Welche Argumente werden gegen den Vertrag vorgetragen und wie kann diesen begegnet werden?

Pro und Contra Atomwaffenverbots-Vertrag

von Alex Rosen
Schwerpunkt
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Seit 10 Jahren setzt sich die Kampagne ICAN für ein Verbot von Atomwaffen ein – anfänglich noch ohne große öffentliche Wahrnehmung. Spätestens seit Abschluss des Atomwaffenverbotsvertrags im Sommer 2017 ist jedoch massiver Gegenwind von Seiten der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeter zu spüren. Mahatma Gandhi hat einst gesagt: "Erst ignorieren sie Dich, dann lachen sie über Dich, dann bekämpfen sie Dich und dann gewinnst Du."

Die zum Teil heftigen Reaktionen aus dem Lager der Atomwaffenstaaten sollten in diesem Kontext gesehen werden. Vielen wird jetzt erst klar, dass sie gerade dabei sind, die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs zu verlieren. So wird NATO-Generalsekretär Stoltenberg mit der Aussage zitiert, der Verbotsvertrag bringe das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen nicht näher und gefährde sogar die Fortschritte bei der Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Mehr Zynismus ist kaum vorstellbar; mehr Hilflosigkeit angesichts der sich wandelnden öffentlichen Debatte ebenfalls. In diesem Artikel soll kurz auf die fünf häufigsten Argumente der Atomwaffenbefürworter eingegangen werden.

Es ist völkerrechtswidrig, souveränen Staaten vorzuschreiben, welche Waffen sie einsetzen können.
Das Völkerrecht ist kein festgeschriebenes Regelwerk, sondern wird durch die UN-Mitgliedsstaaten ständig weiterentwickelt. Der Atomwaffensperrvertrag erkennt fünf Staaten das Recht zu, Atomwaffen zu besitzen, erwartet von diesen jedoch gleichzeitig wirksame Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung. Dies ist nachweislich nicht geschehen. Stattdessen rüsten derzeit alle Atomwaffenstaaten auf und modernisieren ihre Arsenale.

Gleichzeitig stellen Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts wie die Genfer Konventionen und die Haager Landkriegsordnung unmissverständlich fest, dass gegen die Zivilbevölkerung keine kriegerischen Maßnahmen durchgeführt werden dürfen. Atomwaffen wurden jedoch genau für diesen Zweck entwickelt: Sie führen zu einem diskriminierungslosen Massenmord an Kombattanten und Nicht-Kombattanten, Männer, Frauen und Kindern, sie zerstören militärische wie zivile Infrastruktur und machen auch vor geschützten Räumen wie Krankenhäusern, Schulen oder Kirchen nicht halt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes als Hüter der Genfer Konventionen hat die Unvereinbarkeit von Atomwaffen mit dem Völkerrecht erst 2013 erneut bestätigt.

Anders als biologische oder chemische Waffen waren Atomwaffen bislang noch nicht geächtet. Der Atomwaffenverbotsvertrag hat diese völkerrechtliche Lücke endlich geschlossen und wird in Kraft treten, sobald 50 Staaten ihn ratifiziert haben. Ein Land, das dann noch an Atomwaffen festhält, steht eindeutig außerhalb des Völkerrechts.

Es ist naiv und unrealistisch zu glauben, dass man Atomwaffen mit einem Vertrag abschaffen kann.
Die Gegenfrage muss daher erlaubt sein: Wie realistisch ist es, dass die Menschheit bei mehr als 15.000 Atomsprengköpfen dauerhaft vor einem absichtlichen oder versehentlichen Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen verschont bleibt? Ist es realistisch, dass die Stationierung von Atomwaffen im "hair trigger alert" dauerhaft gut gehen kann? Dass Staatschefs und Militärs stets besonnen und im Interesse des Weltfriedens entscheiden? Dass sie niemals Fehlinformationen erhalten oder unter Druck eine fatale Fehlentscheidung treffen?

Wie oft ist die Menschheit in den letzten 70 Jahren einem Atomkriegs zwischen Ost und West durch pures Glück und Befehlsverweigerung Einzelner entkommen? Wir wissen von Dutzenden, gut dokumentierten Situationen, die allesamt das Ende der Menschheit eingeläutet hätten. Die damals Verantwortlichen sprechen oft von "göttlicher Fügung". Ist das die Grundlage für eine "realistische Militärstrategie"? Von vielen ExpertInnen wird das Risiko eines Atomkriegs heute größer eingeschätzt als zu den Hochzeiten des Kalten Krieges. Das bedeutet: Entweder wir schaffen Atomwaffen ab oder sie schaffen uns ab. Die völkerrechtliche Ächtung vom Atomwaffenverbot ist alles andere als naiv, sondern vielmehr die realistischste und erfolgversprechendste Maßnahme in Richtung einer atomwaffenfreien Welt seit Ende des Kalten Krieges.

