Recht versus Politik

Plädoyer

von Franziska Senze

vor dem Amtsgericht Frankf./Main am 29.1.2004
[...] Als sich abzeichnete, dass unser Protest für nicht legal erklärt und aufgelöst werden würde, hatte ich ein Interview der Frankfurter Rundschau mit Dieter Deiseroth (einem Richter am Bundesverwaltungsgericht) im Kopf. Darin hatte er auf die Frage, was man noch gegen den Irak-Krieg tun könne, geäußert, dass "deutsche Gerichte (...) die aufgeworfenen völker- und verfassungsrechtlichen Fragen auch dann prüfen und entscheiden (müssten), wenn Bürger zum Beispiel wegen so genannter Sitzblockaden (...) angeklagt würden und sich dann zu ihrer Rechtfertigung auf das Verfassungsgebot der Verhinderung einer militärischen Aggression berufen." (FR, 15.3.2003, Seite 2)

Im Folgenden werde ich erläutern, dass der Straftatbestand der Nötigung nicht anwendbar ist, weil die Tatbestandmerkmale der Gewalt und insbesondere der Verwerflichkeit nicht erfüllt sind. Dafür ist es notwendig, die Völkerrechtswidrigkeit des Angriffskrieges und das verfassungswidrige Handeln der deutschen Bundesregierung zu belegen.

[...] Bundeskanzler Schröder äußerte im Zusammenhang mit der Zusage sogenannter Bündnispflichten an die USA, dass er keine "Juristerei" betreiben wolle.

Die Verfassung verpflichtet aber auch die Regierung nach Art. 20 Abs. 3, die rechtlichen Rahmenbedingungen einzuhalten.

Die Tatsache, dass die Bundesregierung sich aus diplomatischen Gründen geweigert hat, im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg eine öffentliche Bewertung der Rechtslage vorzunehmen, darf nicht zu einer Beurteilung von Protestmaßnahmen als rechtswidrig und der damit verbundenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Beteiligten führen.

Sogar Regierungsmitglieder haben im Nachhinein die Vereinbarkeit des Irak-Krieges mit dem Völkerrecht öffentlich angezweifelt.

[...] Der Krieg der USA gegen den Irak war nach zuvor festgestelltem Sachverhalt völkerrechtswidrig und die Beteiligung der Bundesregierung an diesem Krieg verfassungswidrig.

Bei der Bewertung der Verwerflichkeit des mit der Sitzblockade beabsichtigten Protestes ist die Bedeutung des rechtswidrigen Handelns, gegen das protestiert wird, ein wesentlicher Faktor.

Abzuwägen ist eine Sitzblockade, die zu kurzzeitigen Behinderungen führte, gegen die Notwendigkeit, gegen einen von der öffentlichen Meinung nahezu einhellig als völkerrechtswidrig bewerteten Krieg zu protestieren. Dabei ist auch das der Entstehung des Art. 26 GG zugrundeliegende Motiv zu beachten, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll.

Abschluss
Abschließend möchte ich feststellen, dass ich mich in weiten Teilen meiner Argumentation an Aufsätze, Artikel und Interviews zahlreicher Juristen und Rechtswissenschaftler anlehne. Von besonderer Bedeutung sind hierfür ein Aufsatz von Daniel-Erasmus Khan sowie ein Memorandum der internationalen Juristenvereinigung IALANA.

Insofern erhebe ich auch keinesfalls den Anspruch besonderer Originalität, sondern behaupte im Gegenteil, in diesem Prozess Argumente erschreckenderweise von der Anklagebank aus vorbringen zu müssen, die den meisten mehr oder weniger bewusst und einleuchtend sind.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Äußerungen des Regierungssprechers Bela Anda in einem Interview zu verstehen: "Versuchen Sie es doch gar nicht erst, indirekt eine Aussage zu erzwingen über das völkerrechtlich korrekte oder nicht korrekte Vorgehen der USA."

Hier offenbart sich das Wissen der Regierung um die Brisanz der Frage.

Der Text wurde von der Autorin stark gekürzt. Der vollständige Text kann bei: franziska [dot] senze [at] gmx [dot] de bestellt werden.
 

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