Umbruch in der DDR - Chance für die Entmilitarisierung Deutschlands?

Perspektiven der Friedensbewegung

von Steffen Kühhirt

Am 18. März wurde nun in der DDR zum ersten Mal frei, geheim und demokratisch gewählt. Die Ergebnisse der angetretenen Parteien sind allseitig bekannt.

 

Das ostdeutsche Volle hat sich für die "Allianz für Deutschland" entschieden, ein Parteienbündnis aus CDU, DSU und DA, welches von den konservativen Parteien der BRD gesponsert wurde. Man muß aber erkennen, die DDR-Bevölkerung hat eigentlich die Regierung um Helmut Kohl gewählt, die das Geld, welches die DDR dringend benötigt, verwaltet. Gespannt sein darf man, wie die Versprechungen der westlichen CDU-Politiker eingehalten werden. Viele der Leute, die sich für die "Allianz für Deutschland" entschieden haben, werden die Arbeitslosen von morgen sein.

Aber trotz allem Für und Wider, das Ergebnis ist ein demokratisches gefälltes Urteil, welches zu respektieren ist.

Die Einheit Deutschlands wird sicher kommen, gerade unter einer Regierung, die sich eine schnellstmögliche Einheit auf die Fahnen geschrieben hat. Die Frage ist nur, wie kommt sie daher?

Für die Bürgerbewegungen in diesem Land sowie für die Friedensgruppen in der DDR gibt es keine Diskussionen:

Artikel 23 - unter dieser Nummer keinen Anschluß. Es wird, auch wenn die Stunden für die DDR gezählt sind, eine DDR-Verfassung geben. Dafür machen sich die außerparlamentarischen sowie die parlamentarischen Gruppen stark.

In dieser Verfassung sollte auch das Recht auf Wehrdienstverweigerung festgeschrieben werden. Nun ist, seit dem 22. Januar, die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsdiensttotalverweigerern ausgesetzt. Am Runden Tisch der DDR ist ein Zivildienstgesetz erstellt worden, welches der neuen Regierung vorgelegt werden wird. Dieses Gesetz ist ein fortschrittliches Erzeugnis einer demokratisch zusammengesetzten Regierung, an der die Bürgerbewegungen entschieden mitgewirkt haben.

Trotz dieser positiv zu bewertenden Bilanz, war für die oppositionellen Friedens- und Menschenrechtsgruppen schon immer klar, daß ein Zivildienst nur ein Schritt in Richtung Entmilitarisierung ist.

Durch die Veränderungen in Osteuropa, durch die Aufweichung der Armeen und des Warschauer Paktes, durch die veränderte sicherheitspolitische Konstellation war die Entmilitarisierung auf deutschem noch nie in solchem Maße möglich. Angelehnt an das Schweizer Projekt "Schweiz ohne Armee" ist der Ruf nach einem Volksentscheid zur Entmilitarisierung stärker denn je. Voraussetzung für dieses Vorhaben ist ein in der Verfassung festgeschriebener Artikel, welcher den Volksentscheid möglich macht.

Aufrufe zur Entmilitarisierung Deutschlands sind schon viele verfaßt worden, z.B. der Aufruf der Initiative Frieden und Menschenrechte "Für die Auflösung der Militärblöcke" oder der "Appell der 89", die "Lindener Erklärung", sowie die Kampagne "Bundesrepublik ohne Armee".

Eine Volksabstimmung über die Entmilitarisierung kann ein Ziel der Friedensbewegung sein, doch ist dafür eine breite Öffentlichkeitsarbeit die Grundlage. Genau dort liegt eines der Problemfelder der Friedensbewegung. Noch schreiben sich viele Parteien die Abschaffung der Wehrpflicht und die Entmilitarisierung in's Programm.

Aber wie lange noch?

Die größten Probleme der Friedensbewegung in der DDR sehe ich in der Koordinierung der Friedensgruppen sowie der Öffentlichmachung des Problems. Wie viele Aufrufe oder Schreiben der Gruppen, die sich mit der Problematik beschäftigen, kommen an die Öffentlichkeit? Eine Möglichkeit wäre das Herausgeben einer Publikation, die sich mit den Themen der Friedensbewegung beschäftigt. Aber kann man sich gegen Spiegel, Stern und Bild-Zeitung durchsetzen?

Jahrelang hat in der DDR ein "Koordinierungskreis zum Wehrpflichtproblem" gearbeitet, er hat die Vorschläge der einzelnen Friedens- und Menschenrechtsgruppen verarbeitet und eingebettet in Forderungen, die der Volkskammer überbracht worden sind. Solch eine Instanz muß erst wieder neu zusammengesetzt werden, wobei man sich auf die Strukturen vor der Wende stützen könnte. Ich denke, gerade auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit können die Friedensbewegungen aus Ost und West noch enger zusammenrücken. Das könnte sich in einem reibungslosen Informationsaustausch widerspiegeln.

Meine Eindrücke vom letzten Bundestreffen der "Selbstorganisation der Zivildienstleistenden" sind noch ganz frisch, obwohl dort nach meiner Auffassung noch nicht mit der Ernsthaftigkeit gearbeitet wurde, die dieses Thema verdient; es ging um die Kampagne "BoA", sind eine Reihe von aufgreifbaren Gedanken und Vorschlägen dort fabriziert worden. So haben wir die Vorstellung von einer deutsch-deutschen Friedenszeitung angedacht, in diesem Falle war vom "Ausbruch", Zeitung der Zivildienstleistenden in der BRD, die Rede. Warum sollte man nicht die schon vorhandenen Möglichkeiten nutzen, wenn der Nutzen und das Interesse beidseitig ist.

Gemeinsame Aktionen, wie sie schon durchgeführt worden sind, z.B. Demo zur Entmilitarisierung in Berlin, müssen langfristig geplant und vorbereitet werden. Eine Möglichkeit der Aktion wäre der 15. Mai als Tag der Kriegsdienstgegner, auch eine Chance, der Öffentlichkeit die Zusammenarbeit der Friedensbewegungen aus Ost und West symbolisch und bildhaft zu übermitteln.

Steffen Kühhirt ist engagiert in der Initiative Frieden und Menschenrechte, Regionalgruppe Leipzig

 

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Hintergrund
Steffen Kühhirt ist Mitglied der Initiative Frieden & Menschenrecht in Leipzig