Atomwaffen existieren nicht, um eingesetzt zu werden, sondern zur Abschreckung. Ihre Abschaffung würde daher den Weltfrieden gefährden.
Das Narrativ der Atomwaffenstaaten, das „atomare Abschreckung“ während des Kalten Kriegs den Frieden bewahrt hat, ist weder rational begreifbar noch empirisch belegbar. Atomwaffen sind keineswegs ein Garant für Frieden. In allen großen Krisenherden der Welt – von Korea bis Syrien, von Kaschmir bis zur Ukraine - sind es die Atomwaffenstaaten, die Konflikte eskalieren und austragen. Gleichzeitig sind Atomwaffen keine Hilfe gegen die realen Bedrohungen unserer Sicherheit, etwa Terrorismus, Klimawandel, Armut, Ressourcenknappheit und Krankheiten. Stattdessen stellen sie eine direkte und ständige Gefahr für die gesamte Menschheit dar. Nationale und globale Sicherheit lässt sich nicht durch Atomwaffen schaffen, sondern nur durch deren Abschaffung.

Auch die Vorstellung einer rein „strategischen Waffe“, die nie eingesetzt werden würde, ist schlicht naiv. Atomwaffen sind die ultimativen Angriffswaffen. Solange Atomwaffen existieren, werden sie mit ziemlicher Sicherheit wieder eingesetzt werden, entweder absichtlich oder unabsichtlich. Die Militärdoktrin der Atomwaffenstaaten sehen allesamt sehr realistische Einsatzszenarien vor. Der Einsatz von Atomwaffen gegen den vermeintlichen Gegner wird regelmäßig trainiert - auch am Fliegerhorst Büchel, wo deutsche Luftwaffenpiloten jedes Jahr den Abwurf von B61 Bomben über Moskau und St. Petersburg üben. Die USA und Russland haben gerade in den letzten Jahren viel Geld in die Entwicklung von Atomwaffen gesteckt, die vielseitiger, effektiver und mit geringerer Hemmschwelle eingesetzt werden können.

Ein Verbot von Atomwaffen kann nicht funktionieren, wenn die Atomwaffenstaaten es boykottieren.
Das Verbot von biologischen und chemischen Waffen von 1925 hatte anfangs nur 38 Unterzeichner. Die Biologiewaffenkonvention existiert mittlerweile seit 45 Jahren, die Chemiewaffenkonvention seit 25 Jahren, und immer noch sind nicht alle Staaten den beiden Vertragswerken beigetreten. Bedeutet das, dass diese Verträge nichts taugen? Keineswegs. Es wäre heute unvorstellbar, dass ein Staat mit dem Einsatz von biologischen oder chemischen Waffen droht. Die Waffen sind nicht nur verboten, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes geächtet und stigmatisiert. Auch wenn wir von einer wirklichen Atomwaffen-Konvention noch sehr weit entfernt sind, zeigen diese Beispiele doch, dass es sich lohnt, solchen Prozessen Zeit zu geben.

Im Fall von Streubomben haben die USA den Verbotsvertrag bis heute nicht ratifiziert. Dennoch werden in den USA keine Streubomben mehr produziert, einfach weil sich keine Rüstungsfirma mehr fand, die mit den völkerrechtswidrigen Waffen weiter Geschäfte machen wollte. Dabei ging es nicht bloß um Imagefragen, sondern um Drohungen zahlreicher Investoren, kein Geld mehr in Firmen zu stecken, die Streubomben herstellten. Ähnliche Mechanismen sehen wir durch die von ICAN mitinitiierte Kampagne "Don't Bank on the Bomb" schon jetzt in Bezug auf Atomwaffen. Es wäre töricht, die politische Dimension von Atomwaffen zu unterschätzen und zu erwarten, dass dieser Druck alleine ausreichen würde, um die Atomwaffenstaaten dazu zu bringen, abzurüsten. Ebenso töricht wäre es allerdings, diese Faktoren außer Acht zu lassen.

ICAN und der Verbotsvertrag bieten keine wirkliche Antwort auf die Situation in Korea.
AtomwaffenbefürworterInnen sehen im nordkoreanischen Atomwaffenprogramm das "beste Argument für Atomwaffen". Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die Atomwaffen der USA konnten die Entwicklung in Nordkorea nicht verhindern. Ganz im Gegenteil: Sie legten erst die Grundlage für die Proliferation an spaltbarem Material und Atomtechnologie, die Nordkorea sich zu Nutze machen konnte und versorgten das Regime mit genügend Gründen, sich atomar gegen Versuche des regime changes zu wappnen.

Der Konflikt auf der koreanischen Halbinsel ist ein Beispiel dafür, wie uns das Konzept der nuklearen Abschreckung geradewegs in eine Eskalationsspirale führt. Es bräuchte vertrauensbildende Maßnahmen, ein Ende der gegenseitigen Drohungen, Verhandlungen auf Augenhöhe und das klare Ziel einer Denuklearisierung - nicht nur Nordkoreas, sondern der ganzen Welt. Die traurige Quintessenz aus 70 Jahren Atomzeitalter lautet daher: Solange sich einige mächtigen Staaten für ihre Sicherheit auf Atomwaffen verlassen, werden auch andere nach diesen Waffen streben.

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