu zählt auch, den Balkan baldmöglichst Europa zu überlassen. Die westeuropäischen Militärmächte neigen mittlerweile ebenso zu dieser Haltung, mit leichten Abweichungen etwa bei francophonen Interessen und dem resultierenden Legitimationsproblem ihrer im Aufbau befindlichen Interventionstruppen. Im Ergebnis neigt sich damit die knapp 15-jährige Peacekeeping-Renaissance der Vereinten Nationen wieder ihrem Ende zu, denn ohne NATO-Logistik sind großere UN-Missionen kaum zu führen. Damit wächst Stellvertretermächten wie Namibia, Südafrika oder Australien eine militärisch bedeutsamere Rolle zu, gleichzeitig wird es zunehmend Kriege geben, die beliebigen Warlords überlassen werden.

Bereits UN-Generalsekretär Boutros-Ghali versuchte dieser Entwicklung mitte der 90er Jahre entgegenzutreten. Doch die seit über 15 Jahren geplante UN-Reform tritt wegen machtbewährter Eitelkeiten auf der Stelle. Die von Generalsekretär Khofi Annan wieder aufgenommene Forderung nach eigenen UN-Truppen wurde zwar formal durch die Bereitstellung vereinzelter Stand-by-Forces nicht abgelehnt. Doch das zugesagte Kräftepotpourri taugt auf diesem Niveau kaum zu einem Einsatz und ist befehlstechnisch noch weit entfernt von einer eigenständig einsetzbaren UN-Truppe. Selbst wenn sie dereinst marschbereit wäre, könnte eine solche Truppe nicht gegen den Willen eines Sicherheitsratsmitgliedes entsandt werden, bliebe also zwecklos.

Unverändert ist das Problem der UNO seit über 50 Jahren kein technisches, sondern ein politisches: Der Verein ist nur so stark wie seine Unterstützer. Für künftige Peacekeeping-Missionen bedeutet dies eine weitere Verringerung auf das jeweils politisch durchsetzbare Niveau, wobei die Effizienz unter UN-Regie durchaus zu steigern wäre. Angesichts der durchgängigen milliardenschweren Misserfolge mit UN-Peacekeeping-Missionen bei keinerlei Aussicht auf Besserung wäre dies jedoch zu verschmerzen. Statt also den aussichtslosen Kampf fortzusetzen, den Mächtigen ihre Gewaltapparate abzuschwatzen, um endlich an ihrer Stelle Exekutive zu spielen, sollte die UNO das ausbauen, was sie kann: politisieren, Expertise verknüpfen und Öffentlichkeit herstellen. Mit etwas weniger protokollarischer Rücksichtnahme könnte auf diesem Weg mancher politische Druck aufgebaut werden, den die UN-Peacekeeping-Missionen in der Vergangenheit nie erreichten.

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Stefan Gose ist Redakteur der "antimilitarismus information" (ami).