Welt-Erschöpfungstag

Rede zum Hiroshimatag

von Arnold Köpcke-Duttler
Initiativen
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Wir dokumentieren im Folgenden eine Rede, die zum Hiroshima-Tag am 6. August 2021 gehalten wurde.
Wenn Sie heute, am 6. August, an den Donnerstag der vergangenen Woche zurückdenken, was würde Ihnen auffallen, und würden Sie eine Verbindung zu dem heutigen Tag, dem Tag der Erinnerung an das Massaker von Hiroshima, schlagen? In diesem Jahr ist der sogenannte „Welt-Erschöpfungstag“ bereits auf den 29. Juli vorgerückt. Es ist der Tag, an dem die der Menschheit zur Verfügung stehenden biologischen Ressourcen aufgebraucht sind, die die Erde innerhalb des ganzen Jahres wiederherstellen kann.

Der lebensbedrohliche Zustand der Erde und der ganzen Menschheit beginnt schon gegen Ende des siebten Monats des Jahres. Dabei wird noch nicht einmal die Frage gestellt, an welchem Tag die Erde bereits erschöpft wäre, lebten alle Menschen gemäß dem Maß des bei uns herrschenden materiellen Wohlstands, der freilich höchst ungleich verteilt ist. Zu sprechen ist heute demnach von zwei Welt-Situationen, durch die das Leben der nachfolgenden Generationen in höchste Gefahr gestürzt wird.

IGH-Gutachten: Umwelt als living space
Das beiden Gemeine soll nun genauer dargelegt werden. Heute vor fünfundzwanzig Jahren veröffentlichte der Internationale Gerichtshof in Den Haag ein Rechtsgutachten, mit dem begründet wird, warum der Einsatz und schon die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen gegen fundamentale Prinzipien des Völkerrechts verstoßen und der die Menschenrechte begründenden Idee der Würde der menschlichen Person widersprechen. Die Richter haben schon damals angefügt, sie gefährdeten die menschliche Umwelt in einer Art, die das ganze Leben auf dem Planeten Erde bedrohe. Schon der Internationale Gerichtshof hat das Schutzgut Umwelt als living space der ganzen Menschheit erkannt. Atomwaffen verursachen über Generationen hinweg körperliche Missbildungen, genetische Schädigungen und verletzen unwiderruflich die Rechte der kommenden Generationen. Zu den humanitären Prinzipien des Völkerrechts gehören das Verbot von Völkermord, das Verbot der Umweltzerstörung und das Verbot von Generationen übergreifenden Schädigungen.

Dass die atomaren Vernichtungsmittel bereits in der Gegenwart Menschen getötet haben und töten, sei nur mit drei nuklearen Unfällen belegt. 17. Januar 1966: Eine B 52 mit Wasserstoffbomben an Bord stürzt bei einem Flug über Spanien ab. Die Gegend wird radioaktiv verseucht. 6. Juli 1979: Auf dem Mururoa-Atoll im Pazifik kommt es während französischer Atomtests zu einer Explosion. 9. April 1989: Ein sowjetisches Atom-U-Boot fängt vor der Küste Norwegens Feuer und sinkt. 42 Menschen wird ihr Leben geraubt. (1)

Schon die Konferenz von Rio im Juni 1992 verknüpfte Entwicklungs- mit Umweltfragen und entwarf Konturen des Konzepts nachhaltiger Entwicklung. Dazu gehören auch der Schutz der Umwelt in bewaffneten Auseinandersetzungen und das Verbot grenzüberschreitender Umweltschädigung. (2)

Klimaschutz und Grundgesetz: Leben und Freiheit der Nachfolgenden
Aktuell schlägt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 hohe Wellen. Auch wenn der Klimaschutz in dem Text des Art. 20a Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird, so gehört er nach dieser verbindlichen Entscheidung zu den natürlichen Lebensgrundlagen, die auch in Verantwortung für die künftigen Generationen zu schützen sind. Nicht allein wird dem Klimaschutzgebot eine internationale Dimension zugesprochen. Zudem verpflichte das Grundgesetz zu der Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Von intertemporaler Freiheitssicherung ist die Rede. Der Schutzauftrag des Art. 20a Grundgesetz schließe die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten. (3) Das Lebens- und Freiheitsrecht der nachfolgenden Generationen ist jetzt schon zu wahren; der Nachweltschutz, den der lange Zeit in Würzburg lehrende Staatsrechtler Professor Hasso Hofmann in dem Kontext der „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung“ in einer Abhandlung schon gegen Ende der achtziger Jahre gefordert hat, wird jetzt hervorgehoben, die Solidarität mit den kommenden Generationen, deren Freiheit auch durch die Atombomben und die nukleare Teilhabe verletzt wird.

