Somalia, die UNO, Deutschland: Eine·Zwischenbilanz

von Gernot Erler

In der Bundesregierung fliegen die Fetzen. Verteidigungsminister Rühe und Außenminister Kinkel streiten sich über die Rückführung von 1.700 Mann Bundeswehr aus Somalia. Der Rückzug ist unvermeidlich, seitdem feststeht, daß die Vereinigten Staaten ihre Truppen bis zum 31.3.1994 zurückholen werden, was inzwischen auch die Belgier, Franzosen und Schweden beschlossen haben. Hinter dem Krach der Minister stecken unterschiedliche Prioritätensetzungen: Kinkel will deutscher UN-Musterknabe sein, den Blick aus den Augenwinkeln fest gerichtet auf den angestrebten deutschen Sitz im Sicherheitsrat. Rühe will sich jetzt als umsichtiger Vater seiner Truppe profilieren und jedes unnötige Risiko vermeiden. Gemeinsam ist ihnen, daß sie von Somalia nicht einmal mehr reden, geschweige denn das tragische Schicksal dieses Landes in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen.

 

Damit befinden sich unsere Minister in bester, zumindest zahlreicher Gesellschaft. Von UNOSOM I über UNTAF bis UNOSOM II hat sich der internationale Somalia-Einsatz immer weiter wegbewegt von einem Instrument internationaler Hilfeleistung hin zu einem Prestigeunternehmen, das als solches jetzt scheitert. Wir müssen erst noch begreifen, daß die Somalia-Intervention zugleich die modernste Form des militärischen Internationalismus wie möglicherweise einen Wendepunkt darstellt.

Lange Zeit hat die Weltöffentlichkeit die kollabierenden Zustände in Somalia, einem klassischen Opfer des Kalten Krieges und seines Endes, einfach ignoriert. Das änderte sich erst Ende 1992, als die Clan-Kriege das Land schon in eine Hungerkatastrophe getrieben hatten, deren erschütternde Abbildung allabendlich von den Fernsehstationen in alle Welt verbreitet wurde. Die Weltmeinung fand, man könne da nicht mehr tatenlos zusehen. Und da auch noch vier amerikanische Öl-Konzerne befürchten mußten, daß nach dem Sturz Siad Bares im Januar 1991 und der danach um sich greifenden politischen Unübersichtlichkeit ihre Millioneninvestitionen in somalische Erdölexplorationen verloren sein könnten, war es nicht mehr schwer, den scheidenden amerikanischen Präsidenten George Bush für eine Mini-Reprise des Golfkriegsspektakels unter dem schönen Namen "Restore Hope" zu gewinnen. Als die Marines am 8. und 9. Dezember 1992 am Strand von Mogadischu landeten, gerieten sie nicht in feindliches Feuer, sondern in die Blitzlichtgewitter der internationalen Medien. Praktischerweise konnte man den Stab der Operation im Hauptquartier der Conoco Inc. in Mogadischu einrichten, dem Hauptinteressenten am somalischen Öl, dem ein Weltbank-Report von 1991 eine verheißungsvolle Zukunft vorausgesagt hatte.

Eine Befriedung des Landes schaffte "Restore Hope" nicht. Und auch die 29.000 Soldaten von UNOSOM II, in der Sicherheitsratsresolution 814 vom 26. März 1993 mit weitgehendem Kampfauftrag nach Kap. VII der UNO-Charta ausgestattet, scheiterten bisher an dieser Aufgabe, zumindest in einigen Regionen Somalias und vor allem in Süd-Mogadischu, dem Hauptquartier des inzwischen weltbekannten Generals Aidid. Stattdessen verloren bisher 85 UNO-Soldaten in Somalia ihr Leben und über 400 wurden verwundet. Über die (weit mehr) somalischen Opfer der Zwischenfälle und Kämpfe gibt die Statistik keine Auskunft.

Die Weltöffentlichkeit wurde Zeuge von eskalierender Grausamkeit auf beiden Seiten. Aidids SNA-Kämpfer stellten den UNOSOM-Soldaten heimtückische Fallen und malträtierten auch noch die roten Körper der Gefallenen. Vor allem die amerikanischen Kontingente übten Rache. Im Zeichen der Vereinten Nationen stürmte man Krankenhäuser und Wohnungen und schoß sogar aus Kampfhubschraubern auf Zivilisten, wenn hinter ihnen Aidid-Leute vermutet wurden. Entsetzlicher Höhepunkt dieser Entwicklung war der 3. Oktober 1993, als 18 amerikanische Soldaten (übrigens nicht unter UN-Kommando) bei einer Aktion getötet und weitere 75 verwundet wurden. Tagelang mußten sich die amerikanischen Fernsehzuschauer ansehen, wie die mißhandelten Leiber toter Rangers durch die Straßen von Mogadischu geschleift wurden.

Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Clinton antwortete doppelt: Einerseits schickte er noch mehr "Quick Reaction Forces'' mit schwersten Waffen nach Mogadischu, andererseits kündigte er das Ende des amerikanischen Engagements für den 31.3.1994 an.

Ein; Rücksicht auf UNOSOM II und die Ziele dieser UN-Initiative hat der amerikanische Präsident dabei nicht genommen. Politisches Prestige, ökonomische Interessen und der Druck der öffentlichen Meinung haben die Soldaten ans Horn von Afrika gebracht - die Einsicht, das vorzeigbare Erfolge ausbleiben, daß eine unangenehme Diskussion über den Sinn der ganzen Mission und die Vergeudung eigener Menschenleben anfangen könnte und entsprechend kein politisches Prestige mehr zu gewinnen ist, treibt sie jetzt wieder nach Hause.

Bei diesen Überlegungen spielt das Schicksal der Menschen in Somalia überhaupt keine Rolle mehr, es ist geographisch austauschbar. Allein der Generalsekretär der Vereinten Nationen wirbt weiter für die Fortsetzung des Programms. Er weiß, was ein plötzlicher Rückzug bedeuten kann, aber alles winkt nur ab auf seine Bitten.

Damit steht fest, daß der erste UNO-Einsatz mit Kampfauftrag nach Kapital VII der UNO-Charta zu einem verlustreichen Fehlschlag geworden ist - mit Folgen, die sich noch nicht vollständig absehen fassen. Das weltweite Ansehen der Blauhelm-Missionen, 1988 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt, hat mehr als nur Kratzer abbekommen.

Der Ausflug in den umstrittenen Auftragsbereich der bewaffneten Intervention im Gegensatz zu den klassischen, friedenserhaltenden Blauhelm-Einsätzen hat das Image der ganzen Vereinten Nationen beschädigt. UNOSOM II hat die Weltorganisation auch in eine tiefe Finanzkrise getrieben. Das Ende des Jahres 1993 sieht die UNO als partiell zahlungsunfähige Institution und den Generalsekretär als Bittsteller bei säumigen Zahlern. Von Mitte 1991 bis Mitte 1993 haben die Vereinten Nationen für militärische Einsätze ebenso viel Geld ausgegeben wie insgesamt zwischen den Jahren 1945 und 1991. Ein Nachdenken darüber, wie es weitergehen soll, läßt sich nicht mehr vermeiden. Am 9. November 1993 gab Boutros Ghali bei einer Rede in Washington bekannt, daß die UNO schon mehr als 2 Mrd. Dollar allein für den Einsatz in Somalia ausgegeben habe. Und er fügte hinzu: "Das internationale Bemühen in Somalia zeigt, daß Frieden nicht von außen erzwungen werden kann. Frieden kann nicht erreicht werden, wo es am ausreichenden Willen zum Frieden fehlt.“ Eine bemerkenswerte Rückkehr zur Philosophie der friedenserhaltenden, auf Friedenserzwingung verzichtenden UN-Einsätze!

Ausgerechnet an der bisher problematischsten Militärmission der Vereinten Nationen hat sich die Bundesregierung demonstrativ und gegen die Warnungen der politischen Opposition beteiligt. Glück und Pech liegen dabei dicht nebeneinander. Man kann froh darüber sein, daß die Bundeswehreinheiten in Belet Uen zu ihrer eigentlichen Aufgabe gar nicht gekommen sind und so auch nicht in risikoreiche militärische Auseinandersetzungen verwickelt wurden. Pech für Helmut Kohl und seine Minister andererseits, daß auch der erhoffte Prestigegewinn ausgeblieben ist. Von dem ersten internationalen militärischen Auftritt des größer gewordenen Deutschland werden wahrscheinlich, am ehesten die Kosten im Gedächtnis bleiben. Allein der Bundeswehreinsatz im Jahr 1993 in Somalia wird 230 Millionen DM verschlingen: Nach Rückkehr aller Soldaten werden die Kosten für die ganze Mission die halbe Milliarde überschritten haben - schlecht angelegtes Geld für den Bau einiger Straßen und Schulen, das Bohren einiger Tiefbrunnen und die vorübergehende Verbesserung. von Belet Uen. Zum Vergleich:

Die gesamten humanitären Hilfen Bonns für Somalia betrugen ist Auskunft der Bundesregierung von 1990 bis Februar 1993 DM 102,5 Millionen und überschreiten bis Ende des Jahres 1993 nicht DM 127 Millionen. Die meisten Fachleute stimmen dem Urteil des Leiters der Caritas-Auslandshilfe, Günter Hölter, zu, der in einem Interview feststellte, daß Hilfsorganisationen wegen ihres zivilen Charakters, ihrer Neutralität und wegen ihres Ansatzes, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, solche Aufgaben besser wahrnehmen können als die Bundeswehr.

Das öffentliche Interesse an dem, was in Somalia geschieht, nimmt ab. Auf die Dauer werden Bilder von Soldaten, die ihre Sachen packen, langweilig. Die tägliche Hilfe von zivilen Organisationen verläuft unspektakulär. Kontinuierliche politische Bemühungen um einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Clans und um den Wiederaufbau von Verwaltungsstrukturen bringen keine interessanten Bilder. Wahrscheinlich stürzen wir uns bald auf Bilder eines anderen Schauplatzes. Dabei müßten die Erfahrungen von Somalia erst einmal bis zu den notwendigen politischen Schlußfolgerungen ausgewertet werden. Die Vereinten Nationen sind in Somalia in die Sackgasse geschickt worden. Den Schaden haben wir alle. Er muß für die Zukunft abgewendet werden.

 

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