Rede anläßlich des TAG X in Bonn 26.-5.1993

von Volker M. Huegel

Guten Tag, ich möchte zuerst einmal meinen Unmut darüber äußern, wie wir im Vorfeld zum Tag X und auch noch heute in die Nähe von Verfassungsfeindinnen und -feinde gerückt wurden und werden. Es ist schon ein starkes Stück, wenn wir als diejenigen, die die Verfassung schützen wollen a) kaum Gehör finden und b) auch noch von denjenigen diffamiert werden, die diesen beispiellosen Verfassungs­bruch am Menschenrecht auf Asyl gnadenlos durchziehen.

 

Aus einer anfänglichen Verbeugung vor den Rechten ist ein Kniefall - hin zu einer "Verschönhuberten'' Verfassung - geworden. Seit mehr als 13 Jahren ha­ben wir in der Bundesrepublik eine Flüchtlingspolitik, die gekennzeichnet ist durch Diffamierung, Abschreckung und Abschottung. Immer wieder höre ich den gleichen Unsinn von massen­haftem Asylmißbrauch, von Sozialschmarotzern und vom Boot, das voll sei, verbunden mit immer neuen Forde­rungen nach Einschränkungen bzw. Ab­schaffung des Asylgrundrechtes aus der Verfassung. Dies soll ja heute vollzogen werden: Wer aber der Ansicht ist, Men­schenwürde und Menschenrechte von Flüchtlingen ständen erst heute zur Disposition, wären erst durch den geplanten neuen Art 16a des Grundgesetzes in Ge­fahr, irrt gewaltig. Von der Gewalt auf der Straße distanziert man sich. Von der strukturellen Gewalt in Verwaltung, den Gesetzen und in der Politik wird nicht geredet, sie wird geleugnet. Auch viele

der "runden Tische" die sich in vielen Städten gebildet haben, schreckten vor der Kritik an den Verhältnissen in der eigenen Stadt zurück. Es gibt eine end­lose Reihe von Beispielen, wie sich die Abschreckungspolitik im Lande gegen­über Flüchtlingen zeigt. Seit langem le­ben Flüchtlinge in Deutschland mit der an ihnen praktizierten Abschreckung. Auf ihrem Rücken wird der Streit um die Begrenzung des Zuzuges weiterer Flüchtlinge ausgetragen. Gebetsmüh­lenhaft wiederholen Flüchtlingsinitiati­ven, Kirchen und Wohlfahrtsverbände die gesicherte Erkenntnis, daß diese Ab­schreckungspolitik zutiefst inhuman ist und daß nicht einmal die vorgeblichen Effekte durch sie erzielt werden. Die Vergangenheit hat bereits gezeigt, daß trotz immer weiter verschärfter Abschreckung die Zahl der Flüchtlinge zu­nahm, denn Flucht basiert auf dem Pus­heffekt, sie werden vertrieben und nicht durch Sozialhilfe angelockt; und so wi­dersinnig das erscheint: diese Abschreckung ist zudem, erheblich teurer als z.B. dezentrale Unterbringung und Auszah­lung von Sozialhilfe in bar.

Wir haben wieder Lager in Deutschland. Ehemalige Kasernen, eingezäunt und fast ohne Besuchsmöglichkeiten bilden den Kern des neuen Flüchtlingsunterbringungsprogramms von Bund und Land. Wir haben die Zentralen Auslän­derbehörden mit den im Schnellverfah­ren arbeitenden Außenstellen des Bun­desamtes und wir haben sogar eigens eingerichtete Abschiebeknäste, Wir ha­ben ein Arbeits- und  Ausbildungsverbot und die Residenzpflicht, was nicht die Möglichkeit meint, in einem Schloß, ei­ner Residenz zu wohnen, sondern be­deutet, daß Flüchtlinge den Bezirk der Ausländerbehörde nicht verlassen dür­fen. Wir  haben die unselige Gutscheinpraxis und die "Gemeinschaftsverpflegung." Dies geschieht natürlich alles streng rechtstaatlich. Und der "wirklich" - politisch Verfolgte soll vielleicht gerade dadurch weiterhin geschützt werden. Für Beratung und Betreuung ist da leider kein Platz. Was wir Flüchtlingen damit alles bescheren! Über die psychischen Folgen mag ich gar nicht erst nachdenken. Und wenn dagegen protestiert wird, wenn Flüchtlinge in den Hungerstreik treten, wenn Unterstützerinnen dagegen auf die Straße gehen und die Öffentlichkeit suchen? Aber Zivilcourage und ziviler Ungehorsam sind eben nur dann genehm, wenn es gegen Unrechtsregime geht, Ein demokratisches System wie das der Bundesrepublik kann nicht irren. Was den Parteienkompromiß anbelangt, so haben wir zu den angeblich sicheren Herkunftsstaaten und den sicheren Drittstaaten schon einiges gehört. Eines möchte ich aber. noch einmal betonen, denn es gehört zur Lagerpolitik:

