Verbirgt sich hinter der Rede von der gewaltfreien Intervention ein verkappter Friedenskolonialismus? Nicht notwendigerweise, denn Solidarität ist nicht ohne Einmischung zu haben.

Schöner intervenieren

von Renate WanieHans Harthmann
Hintergrund
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Der Begriff Intervention ist selbst mit dem Prädikat gewaltfrei versehen in Teilen der Friedensszene verpönt. Einmischung oder Intervention werden schnell mit militärischem Vorgehen assoziiert. Doch diese sprachliche Tabuisierung geht am Problem vorbei und droht dabei, eigene Handlungsmöglichkeiten einzuschränken.

Wann ist Einmischung legitim?

Ein Konflikt mit dem Gebot der Nichteinmischung, einem der obersten Grundsätze des Völkerrechts, entsteht schon beim Versuch, über Ländergrenzen hinweg Menschen- oder Freiheitsrechte einzufordern. Mit anderen Worten: Selbst elementarste Formen internationaler Solidarität sind ohne Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten unmöglich. Bereits Solidaritätsaktionen in unserem eigenen Land, etwa Briefkampagnen oder Demonstrationen, zielen auch darauf ab, die Verhältnisse anderswo zu beeinflussen.

Einmischung ist insofern eine notwendige Konsequenz des weltgesellschaftlichen Zusammenhangs, in den wir unser Handeln einbetten wollen. Wenn Demokratie- oder Antikriegsbewegungen im Ausland bei Regierungen oder auch bei NGOs Unterstützung suchen, fordern sie zu einer externen Einmischung in die eigenen Angelegenheiten auf.

Was aber macht Einmischung legitim? Und was genau meint gewaltfreie Intervention? Selbstverständlich muß sie auf eine friedliche, demokratische und menschenrechtlich organisierte Gesellschaft hinwirken. Aber weder dies, noch die Zivilität der gewählten Mittel sind hinreichende Kriterien. Die meisten Interventionen geschehen nämlich durchaus in ziviler Form (z.B. als finanzielle Investitionen oder als Investitionsabzug), ohne deshalb unproblematisch oder gar sympathisch zu sein.

Der springende Punkt ist: Die Interventionen geschehen nicht immer mit der Zustimmung der sich in einem Konflikt befindlichen Menschen. Gewaltfreiheit setzt aber die Absprache mit den Betroffenen voraus. Bei Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung wird gewaltfreie Intervention in Form Ziviler Friedensdienste manchmal mit der Vorstellung einer schnellen, aber gewaltfreien Interventionstruppe der Friedensbewegung assoziiert (und abgelehnt). Das ist ein Mißverständnis: Ein Ziviler Friedensdienst soll nicht von sich aus aktiv werden, sondern ausdrücklich auf Einladung und im Einverständnis mit den Menschen vor Ort. Diese müssen die von ihnen benötigte Unterstützung von außen entsprechend ihrem Bedarf selbst mitdefinieren müssen.

Was heißt schon Absprache?

Aber auch diese Konstruktion, die auf dem Schema Anfrage-Absprache-Einsatz beruht, ist nicht wasserdicht: Gerade weil es ja um die Intervention in einen Konflikt hinein geht, werden niemals alle Menschen vor Ort damit einverstanden sein. Möglicherweise wird ein Eingriff von außen sogar innerhalb einer Gruppe, deren Vertreter eine Unterstützung angefordert haben, zu Spannungen führen.

Darüber hinaus sind die Begriffe Einverständnis, Absprache und Zustimmung immer interpretationsbedürftig, von der Zielvorstellung einer «friedlichen, demokratischen und menschenrechtlich organisierten Gesellschaft ganz zu schweigen. Mit anderen Worten: Auch der beste Katalog von Einsatz-Kriterien entlastet die intervenierende Seite nicht vom Entscheid darüber, wann die gesetzten Bedingungen erfüllt sind.

Ähnliches gilt auch für die Durchführung der Einsätze. Der Anspruch der Unparteilichkeit, wie er beispielsweise von Peace Brigades International erhoben wird, ist zwar politisch durchaus sinnvoll. Unter dem Aspekt der Vermittlung ist es sicher auch richtig, mit allen Seiten das Gespräch zu führen. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sogar schon die Präsenz von InternationalistInnen einen Akt der Solidarität darstellt. Denn das ist eine Parteinahme für und gegen bestimmte Interessen vor Ort, Interessen wie beispielsweise die Wahrnehmung selbstverständlicher, verfassungsmäßiger Rechte. Gewaltfreie Intervention ist letzlich keine Angelegenheit objektiver Neutralität, sondern Ausdruck interessierter Solidarität.

