Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
NATO strebt zu neuen Ufern:
Reorganisation heißt die Devise
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Wer die Hoffnung hegte, daß mit den weitgehenden Reformprozessen in der UdSSR und den tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen in Osteuropa sowie mit den damit verbundenen außenpolitischen Veränderungen - faktische Auflösung der WVO, umfassende einseitige Abrüstung der UdSSR und der osteuropäischen Staaten - eine Aufhebung des Blocksystems und die Schaffung einer von Blöcken, Konfrontationspolitik und Feindbildern freien neuen europäischen Friedensordnung realisierbar würde, muß sich bitter enttäuscht sehen. Denn zwar ist der "Ostblock" zerfallen, der "Westblock" allerdings steht stärker da als je zuvor und denkt nicht daran, das Verschwinden des einstigen Gegners als Anlaß auch der eigenen Auflösung zu nehmen. Vielmehr ist die NATO dabei, ihre Positionen auszubauen und sich den veränderten internationalen Rahmenbedingungen anzupassen. Nicht Selbstliquidation, sondern Reorganisation steht auf der Tagesordnung etablierter NATO-Politik.
Das vereinte Deutschland wird Vollmitglied der NATO sein. Selbst die Einbeziehung des (heute noch) DDR-Territoriums in die militärischen NATO-Strukturen wird nur für drei bis vier Jahre aufgeschoben - solange nämlich, bis die sowjetischen Truppen von dort vollständig abgezogen sind (so die öbereinkunft Kohls mit Gorbatschow in Moskau am 16.7.1990); und bereits vorher, "sofort nach der Einigung Deutschlands" werden nicht-NATO-integrierte Verbände der Bundeswehr auf dem Gebiet der heutigen DDR und in Berlin stationiert werden (ebenfalls laut öbereinkunft Kohl-Gorbatschow)- diese Verbände sind selbstverständlich als Streitkräfte eines NATO-Staats auch voll an NATO-Planungen angepaßt. Eine Ausdehnung der NATO auf andere ehemalige WVO-Staaten scheint nicht ausgeschlossen..
Wenn sich die NATO jetzt als quasi "natürliches" neues "europäisches Sicherheitssystem" (unter Ausschluß der UdSSR) präsentiert, wird damit lediglich die Ausdehnung der militärischen Einflußsphäre des Westens nach Osten kaschiert. Der KSZE, die tatsächlich Kern und Ausgangsbasis für die Schaffung eines gesamteuropäischen Systems Kollektiver Sicherheit sein könnte, wird dagegen von der NATO allenfalls eine nachgeordnete komplementäre Rolle zugebilligt, das NATO-Establishment will eine nach wie vor möglichst schwache KSZE als "Ergänzung" einer starken NATO.
Diese NATO wird auch weiterhin militärisch abgestützte Machtpolitik betreiben, Bedrohungen (oder wie es jetzt vornehmer heißt: Risiken), gegen die militärische Vorsorge getroffen werden muß, bleiben aus Sicht des NATO-Establishments weiter bestehen, neue Legitimationen für die Fortexistenz des Militärpakts werden zurechtgezimmert und im öffentlichen Bewußtsein verankert:
- die UdSSR wird weiterhin als Risikofaktor dargestellt, und zwar mit unterschiedlichen Begründungen: einmal als militärische Großmacht, die sie aufgrund ihres Nuklearstatus und der zahlenmäßigen Größe ihrer Streitkräfte nun einmal nach wie vor sei; zum anderen als instabiles Gebilde, das aufgrund innerer Widersprüche auseinanderzubrechen droht, was neue Gefahren heraufbeschwöre;
- Instabilitäten in Ost- und Südosteuropa aufgrund von Nationalitäten- u.a. Konflikten mit unkalkulierbarem gewaltträchtigen Potential würden ebenfalls zu neuen Risikoquellen für den Westen werden;
- schließlich - und künftig sicher vorrangig - erwachsen angeblich neue Bedrohungen aus dem Süden, gegen die man militärisch gewappnet sein müsse. Stichworte, die in diesem Zusammenhang in jüngster Zeit immer wieder fallen, sind: islamischer Fundamentalismus, Gaddafi u.a. "verrükkte" Diktatoren aus der Dritten Welt, Drogen, Terrorismus, umfassende Migrationsbewegungen von Süd nach Nord. Es zeichnet sich ab, daß die bisherige Südflanke der NATO zur neuen Zentralfront in der Nord-Süd-Auseinandersetzung wird. Nur ein Indiz dafür: im Mai dieses Jahres wurde erstmals im Mittelmeerraum ein NATO-Großmanöver (Dragon Hammer) durchgeführt, bei dem der Angreifer nicht aus dem Osten, sondern aus dem Süden kam. Die Regionen out-of-area (= außerhalb des NATO-Vertragsgebiets) in der Dritten Welt werden künftig für die NATO immer wichtiger. Das führende europäische NATO-Mitglied BRD verstärkt seit geraumer Zeit sein Engagement an der Südflanke (Beispiel: ständige Präsenz von Einheiten der Bundesmarine im Mittelmeer), und Lothar Rühl stellt bereits " für Deutschland... auch die Frage nach einer Mitwirkung an der Verteidigung Europas in Richtung Süden zum Mittelmeer hin, insbesondere mit See- und Luftstreitkräften" (Die Welt, 29.6.1990:"Die NATO muß sich von Grund auf reorganisieren").
