Anmerkungen zum (vorerst) gescheiterten U-Boot-Geschäft mit Taiwan

Sichere Arbeitsplätze durch Rüstungsexporte?

von Jürgen Trittin
Hintergrund
Hintergrund

"Keine deutschen Kriegsschiffe für Taiwan" - so oder ähnlich lauteten die Meldungen in den bundesdeutschen Medien am 29. Januar 1993. Der Bundessicherheitsrat, ein besonderer Ausschuss des Bundes­kabi­netts, hatte eine Voranfrage eines deutschen Werftenkonsortiums über den Bau von zwei U-Booten für Taiwan abgelehnt. Der Bau dieser Boote sollte der Einstieg in einen weit umfangreicheren Auftrag sein: Bestel­lungen von 10 U-Booten und 10 Fregatten im Wert von mehr als 12 Mrd. DM hatte Taiwan in Aussicht gestellt. Davon erhoffte sich die deutsche Werftindustrie eine Auslastung der Kapazitäten und Sicherung der Ar­beitsplätze bis ins nächste Jahrtausend.

Das geplante U-Boot-Geschäft hatte schon im Vorfeld für beträchtliche Un­ruhe gesorgt. Ursache hierfür war des­sen offene Unterstützung aus den Rei­hen der SPD.

Argumente, die gegen das Rüstungs­exportgeschäft sprechen

Im Kern gibt es moralische, sicherheits­politische, wirtschaftliche sowie speziell arbeitsmarktpolitische Gründe, die ge­gen eine Ausdehnung des Rüstungsex­ports allgemein, aber auch gegen das U-Boot-Geschäfts im Besonderen spre­chen. Die politische-moralische Ver­werflichkeit des "Geschäftes mit dem Tod" bedarf keiner näheren Begrün­dung.

Doch auch unter engeren sicherheitspo­litischen Aspekten ist der U-Boot-Ex­port nicht vertretbar. Vergleichbar dem Rüstungswettlauf zwi­schen dem Irak und dem Iran in den 80er Jahren droht nunmehr in Süd­ost­asien ein vergleich­barer Rüstungswettlauf. Es befremdet schon, wenn deutsche Politiker ausge­rechnet dieses Gebiet nicht mehr als "Spannungsgebiet" an­erkennen wollen. Der Nationale Volkskongress der Volks­republik China hat ein Gesetz beschlos­sen, das Chinas Anspruch auf das ge­samte Südchinesische Meer als "In­landsgewässer" fest­schreibt. Um eine Vorstellung über die regionale Ausdeh­nung dieser Zone zu erhal­ten: Sie reicht vom Süden Chinas bis in die südlichen Teile Vietnams, grenzt an die nördli­chen Teile von Malaysia ebenso wie an die Philippi­nen, umschließt Taiwan und reicht bis Okinawa. Das von der Volksre­publik China beanspruchte Ge­biet umfasst auch die sogenannten Spratley-Inseln, eine im südchinesi­schen Meer gelegene Inselgruppe in der reiche Öl- und Gasvorkommen vermutet werden und die gleicher­maßen von Vietnam, Brunai, den Philippinen, Ma­laysia und Taiwan be­ansprucht wird.

Verschiedene dieser Staaten haben be­reits militärische Stützpunkte auf den Inseln errichtet, und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es zu ge­waltsamen Aus­einandersetzungen kommt. Die Ein­ordnung dieser Re­gion als angebliches "Nicht-Spannungsgebiet" ist nur mit al­les domi­nierenden Exportinteressen er­klärbar.

Es sprechen aber auch wirtschaftliche, speziell arbeitsmarktpolitische Gründe gegen die U-Boot-Lieferungen. Das an­gespannte Verhältnis zwi­schen der Volksrepublik China und Taiwan sowie die Tat­sache der völ­ker­rechtlichen Nichtanerkennung von Taiwan hat dazu geführt, daß beide Staaten Beziehungen zu Drittstaaten als eine "Entweder-oder-Be­ziehung" verstehen: Entweder ein Land wünscht flo­rierende Wirt­schaftsbeziehungen mit der Volks­republik, dann bedingt dies aus Sicht der Pekinger Machthaber einen weit­gehenden Verzicht bzw. eine Be­schränkung von Be­ziehungen zu Tai­wan. Aus der Sicht Taiwans verhält es sich genau umgekehrt.

Für die bundesdeut­sche Industrie (und Politik) reduziert sich das Ganze auf eine Kosten-Nutzen-Analyse: Die Ex­portgewinne aus Geschäften mit Taiwan sind gleichzeitig die Verluste in den Ge­schäftsbeziehungen mit der Volksre­publik China. Arbeitsplätze, die durch Taiwan-Exporte gesichert und neu ge­schaffen werden, gefährden gleichzeitig die Ar­beitsplätze je­ner Be­schäftigten, die bisher durch das China-Geschäft ge­sichert wa­ren.