Verbots-Konvention
Am 7. Juli 2017 haben 122 Staaten auf der United Nations Conference to Negotiate a Legally Binding Instrument to Prohibit Nuclear Weapons, Leading Towards their Total Elimination den Atomwaffen-Verbotsvertrag verabschiedet. Da mehr als 50 Staaten den Vertrag ratifiziert haben, ist er in Kraft getreten. Der Weg aus der Menschen und die Menschheit entwürdigenden atomaren Vernichtungslogik und der nuklearen Teilhabe ist weiter mutig und zügig zu gehen. Ich rufe in Erinnerung, dass weltweit seit Jahrzehnten viele Verträge über geographisch abgegrenzte nuklearwaffenfreie Gebiete besehen. (4) Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Verbotsvertrag muss unverdrossen weiter gefordert werden.  

Anamnetische Solidarität
Wichtig ist die weitere Verbreitung des „Frankfurter Appells“ (Erklärung der Initiative „abrüsten statt aufrüsten“) vom Oktober des vergangenen Jahres. Darin heißt es, Auf- und Hochrüstung verschärfe die Gefahr neuer Kriege und verschwende wertvolle Ressourcen, die für eine friedliche Weltordnung dringend gebraucht werden – für den Klimaschutz, die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Entwicklungszusammenarbeit und die Verwirklichung der Menschenrechte. Das Gebot der Stunde laute: Investitionen in die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation – in Hochschulen, Schulen und Kitas, in den sozialen Wohnungsbau, in die öffentliche Infrastruktur, in mehr soziale Sicherheit, in den Klimaschutz und eine ökologische Kreislaufwirtschaft. Wer den Frieden wolle, müsse für den Frieden (gewaltfrei) kämpfen. (5) Dieser Aufruf eines großen Bündnisses wird durchdrungen von einer anamnetischen Solidarität, von der Kraft der Erinnerung an die Leiden der Menschheit und von der Hoffnung auf seine Aufhebung. Solidarität bezieht die Opfer, die Benachteiligten, die Gestorbenen  und die nachfolgenden Generationen ein. Der Horizont universaler Solidarität ist – über diesen Appell hinaus- weit auszuspannen. (6)

Zusammenstehen von Klimaschutz- und Friedensbewegung
Wenn ich hier ein Zusammenstehen der Klimaschutz-Bewegung und der Friedensbewegung in seiner Notwendigkeit anspreche, so nehme ich eine doppelte Gefahr der Selbstdestruktion der Menschheit wahr: Selbsttötung durch die Aufrüstung und die atomare Bewaffnung und durch die sich zuspitzenden sozialen und ökologischen Krisen. (7) Mit Händen zu greifen ist die Berechtigung der Sorge vor einer Welle des „Öko-Faschismus“, die Naomi Klein in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung geäußert hat. Wenn die extreme Rechte die klimatische Verschärfung nicht mehr länger leugnen könne, werde sie aufrufen, die Grenzen zu schließen vor den wegen der Erhitzung fliehenden Menschen. Das werde zu einem neuen Krieg gegen Immigranten führen. (8)

Angesichts der multiplen Krisen und einer derartigen Gefahr helfen nur große Bündnisse und die wechselseitige Öffnung der Horizonte der anamnetischen Solidarität.