Der veränderten Lage wird die NATO ihre posture (ihre Streitkräfte, Doktrin usw.) anpassen. Das kann auch heißen: Reduzierung von mittlerweile dysfunktionalen Potentialen an der ehemaligen Zentralfront zugunsten des Aufbaus kleinerer hochmobiler feuerkräftiger Verbände als flexibel einsetzbare Instrumente für "Eventualfälle" verschiedenster Art an verschiedensten Orten (Schnelle Eingreiftruppen für out-of-area-Einsätze, Einheiten für "Konflikte niedriger Intensität",...); in der "Londoner Erklärung" des NATO-Gipfels vom 6.7.1990 heißt es : "Das Bündnis wird über kleinere und umstrukturierte aktive Streitkräfte verfügen. Diese Streitkräfte werden hochmobil und anpassungsfähig sein, so daß den Verantwortlichen der Allianz bei der Entscheidung über die Reaktion auf eine Krise ein Höchstmaß an Flexibilität gegeben ist". Und das wird ferner bedeuten: Veränderung der Militärstrategie, insbesondere Aufgabe der "Vorneverteidigung", stattdessen Einsatzplanungen nach dem Motto: "öberall ist vorn". Eine solche Veränderung wird ebenfalls in der "Londoner Erklärung" angekündigt, wobei auf die Fähigkeit zur nuklearen Abschreckung inklusive Drohung mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen keineswegs verzichtet werden soll.
Schließlich - und perspektivisch politisch am wichtigsten - wird auch das transatlantische Verhältnis im Rahmen der NATO reorganisiert werden. Die seit Jahren beschworene "Stärkung des europäischen Pfeilers der atlantischen Allianz" und die Herstellung der "Gleichgewichtigkeit" und "Gleichberechtigung" der nordamerikanischen und der europäischen Bündnis-Komponente wird nunmehr wohl realisiert werden. Die NATO wird sich als "Institution der Abgleichung von Interessen über den Atlantik hin" Andreas Buro: Schlängelt sich die BoA zum Kern der Probleme ?, in: Friedensforum 3/1990, S.37) rekonstruieren.
Der "europäische Pfeiler" soll die Gestalt einer relativ eigenständigen Europäischen Verteidigungsunion bekommen, womit die Europäischen Gemeinschaften dann auch sicherheits- und militärpolitisch komplettiert würden. Es ist erklärte Politik der EG-Staaten, daß die Fortentwicklung der EG zur Politischen Europäischen Union eine sicherheitspolitische Dimension bekommen soll ("Londoner Erklärung": "Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu einer politischen Union, einschließlich des Entstehens einer europäischen Identität im Bereich der Sicherheit"). Für eine öbergangsphase bietet sich die WEU an, deren Parlamentarische Versammlung jüngst - auf ihrer letzten Tagung im Juli - erklärte, daß die WEU eine "europäische Dimension der Verteidigung" vorbereiten müsse, "bis die Verpflichtungen, die sie wahrnimmt, in eine europäische Union integriert" würden. (öbrigens: auch im Militärpakt WEU wird das vereinte Deutschland Vollmitglied sein). Dieser Kurs entspricht den Politiken der wichtigsten westeuropäischen Staaten, die alle, wenn auch z.T. aus unterschiedlichen Motiven und Interessenlagen heraus - eine Europäisierung der Sicherheitspolitik betreiben.
Kurz: Eine von den USA relativ unabhängige Militärgroßmacht (West-) Europa - unter deutscher Führung - erscheint am Horizont der Weltpolitik. Ein solches Resultat hatten die Friedensbewegungen nicht im Sinn, als sie für die "öberwindung der Blockkonfrontation" stritten. Nun ist zwar die Blockkonfrontation in Europa überwunden, weil der eine Block zusammengebrochen ist, aber tatsächlichem Frieden sind wir dadurch nicht näher gekommen. Die Friedensbewegung wird sich auf neue Aufgaben einstellen müssen.