Der Bundessicherheitsrat hat seine Ab­lehnung des U-Boot-Geschäfts nicht of­fen auf solche wirt­schaftspolitischen Erwägungen gestützt, sondern sich for­mal auf die Ex­portrichtlinien und si­cherheitspolitische Erwägungen beru­fen. Wie prinzipienlos diese tatsächlich angewendet werden, zeigt die erst zwei Wochen später bekannt gewordene Ge­nehmigung des Exportes von Raketen­teilen an Taiwan in einem geheim­gehaltenen Teil derselben Sitzung des Bundessicherheitsrates.

Der tatsäch­liche Grund für die Verwei­gerung des U-Boot-Deals dürfte ein an­derer sein:  Im Vergleich zu Taiwan wird der Kon­sum- und In­vesti­tions­bedarf Chinas als günstigerer Absatz­markt für bundesdeut­sche An­bieter ein­geschätzt. Es ist daher kaum ein Zu­fall, daß der Vor­sitzende des Ost-Ausschus­ses der deutschen Wirt­schaft, Otto Wolff von Amerongen, kurz vor der Sit­zung des Bundes­sicherheitsrats vor ei­ner Zustimmung zu den U-Boot-Liefe­rungen ge­warnt hat. China hatte für den Fall einer Genehmigung bereits mit Kon­sequenzen gedroht. Daß es sich nicht um leere Drohungen handelte, mußte Frankreich schmerz­lich erfahren: Nach dem Verkauf von 60 Mi­rage-Flugzeugen an Taiwan mußte es sein Konsulat in Kanton schließen und wurde von der Auf­tragsvergabe bei ei­nem großen U-Bahn-Projekt in Kanton ausgeschlos­sen.

Kurzfristig scheint sich die negative Entscheidung des Bundessicher­heitsrats für die deutsche Industrie gelohnt zu haben; kaum war die Ablehnung öffent­lich bekannt geworden, schon ging ein warmer Auf­tragsregen aus der Volksre­publik China auf bundesdeutsche Unter­nehmen nieder:

So verhandelte die DASA gleich über die Lieferung von 6 Airbus-Flug­zeugen A 320 (Ge­schäftsvolumen ca. 1 Mrd US-Dollar), und die Firma Dornier lie­fert Kleinflugzeuge DO 328 an Peking (Wert 750 Mio US-Dollar). Nach der Entscheidung des Bundessicherheitsrats erhielt  Sie­mens einen 500 Mio-DM-Auftrag zum Bau eines Kraft­werks. Und die AEG sollte einen Auftrag zum Bau einer U-Bahn in einer Großstadt und über 174 U-Wagen erhalten, Krupp einen Auftrag im Braunkohle­berg­werksbereich in Höhe von 150 Mio DM.

Die Unterstützung des Waffenexports durch Ministerpräsident Schröder hat die nie­dersächsische Landesregierung in eine heikle Lage gebracht. Nicht nur, daß die Haltung des MP im Wider­spruch zu den Beschlüssen der SPD stand. Die Unterstützung war unverein­bar mit einschlägigen Kabinetts­beschlüssen zur verfassungsrechtlichen Ächtung von Rüstungsexporten. Sachli­che Auseinan­dersetzungen, auch heftige Konflikte sind in einer Koalition nichts Un­gewöhnliches. Im Fall der U-Boot-Exporte ging der Konflikt aber tiefer. Das Selbstverständnis beider Koaliti­onspartner war grundsätzlich berührt.

Der rot-grüne Koalitionsausschuss hat nach einer dramatischen Land­tagssitzung hierzu am 21.01.1993 fol­genden Beschluß gefasst:

"1. Ungeachtet der Motive des Mi­nisterpräsidenten stellt der Koali­tionsaus­schuss fest, daß die Befür­wortung der Lieferung von Kriegs­schiffen nach Taiwan der Beschluß­lage des Kabinetts widerspricht.

2.    Die Initiative der Landesregierung in der Verfassungskommis­sion zur strikten Begrenzung von Rüstungs­exporten wird wei­tergeführt; auch um Situationen zu vermeiden, in denen die Entscheidung pro und contra Rü­stungsexporte von den Oppor­tunitäten und den Zwängen der Tagespoli­tik dominiert wird.

3.    Der Koalitionsausschuss ist sich dar­über einig, daß sich alle Re­gierungs­mitglieder an die Beschlüsse der Landesregierung hal­ten und deren Inhalt auch nach außen deutlich ma­chen."