Anmerkungen
1 Richter Christopher Gregory Weeramantry. Ehemaliger Vizepräsident am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, Warum die atomare Bedrohung von Tag zu Tag zunimmt (Broschüre hg. v. IALANA. Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen), April 2005, Ziffer 7
2 Zum Umweltvölkerrecht s. Knut Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. München 2018, S. 1087 ff.
3 Leitsätze des Beschlusses vom 24. März 2021
4 Ipsen, Völkerrecht, a.a.O. S. 1212 – 1214; Harald Müller u.a., A Nuclear Weapon-Free Zone in Europe. Concept – Problems – Chances, 8. Mai 2015
5 Carl Friedrich von Weizsäcker, Friede und Wahrheit, in: Der ungesicherte Friede, Göttingen 1969, S. 9 – 31; Arnold Köpcke-Duttler, Zur Ächtung des Kriegs, in: Dialogische Erziehung, Nr. 1-2/2021, S. 14 – 20
6 Heribert Prantl, Not und Gebot, 3. Aufl. München 2021, S. 181 f.
7 Bernhard Trautvetter, Die Klimabewegung übergeht das Erfordernis der Friedensökologie, in: Nachdenkseiten vom 11.08.2021
8 Süddeutsche Zeitung Magazin, 30. Juli 2021, S. 23

„Der 6. August – Tag der globalen Atomwaffenabrüstung“
von Otto Jäckel, dem Vorsitzenden der IALANA Deutschland e.V. am 6.8.2021 in Kassel

Zehn Ideen für kleine Schritte für die noch laufende und für die künftige Bundesregierung:

  1. Unterzeichnen und ratifizieren Sie den Atomwaffenverbotsvertrag!
     
  2. Die nukleare Teilhabe macht aus Deutschland einen von den USA abhängigen Vasallen. Beenden Sie diesen völkerrechtswidrigen und zugleich unwürdigen Zustand! Deutschland braucht eine von den USA unabhängige, eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik!
     
  3. Stoppen Sie die geplante Stationierung der neuen B 61-12 Atombomben in Deutschland und die geplante Anschaffung neuer Boeing F 18 Jagdflugzeuge als nukleare Trägerwaffen!
     
  4. Beenden Sie den Übungsbetrieb mit Atomwaffen auf den Fliegerhorsten in Büchel und Nörvenich!
     
  5. Sagen Sie die Teilnahme deutscher Jagdflugzeuge an der Atomwaffenübung Steadfast Noon ab!
     
  6. Erklären Sie in der nuklearen Planungsgruppe der NATO, dass Deutschland jede Planung von Atomwaffeneinsätzen künftig ablehnt und sich hieran nicht mehr beteiligen wird!
     
  7. Initiieren Sie eine nukleare Abrüstungskonferenz aller fünf Atommächte gemeinsam mit den inoffiziellen Atommächten Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Deutschland verfügt über entsprechende diplomatische Erfahrung und Gewicht aus den Verhandlungen über das Atomabkommen mit dem Iran. Atomare Abrüstung ist heute keine Angelegenheit mehr, die nur zwischen den USA und Russland verhandelt werden kann. Wirkliche Erfolge kann es dabei nur geben, wenn auch China und alle anderen Atommächte an den Tisch kommen!
     
  8. Ergänzen Sie das Atomausstiegsgesetz um die Schließung der Brennelementfertigungsanlage Lingen und der Urananreicherungsanlage Gronau. Nach der Schließung der deutschen Atomkraftwerke werden diese Fabriken für den deutschen Bedarf nicht mehr benötigt, es sei denn Deutschland will sich eine Hintertür offen halten, in die Atomenergie wieder einzusteigen oder gar zukünftig Uran zum Bau eigener Atomwaffen anzureichern. Diese Hintertür muss geschlossen werden!
     
  9. Besinnen Sie sich auf den Gedanken der kollektiven Sicherheit, der zur OSZE und der Charta von Paris geführt hat! Sicherheit kann es nur gemeinsam mit Russland und mit China und ebenso nur mit Nordkorea und mit dem Iran geben und nicht gegen sie!
     
  10. Erklären Sie den 06. August, den Gedenktag an Hiroshima und Nagasaki, zum Tag der globalen Atomwaffenabrüstung!

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Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge. Er hat verschiedentlich zu pädagogischen Themen und zu Gandhi und anderen VertreterInnen der Gewaltfreiheit publiziert.