-Netzwerk-Hearing zur Menschenrechtslage in Türkisch-Kurdistan

Schweigen tötet - Frieden jetzt!

von Martin Singe

Aus Anlaß des internationalen Tages der Menschenrechte hatte die Netzwerk-Arbeitsgruppe der Friedenskampagne für Nordkurdistan / Türkei eine Anhörung zur Menschenrechtsfrage vorbereitet. Die Veranstaltung fand am 7.12.93 in der Hessischen Landesvertretung statt. Da sich die kommende Ausgabe des Friedensforums schwerpunktmäßig mit der Kurdenproblematik auseinandersetzen wird, soll im Folgenden nur ein kurzer Überblick über dieses Hearing gegeben werden. Einige Beiträge werden wir in der kommenden Ausgabe auszugsweise dokumentieren.

 

Staatssekretärin Riedel begrüßte die Anwesenden und wies auf die besondere Verantwortung der Bundesrepublik hin, die wesentlich zu einer politisch-diplomatischen Konfliktlösung beitragen könnte. Für den Trägerkreis stellte Jürgen Neitzert den Aufruf "Politische Lösungen statt Gewalt!" vor. In diesem Aufruf wird die gegenwärtige Politik der Bundesregierung und insbesondere·die Rüstungshilfe an die Türkei scharf kritisiert; die Regierung wird zur Einstellung jeglicher Rüstungslieferungen, zum Einsatz für einen Waffenstillstand und zum Widerruf des Verbots der kurdischen Organisationen aufgerufen.

Heidi Lankisch ging auf die Geschichte des Konfliktes ein. Anfang der 20er Jahre war auf der Konferenz von Lausanne - ohne Beteiligung der betroffenen Kurden - der kurdische Staat beseitigt worden, woraufhin in allen Staaten, denen die kurdischen Gebiete eingegliedert waren, Zwangsassimilierungsversuche stattfanden. Immer wieder ging es in der Geschichte des Konfliktes auch um wirtschaftliche Interessen(Öl, Bodenschätze, Wasserversorgung der umliegenden Regionen). Bei einem der größten Aufstände in den Jahren 1936-38 hat es über 200.000 Tote gegeben. In der Türkei wurden mit dem Militärputsch 1980 nahezu alle kurdischen Organisationen zerschlagen. Bis heute kennzeichnen den Konflikt auch europäische ökonomische und strategische Interessen, was die unkritische Kooperation mit der türkischen Regierung erklärt.

SPD-MdB Uta Zapf war mit einer Delegation in den Gebieten der zerstörten Dörfer und berichtete über die eigenen Erfahrungen während dieser Reise. Das Selbstbestimmungsrecht solle in den bestehenden staatlichen Grenzen verwirklicht werden. Dazu müsse eine Internationale Konferenz gefordert werden. Die NATO-Staaten hätten eine große Einflußmöglichkeit, wenn der entsprechende politische Wille vorhanden wäre.

Auf sehr große Aufmerksamkeit stießen die ausführlichen Darlegungen zu den konkreten Menschenrechtsverletzungen von Sertac Bucak. Ein ausführlicher Text hierzu kann im Netzwerk-Büro angefordert werden. Zwischen Januar und Oktober 1993 ist der Ausnahmezustand dreimal verlängert worden, es kam zu 503 außergerichtlichen Hinrichtungen (Vorjahr 269), die staatlichen Morde an politisch Oppositionellen haben extrem zugenommen, die militärische "Lösung" solle offensichtlich durchgesetzt werden. Folter wird systematisch angewandt; die Presse- und Meinungsfreiheit ist durch das Antiterrorgesetz bedroht, es kommt zu Verhaftungen und Morden an kritischen Journalisten. Bucak wies darauf hin, daß die ReferentInnen und TeilnehmerInnen an diesem Hearing - fände es in der Türkei statt - gemäß dieses Antiterrorgesetzes mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft werden könnten.

Bucak kritisierte auch deutlich die Verletzung von Menschenrechten seitens der PKK. Aber die jetzige Haltung der Regierung werde immer mehr Kurden auf die Seite der Gewalt drängen. Eine massive politische Intervention sei dringend nötig.

Nach diesen einführenden Beiträgen zur Menschenrechtssituation vor Ort ging es in einem zweiten Themenblock um die Frage der Mitverantwortung der Bundesregierung. Dazu führte Ulla Frey von der Kampagne gegen Rüstungsexporte zunächst aus, wie die konkrete Rüstungskooperation der Bundesregierung mit der Türkei aussieht. Sie warf der Regierung vor, bewußt zu lügen, indem sie immer wieder behaupte, daß alle Waffen unter der Auflage geliefert würden, daß sie nicht gegen die Kurden eingesetzt werden dürften. Inzwischen gebe es aber eindeutige Beweise dafür, dies wurde durch einen Monitor-Video-Beitrag unterstrichen, der ehem. NVA-Panzer in zerstörten kurdischen Dörfern zeigte. Deshalb hoffe man nun mit der Anzeige gegen die Bundesregierung wegen Beihilfe zum Völkermord weiter zu kommen. Die Rüstungshilfen im einzelnen werden wir in der nächsten Ausgabe des Friedensforums darstellen.