Rüstungsexporte - Streitfall auch in der Zukunft

Es bedarf keiner besonderen propheti­schen Gaben, um vorherzusagen, daß die Problematik der Beschränkung von Rüstungsexporten auch in Zukunft nichts von ihrer Brisanz verlieren wird. Zwar hat es im Bereich des Außenwirtschafts­gesetzes, des Kriegs­waffenkontrollgesetzes und anderer flankierender Bestim­mungen Verbesse­rungen gegeben. Von der Betrachtung ausgespart blieb jedoch bislang der durch das Grundgesetz vorgegebene Rahmen für Waffenexporte. Die Nieder­sächsische Landes­regierung ist der Auf­fassung, daß hier ein akuter Re­formbedarf besteht, zum einen im Be­reich des Verzichts auf Massenvernich­tungswaffen, zum anderen im Bereich der stärkeren Beschränkung von Rü­stungsex­porten.

Die Ächtung von ABC-Waffen ist Teil der friedensstaatlichen Identität der Bun­desrepublik Deutschland und gehört deshalb in die Verfassung. Zwar hat auf völkervertraglicher Ebene die Bundes­republik durch eine Reihe von Verträ­gen und einseitigen Erklärungen auf die Herstellung und Verwendung atomarer, bio­logischer und chemischer Waffen ver­zichtet. Diese völkervertraglichen Ver­pflichtungen sind jedoch nicht end­gültiger Natur. So läuft der Nichtweiterver­breitungsvertrag für Atomwaffen, sollte er bis 1995 nicht verlängert werden, aus. Andere völker­vertragliche Beschränkungen können durch Kündigung der Ver­träge beseitigt werden. Die Entwicklung und Herstel­lung oder der Er­werb von Massenver­nichtungswaffen könnte dann, sollte das Grundge­setz nicht er­gänzt werden, durch einfache Mehrheit im Parlament be­schlossen werden. Nie­dersachsen hat für die Beratungen in der Ge­meinsamen Verfassungskommission einen Formu­lierungsvorschlag für eine grundgesetz­liche Verankerung des Ver­zichts auf Massenvernich­tungswaffen vorgelegt.

Der Verzicht auf Massenvernichtungs­waffen löst jedoch nur einen Teil des Pro­blems. 1990 sind, mit offizieller Ge­nehmigung der Bundesregie­rung, Rü­stungs­güter in 124 Länder exportiert worden. Diese und frü­here Exporte ha­ben zum Teil zu einer erheblichen Ge­fährdung der aus­wärtigen Beziehungen der Bundes­republik Deutschland und des friedlichen Zusammenlebens der Völker geführt. Niedersachsen schlägt des­halb in der Gemeinsamen Verfas­sungskommission vor, eine Bestim­mung in das Grundgesetz aufzunehmen, die den uferlosen Ex­port von Rüstungsgü­tern an nahezu jedes Land der Erde aus­schließt.

Die Entscheidung pro oder contra Rü­stungsexporte berührt den Kernbe­reich menschlichen Zusammenlebens. Die Entscheidung darüber darf nicht von den Opportunitäten und Zwängen der Wirt­schaftskonjunktur determiniert werden. Es handelt sich um eine grundsätzliche Wertent­scheidung im Spannungsfeld von Humanität und Friedenspolitik auf der einen Seite sowie wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen auf der anderen. Wie im Einzelfall zu entschei­den ist, darf nicht den tages­politischen Stimmungslagen überlassen bleiben, sondern muß durch klare verfassungs­rechtliche Grundsätze bestimmt werden. Niedersach­sen wird daher in der Ge­meinsamen Verfassungskommission einen Vor­schlag zur Ergänzung des Art. 26 GG machen, der:

-     das Entwickeln, Herstellen, Beför­dern und Inverkehrbringen von Kriegswaf­fen genehmigungspflichtig macht

-     die Entwicklung, Herstellung etc. von "sonstigen Rüstungsgütern" gleich­falls einer Genehmigungspflicht un­terstellt

-     den Rüstungsexport auf NATO-Län­der beschränkt; dies gilt auch für den Export von koproduzierten Waffen

-     ein Mitspracherecht des Bundestages festschreibt.

Ein anderer Bereich für dringliche Re­formmaßnahmen betrifft den zivilen Umbau der Rüstungswirtschaft. Die Bundesregierung hat bisher keiner­lei Maßnahmen ergriffen, um auch nur an­satzweise Hilfestel­lung für im Rü­stungsgeschäft besonders engagierte Unternehmen zu gewähren. Schlimmer noch: Die Subventionen aus dem Bun­deshaushalt für den zivilen Schiffbau (Werfthilfeprogramm) sind in den ver­gangenen beiden Jahren halbiert worden und sollen, wenn die Bundesregierung sich mit ihrem "Konsolidierungspaket" durchsetzt, noch in 1993 ganz entfallen - mit katastro­phalen Folgen für die ge­samte norddeutsche Werftindustrie und die abhängig Beschäftigten.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Jürgen Trittin ist Niedersächischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten.