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Rassismus im Alltag
von- Die Lehrerin bringt ihrem 1.Schuljahr "Schokoküsse" mit. Die Kinder sind begeistert. Anna, ein schwarzes Mädchen, weigert sich, einen zu essen.
- Gabi geht mit ihrem 1/2 jährigen Sohn, dessen Vater Senegalese ist, einkaufen. Eine Frau beugt sich über den Kinderwagen: "Der ist ja süß! Aber - versteht der Sie Überhaupt?
- Maria, eine Italienerin, erzählt lachend von ihrer Mutter: "Sie warnt mich immer: geh bloß nicht mit einem Türken, die haben immer ein Messer in der Tasche!" Maria meint, ‚gesunde Vorurteile‘ schaden nicht
- Ein alternatives Stadtmagazin schreibt einen großen Artikel über einen Stadtteil, in dem viele Türkinnen und Türken leben. Im Artikel geht es hauptsächlich um türkische Männer. Auf dem Titelblatt der Zeitung: das große Foto einer türkischen Frau mit Kopftuch.
Szenen aus dem Alltag. Alles ganz normal? Oder ist das Rassismus? Oder Naivität? Gedankenlosigkeit? Überheblichkeit? Oder alles zusammen? Ich behaupte: genau das ist "Rassismus im Alltag". Keine lautstarken Sprüche, keine Beschimpfungen, sondern Bemerkungen, Blicke und Bilder, Kommentare und Reaktionen. In der Schule, im Bus, im Geschäft, auf der Arbeit, auf dem Spielplatz, in Diskussionen, in den Medien, im Freundeskreis, in der Familie. Es sind alltägliche Geschichten über unsere Angst vor dem Fremden, unsere Probleme mit dem Anderssein und wie wir sie äußern - auf Kosten der Betroffenen, versteht sich.
Rassismus im Alltag - da fühlen sich die wenigsten von uns angesprochen. Rassistisch sind "die anderen" aber wir doch nicht! Wir reisen ja schließlich mit unserem EG-Pass durch die Welt, sind offen für andere Kulturen, Perspektiven, Gewohnheiten und zeigen das auch zuhause: wir hören afrikanische Musik, kochen international, lesen unseren Kindern Bücher über Kinder in der "Dritten Welt" vor, lernen spanisch in Spanien und finden es ein wenig peinlich, da· unsere Putzfrau Ausländerin ist.
Gleichzeitig setzen wir uns ein für alle AusländerInnen und Flüchtlinge, fordern gleiche Rechte für sie protestieren gegen Benachteiligungen und Diskriminierungen.
Und wir denken auch an die Heimatländer derer, die zu Tausenden heimatlos geworden sind, und verlangen eine Politik, die Frieden und gerechte Lebensbedingungen in der ganzen Welt schafft.
Alles in allem sind wir ausgesprochen multikulturell. und das empfinden wir als Bereicherung.
Nur - im Alltag sind wir oft nicht ganz so souverän. da geht die Berechtigung schon mal unter und wir sind rassistisch wie jene, die wir so heftig deshalb kritisieren. Vielleicht drücken wir uns verhaltener oder subtiler aus - aber wird es dadurch weniger rassistisch? "Die Türken" finden wir schon ziemlich frauenfeindlich, "die Türkinnen" rückständig und unterdrückt, "die Franzosen" nationalistisch und ausländerfeindlich, "die Südamerikaner" sind machos, "die Aussiedler" reaktionär, "die Roma" betteln und klauen halt eben ... ... Daß unsere Schwester, Tochter oder Bekannte einen ausländischen Lebensgefährten hat, betrachtet wir durchaus skeptisch; die Armut der Welt können wir nicht beheben und fordern dafür von unserem gemütlichen Arbeitszimmer in unserer großen Wohnung aus die menschenwürdige Unterbringung der ausländischen Flüchtlinge; unsere Kinder sollen wissen, wie miserabel es ihren AltersgenossenInnen in der "Dritten Welt" geht, aber sie müssen ja nun nicht gerade auf die Schule mit dem hohen AusländerInnenanteil gehen; wir geißeln die Isolation und Vereinzelung in unserer Gesellschaft, aber die marokkanische Nachbarin, die nie aus dem Haus kommt, besuchen wir nicht ...
Rassismus im Alltag: das ist die Unfähigkeit, innere Grenzen zu überschreiten - und die Angst davor. Daran ändern auch unsere theoretischen Kenntnisse nichts. Wir haben unsere inneren Grenzen vielleicht über Jahre hin immer perfekter verpackt, aber existieren tun sie trotzdem. Natürlich erinnern wir uns an die Geschichte über "Zigeuner" und "Neger" in unserer Kindheit und wissen es heute besser - aber wo sind die Bilder, die damals in unseren Köpfen entstanden? Und: welche Bilder vermitteln wir heute unseren Kindern?
Auf Ausländerfeindlichkeit reagieren wir oft, indem wir AusländerInnen grundsätzlich in Schutz nehmen, sie beschützen und unterstützen, ihnen helfen, sie betreuen - immer davon ausgehend, da· sie uns brauchen, denn wir sind stark und sie sind schwach in diesem Land. Nur: damit kommen wir einem gleichberechtigten Zusammenleben nicht näher. Dabei steht die Notwendigkeit der Unterstützung und Hilfe für EinwanderInnen nicht zur Diskussion: natürlich ist sie unentbehrlich und natürlich sind die Betroffenen darauf angewiesen. Aber was geht dabei in den Köpfen der HelferInnen ab? Ist es nicht so, da· wir denen, die wir oftmals ehrlich bedauern ob ihrer miserablen Lebenssituation und denen wir helfen wollen dabei nicht die gleiche "Kompetenz" zugestehen? Und: könnten wir uns so ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen? Aber gerade die Auseinandersetzung, auch der Streit, über Lebensformen, Lebensperspektiven, kulturelle Einflüsse und politische Einstellungen muß doch Bestandteil einer multikulturellen Gesellschaft sein, die es ernst damit meint. Solange sich "Vielfalt statt Einfalt" auf die Speisekarte und die Hitparade beschränkt, solange können wir "Multikulti" getrost der Werbung überlassen (Die hat auch schon zugegriffen).
Konflikte innerhalb unserer Gesellschaft nehmen wir im Allgemeinen nicht nur hin, sondern fordern sie heraus mit unserem Widerspruch und unseren "anderen" Vorstellungen zur `herrschenden` Politik. Nur "Multikultur" - die soll immer möglichst schön und friedvoll sein. ängstlich vermeiden wir den bissigen Streit mit dem persischen Kollegen oder der türkischen Mitbewohnerin, denn das könnte als ausländerfeindlich verstanden werden, und das wollen wir auf gar keinen Fall. Auch wenn das wiederum heißt, damit dem/der anderen erst gar keinen .(?).. zu geben, sich mit uns zu streiten. oder: Kaum fallen die deutschen MitbürgerInnen über `bettelnde Roma` her, sind wir ratlos und wissen auch nicht so recht, was wir dem entgegen halten sollen außer moralischen Appellen und Solidaritätserklärungen mit den Betroffenen. Beides ist zweifellos wichtig und gut, aber ebenso wichtig und unverzichtbar ist die Ebene, die diffuser und weniger greifbar ist: nämlich unser ganz persönlicher Umgang mit den Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen hierher kommen und hier leben wollen oder müssen.
Diese beiden Ebenen miteinander zu verknüpfen ist dringend notwendig - aber eben auch mühsam für jede/n Einzelne/n. Denn es bedeutet, bei sich selbst anzufangen - die inneren Grenzen zu erforschen, dem eigenen Rassismus auf der Spur zu bleiben und auch im Alltag als solchen wahrzunehmen und - zu überwinden.
Dazu gehört auch, bewußter mit unserer Sprache umzugehen: "Asylanten" sagt inzwischen (fast) jede/r und merkt nicht, da· er /sie damit den latent abfälligen Begriff übernommen hat, der vor Jahren von denen, die wir so gern ausländerfeindlich nennen, eingeführt wurde.
"Multikulturell" ist längst kein "Reiswort" mehr, weil wir vor lauter "Multikulti" den Inhalt dessen irgendwo verloren haben - aber wir haben doch mal mehr und anderes damit gemeint als heute noch damit ausgedrückt wird?
Das Wort "AusländerIn" wollen wir nicht mehr benutzen, stattdessen "MigrantIn" oder "EinwanderIn" - einverstanden, wenn das bedeuten soll, da· sich in unseren Köpfen etwas verändert hat. Aber ist das oder greifen wir zur Kosmetik, wohl wissend, da· sich in uns noch vieles verändern muß? Das sind drei in sich unterschiedliche Beispiele aus unserem Sprachgebrauch, die eines deutlich machen: wie wenig bedeutsam wir mit unserer Sprache umgehen und wie oberflächlich wir uns manchmal ihrer bedienen.
Das gilt eigentlich auch für das Wort "Rassismus", das wir als gegeben hinnehmen und mit dem auch wir zwischen "Rassen" unterscheiden. Und schon bewerten wir auch unwillkürlich, oder? Rassismus im Alltag?!?