Globale Gegenseitigkeit

Zwei Ansätze können aus dem skizzierten Dilemma hinausführen: An erster Stelle das Prinzip globaler Gegenseitigkeit. Gewaltfreie Intervention wird in dieser Perspektive als Teilprozeß innerhalb der Herausbildung einer weltweiten Zivilgesellschaft verstanden Zivilgesellschaft vor allem daher, weil nicht-staatliche Organisationen darin eine Vorreiterrolle spielen.

Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Internationale Friedensaktivisten, die bereits Erfahrungen mit Einsätzen im Ausland gemacht haben, kommen heute mehrheitlich aus westlichen Ländern. Ihr Einsatz führt sie in die Krisengebiete des Südens, allenfalls noch des Ostens. Sind wir etwa die Zivilisierteren, die den Hilfebedürftigen zeigen, wie man kultivierter mit Konflikten umzugehen hat?

Eine solche Haltung würde, um mit dem Friedensforscher Andreas Buro zu sprechen, "an eine fatale Tradition der Missionierung, Entmündigung und Beherrschung" anknüpfen. Ein dauerhaftes Gegengewicht gegen diese Haltung wird letztlich nur die weltweite Verbreitung der Zivilen Friedensdienst (ZFD)-Idee entwickeln können. Immerhin wächst inzwischen die Idee heran, ZFD-AktivistInnen aus anderen Ländern auch in Westeuropa einzusetzen, beispielsweise vorbeugend gegen Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik oder der Schweiz. Mit der internationalen Beobachtung von gewaltfreien Blockade-Aktionen gegen Atommüll-Transporte (Castor) durch eine solche Gruppe wurden in Deutschland sogar schon erste entsprechende Erfahrungen gesammelt.

Politische Selbstreflexion

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat bereits 1995 die Deutsche Sektion der Helsinki Citizen AAssembly gemacht. Zu ihrer Arbeitstagung Zivile Friedensdienste kamen europaweit 60 Menschen aus Ost- und Westeuropa zusammen, um Konzepte und Verbreitung Ziviler Friedensdienste zu erörtern.

Dennoch: Angesichts des realen Chancen- und Machtgefälles zwischen dem Westen und den Ländern des Südens und Ostens, werden die weltumspannenden Mythen von Rasse und Unterentwicklung auf absehbare Zeit eine gleichberechtigte Gegenseitigkeit der Interventionsbeziehungen erschweren. Viele westliche FriedensaktivistInnen haben schon die zwiespältige Erfahrung gemacht, daß ihre weiße Haut bzw. ihr deutscher oder schweizer Paß die solidarische Einmischung wesentlich erleichtert. Doch Friedensarbeit kann nicht auf solchen Mythen der Überlegenheit aufbauen.

Umso wichtiger und damit sind wir beim zweiten Ansatz ist daher die politische Selbstreflexion der Motive, die hinter den eigenen Interventionsabsichten stehen. Es wäre völlig falsch zu verdrängen, daß sich auch hinter dem Bild der gewaltfreien Intervention Überlegenheitsmythen verstecken können. Vielversprechend ist genau das Gegenteil: diesen kollektiven Mythen auf den Grund zu gehen und sie in ein politisches Gespräch über Solidarität, Gegenseitigkeit und Respekt überzuführen.

Fazit

Damit die Idee des Zivilen Friedensdienstes nicht einem möglichen Peace-Kolonialismus Vorschub leistet, müssen in Konzept und Diskussion folgende Punkte betont werden:

Erstens ist das Konzept für zivile Konfliktbearbeitung als internationales Projekt zu verstehen. Zweitens soll ein allfälliger Einsatz nur auf Wunsch und in Absprache mit den Betroffenen zustandekommen, auf die Bedürfnisse vor Ort abgestimmt sein und in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen durchgeführt werden. Drittens sollten die Einsatzteams international zusammengesetzt sein. Viertens muß die Sensibilität für die Situation und den kulturellen Kontext der Konfliktparteien, auf die von außen eingewirkt werden soll, schon vor einem konkreten Einsatz (also während der Ausbildung) geschärft werden. Und fünftens muß das Projekt ZFD in eine politische Diskussion eingebettet sein, welche das Konfliktpotential globaler Chancenungleichheiten und Abhängigkeiten sowie die Gewaltträchtigkeit hiesiger Gesellschaftsstrukturen ins Bewußtsein eines breiten Publikums rückt.

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Hans Hartmann ist Redakteur bei Zitig, der Zeitschrift der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).