Thomas Schmidt von amnesty international ging vor allem auf den innenpolitischen Umgang der Regierung mit den hier lebenden Kurden bzw. asylsuchenden Kriegsflüchtlingen ein. Von rund 17.000 Asylanträgen von türkischen StaatsbürgerInnen sind 2300 anerkannt worden, was einer Quote von 13,4% entspricht, während die Gesamtquote nur 2,9% Anerkennungen bei Asylanträgen beträgt. Besondere Probleme gebe es immer wieder; weil die Folter von den Anerkennungsstellen als türkeiüblich und nicht als individuelles Verfolgungsindiz gewertet werde. Außerdem werde eine PKK-Unterstützung auch ohne Begehung eigener Gewalttaten generell als Terrorismusunterstützung gewertet, was regelmäßig zur Ablehnung eines Asylantrages führe. Zudem seien die Asylstellen unzureichend informiert: so gab es noch Asylgesuchs-Ablehnungen mit dem Hinweis, daß die HEP eine zugelassene Partei sei, obwohl diese schon verboten - und - verfolgt wurde. Auch auf der letzten Innenministerkonferenz Ende November sei eine Vorlage für den Beschluß eines Abschiebestopps gescheitert, obwohl die Abschiebungen der Menschenrechtskonvention, der Genferflüchtlingskonvention und dem Ausländergesetz widersprechen.

In einem dritten Themenkomplex des Hearings ging es um die Frage möglicher Lösungsansätze des Konfliktes, wobei im Vorhinein klar war, daß es keine fertigen Rezepte für einen so verhärteten und festgefahrenen Konflikt, der sich ja inzwischen in einen regelrechten Krieg umgewandelt hat, geben kann.

Edgar Auth von der Frankfurter Rundschau ging zunächst auf das Konzept einer föderativen Lösung ein, wie sie im März 1993 nach einem Treffen der Kurdenführer aller betroffenen Staaten vorgeschlagen worden war. Grundvoraussetzung wäre die "Anerkennung der kurdischen Realität". Ziel könnte ein länderübergreifendes kurdisches Parlament sein, dessen Teile jeweils mit dem Parlament ihres Staates kooperieren. Es müßte noch einmal an die Phase angeknüpft werden, in der es eine Waffenpause und das Angebot einer politischen Lösung gegeben hatte. Trotz der Gewaltausübung durch die PKK seien grundsätzlich alle kurdischen Gruppen zu einer politischen Lösung bereit. Anzuknüpfen wäre an die Forderungen, die in einem gemeinsamen Papier von PSK und PKK im März l990er türkischen Regierung unterbreitet worden waren. Die Anerkennung der kurdischen Realität sollte in der Verfassung festgelegt werden.

Jochen Hippler betonte zunächst, da das türkische Konzept der Zwangsassimilierung nicht durchsetzbar ist. Andererseits müsse die Akzeptanz der kurdischen Selbstbestimmung nicht die staatliche Unabhängigkeit voraussetzen. Durch die Zuspitzung des Konfliktes auf die Auseinandersetzung zwischen Militär und PKK gehe der Blick für andere, als extreme - und damit unmögliche - Lösungen verloren. Notwendig ist die Organisation eines demokratischen Prozesses, der die Auflösung dieser Zuspitzung zur Voraussetzung hätte. Diejenigen alternativen türkischen politischen Kräfte müßten mobilisiert werden, die sich mit der Forderung nach kurdischer Selbstbestimmung identifizieren können. Druck aus dem Ausland ist notwendig, insbesondere sollten die NATO-Staaten der Türkei mit einem Ausschluß drohen, falls sie nicht bereit ist, geltendes Völkerrecht einzuhalten.

Als erstes muß es darum gehen, einfach nur die gleichen Rechte für alle kurdischen und türkischen Bürger/innen einzufordern.

Angelika Heer wies im Schlußbeitrag erst noch einmal auf die polizeiliche Zusammenarbeit der BRD mit der Türkei hin: die GSG 9 ist an der Ausbildung der Dorfschützer beteiligt gewesen. Wichtig sei es vor allem, daß die Einhaltung der Menschenrechte durch die türkische Regierung in den zuständigen offiziellen internationalen Gremien (UNO, KSZE) eingeklagt wird. Leider sei es trotz intensiver Bemühungen noch nicht gelungen, diesen Punkt auf die Tagesordnung des Europarates zu setzen. Durch Wirtschaftshilfe-Einschränkungen bis hin zu Embargomaßnahmen müsse Druck auf die türkische Regierung ausgeübt werden. Initiativen von unten sollten dazu beitragen, daß dieser Druck auch von offiziellen Ebenen ausgeübt wird. Abschließend stellte Angelika Heer noch verschiedene konkrete Basisaktivitäten vor.

Der Trägerkreis der Kampagne wird Ende Januar zu einer Auswertung des Hearings und zur Beratung weiterer Aktivitäten zusammentreffen.

 

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".