Bei Einreise auf dem Luftwege wird es ein neues Abschottungsinstrument geben: Die "exterritorialen" Lager. Hier wird das fiktive Aus- oder Niemandsland der Ort für Flüchtlinge, wo darüber entschieden wird, ob sie überhaupt einreisen dürfen. Wer aus einem sogenannten          "sicheren" Herkunftsland kommt, wessen  Reisedokumente fehlen oder gefälscht sind, kann in diesen Lagern bis zu drei Wochen festgehalten werden; Für diese Flüchtlinge gelten dann nochmals verschärfte Sonderregelungen. Über sie wird im Schnellverfahren über Asylantrag und Einreise bei Rechts­mittelfristen von nur immerhin noch 48! Stunden entschieden. Klar, alle Flücht­linge sprechen ja Deutsch, alle können sich Anwälte leisten, die Versorgung im Flughafenlager wird den Strapazen der Flucht entsprechend fürsorglich sein??? Daß das nicht so  sein wird,   garantiert uns schon das geplante Asylbewerber­leistungsgesetz. Dieser Teil des Parteienkompromisses wird gerne übersehen und hat kaum die Öffentlichkeit bewegt, obwohl auch hier die Eingriffe in das Sozialstaatsprinzip ungeheuerlich sind. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine Personen­gruppe, die Anspruch auf Sozialleistun­gen hat, aus dem BSHG und dem Sozi­algesetzbuch hinaus gesetzesentwürfelt. Damit sind Gleichheitsprinzip und die vorgeschriebene Orientierung an der Menschenwürde für Flüchtlinge endgültig weggefallen. Im Einzelnen be­deutet das: Für Flüchtlinge gilt durch­gängig das Sachleistungsprinzip bei noch niedrigeren Ansprüchen, Gemein­schaftsessen und 80,- DM Barleistung im Monat, Wegfall aller Mehrbedarfsleistungen. Dazu gibt es -zur Freude der Betreibergesellschaften  der Aufnahme­lager von DRK, AWO und Malteser Hilfswerk- Zwangsarbeit zur Aufrechterhaltung des Betriebes im Lager für DM 2,- die Stunde und das obwohl wir seit dem 14. dieses Jahres ja wieder ein Arbeitsverbot für Flüchtlinge haben.

Herr Blüm hatte sich ja schon im März beeilt festzulegen, daß Flüchtlinge erst dann einen Arbeitsplatz annehmen dür­fen, wenn sich die Arbeitsämter 4 Wochen vergeblich um eine deutsche oder EG-Arbeitskraft bemüht haben.

Aber was bedeutet das für uns, für die zukünftige Arbeit mit Flüchtlingen? Wir müssen neue Wege einschlagen. Galt es bislang, bei Flüchtlingen die Menschenrechte, orientiert am Art. 1  unseres Grundgesetzes, einzufordern, galt bislang, daß die Verhinderung von Abschiebungen auf gesetzlichen Grundla­gen stand: auf dem Grundgesetz, der GFK, der EMRK und dem Ausländerge­setz, so ist dies wohl in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen möglich. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß es nicht nur bei Flüchtlingen immer schwerer wird, einen Aufenthalt von Nicht-EG  Staatsangehörigen zu verfestigen. Die Abschiebungsschutzregelungen wurden immer durchlässiger und fehlen in Zukunft für einen großen Teil der Flücht­linge ganz die "normative Kraft des Faktischen" sowie die immer dreisteren Versuche der Verwaltungen, Abschie­bungen als gerechtfertigt und rechtmäßig einzustufen, bringen Flüchtlinge (vor allem Roma haben das am eigenen Leibe zu Hunderten erfahren müssen) und die sie Unterstützenden in immer ausweglosere Situationen. Der stetig wachsenderen Hilflosigkeit und Angst auf Seiten der Flüchtlinge steht ein kaum noch funktionierender Katalog an Abschiebungsschutzmaßnahmen ge­genüber. In den Initiativen, Beratungs­stellen und bei den Rechtsanwälten gibt es oft nur noch die legale Möglichkeit der "freiwilligen" Rückkehr oder des Untertauchens, da die rechtlichen Ab­schiebungsverhinderungsmöglichkei­ten fast völlig fehlen. Nicht umsonst wird Kirchenasyl immer häufiger als letzter Ausweg praktiziert. Die Kerne frage für die Zukunft lautet: Tun wir etwas gegen anstehende Abschiebungen, ja oder nein? Zu bedenken ist auch: Läßt es sich mit unserem Menschenbild ver­einbaren, Menschen gegen ihren Willen, irgendwohin abzuschieben? Abschie­bung. Ein bedenkenswertes Wort; klingt nach Stückgut! Stammt bestimmt aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Und - was können wir tun? Kirchenasyl ist zuallererst ein gesellschaftspolitisches Signal, denn die Zahl der zu erwarten­den Illegalen - als Folge des neuen Art. 16a - steht in keinem Verhältnis zu den vorhandenen Plätzen. Obwohl, wenn ich es recht bedenke - es gibt ja doch schon einige Kirchen in Deutschland – und wenn die dann alle ... ? Bis das passiert lautet meine Forderung an uns alle: Wenn die Politik die Menschenrechte für Flüchtlinge aushebelt, werden wir mit dem Praktizieren des Menschenrechtes auf Asyl antworten. Das Kölner und an­dere Beispiele mutigen Versteckens sind eine der denkbaren Antworten. Wir können und dürfen es nicht zulassen, daß von Deutschland aus weiterhin de­portiert und abgeschoben wird. Die brutale Gewalt in den Gesetzen, von der Verwaltung umgesetzt, in die wir Flüchtlinge zwingen, erfordert mehr als diese Demo, sie benötigt unseren Widerstand und unser Engagement. Und denjenigen, die glauben, es wäre schon genug Einsatz, heute hier zu sein, be­scheinige ich gerne, daß sie sich so bil­lig nicht aus ihrer Verantwortung als Menschen herausstehlen können. Und während wir hier im in Bonn am Kunstmuseum stehen - natürlich mäch­tig betroffen - sitzen Zehntausende von Flüchtlingen überall im Lande bei gesundem deutschen Gemeinschaftsessen und gemessen in komfortablen Mehrbettzimmern mit DM 2,30 pro Tag die Annehmlichkeiten im Wohlstandsdeutschland.

Ein kleiner, sicherlich unbeabsichtigter Nebeneffekt: durch Gutscheinregelung und Gemeinschaftsverpflegung wird es Flüchtlingen unmöglich gemacht, sich im Dickicht des Asylverfahrens zu be­haupten, denn Anwälte können sie ja nicht mehr bezahlen ... Ausgrenzen und kasernieren, Gemeinschaftsverpflegung vorschreiben und Gutscheine anordnen, ihre Fluchtgründe ignorieren und rigoros abschieben, aber natürlich gleichzei­tig betonen, daß man selbstverständlich gegen Fremdenhaß ist. Das ist generöse und humane Asylpolitik im Jahr 1993. Sind wir denn aber bereit, gleich­berechtigt mit Zuwanderinnen und Flüchtlingen zu leben und von unseren Privilegien abzugeben? Ein eindeutiges "Kommt darauf im" wäre bei den mei­sten von uns wohl die ehrlichste Ant­wort. Ich sage es ungern, aber es war auch für mich ein bitterer Lernprozeß zu erkennen, daß ich ein Rassist bin. Aber ich sage auch: ich will den Rassismus bekämpfen, weil ich das gleichberech­tigte zusammenleben mit Menschen an­derer Kulturen und Nationalitäten will. Ich glaube daran, daß wir dem - von mir nur in Ansätzen skizzierten Unrecht - nur gemeinsam begegnen können. Wir in der Flüchtlingsbewegung werden, da Gesetze und Verordnungen die Men­schenwürde und -rechte der Flüchtlinge aktiv und permanent verletzen, mit zi­vilem Ungehorsam reagieren. Wir wer­den Flüchtlinge besuchen, sie beraten, wir werden Gutscheine umtauschen und sie bei ihren Protesten unterstützen, wir werden mit allen juristischen Mitteln für

ihren legalen Aufenthalt kämpfen und werden sie notfalls verstecken -aber stets mit dem Ziel, ihnen einen legalen Aufenthalt zu ermöglichen, obwohl wir erst lernen müssen, wie wir mit den, nach dem TAG X zu erwartenden zahl­losen, chancenlosen, durch die Bundes­regierung in die Illegalität getriebenen Flüchtlinge umgehen werden. Vielleicht kann da mal zur Abwechslung was Gutes aus den USA importiert werden: die Sanctuary-Movement mit ihrem phantastischen über das ganze Land ausgedehnte Netzwerk zum Schutz von Flüchtlingen und Illegalen. Mit Zorn, Wut und Hoffnung sage ich: falls der gute alte Art. 16 heute fällt, muß die Lo­sung gelten: Art 16 zurück in die Ver­fassung! - und zwar um unseretwillen, für eine Gesellschaft, deren Qualität an der praktizierten Humanität und unserer Partizipationsbereitschaft mit Flüchtlin­gen und Migrantinnen ablesbar ist.

Ergo liebe Freundinnen und Freunde:

Jetzt dürfen wir erst recht nicht aufge­ben! Laßt uns gemeinsam eintreten und weiterkämpfen für Menschenrechte, Gleichberechtigung, Demokratie, Frie­den und die Liebe.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt