Soziale Verteidigung in Schweden

von Jörgen Johansen

Braucht die Abschaffung der Armee den Aufbau einer Alternative, der Sozialen Verteidigung? Die deutsche Friedensbewegung ist über diese Frage unterschiedlicher Ansicht. Die einen meinen, die Abschaffung der Armee seit allein schon etwas so positives, daß es keiner Alternative bedürfe, die anderen Weisen auf in der Bevölkerung weitverbreitete Angst hin, sich wehrlos zu machen, sowie auf mögliche gewaltsame Versuche von Rechts oder anderen Staaten, eine Entmilitarisierung der Bundesrepublik zu verhindern. Der folgende Artikel stellt die Soziale Verteidigung einmal unter einem etwas anderen Blickwinkel, nämlich aus der eines norwegisch/schwedischen Friedensarbeiters dar.
Viele europäische FriedensaktivistInnen und ForscherInnen haben Schweden als bedeutsames Beispiel für einen Staat betrachtet, der die Frage der waffenlosen Verteidigung ernst nimmt. Und sicherlich ist eine ansehnliche Anzahl Berichte von staatlichen und halbstaatlichen Institutionen produziert worden. Die meisten von Adam Roberts Büchern sind zum Beispiel von der ideellen Verteidigungsorganisation "Volk und Verteidigung" übersetzt worden. Eine weitere ist eine staatliche Gruppe "Delegation für nichtmilitärische Verteidigung". In meinen Augen ist diesen großem Maße ein gut gelungener Versuch, die radikale Opposition ruhigzustellen: "Seht doch, wie interessiert wir an diesen Fragen sind, wir sind mit Euch völlig einer Meinung."
Und das Resultat sind einige Regalmeter mit Papier, kein Handeln, keine Aufklärung, keine Lektionen, nur leeres Geschwätz, um eine laute Opposition abzudämpfen.

Notwendigkeit eines neuen Begriffs
Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß der Begriff ziviler Widerstand sehr nahe an den Staat, die Wehrpflicht, militärische Feindbilder, hierarchische Entscheidungsprozesse und die Erhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung geknüpft worden ist.  Um aus dieser Sackgase herauszukommen, haben wir den Begriff "Soziale Verteidigung" 1 eingeführt. Diese basiert auf zwei Fundamenten:
Das eine  Fundament ist, eine neue, solidere, wenig verletzbare, weniger unterdrückende und solidarischere Gesellschaft aufzubauen. Eine Gesellschaft, die in geringerem Maße Menschen und Natur ausbeutet. Das andere Hauptfundament ist, nichtgewaltsame Formen des Kampfes anzuwenden, falls es nötig wird, Teile der existierenden Gesellschaft zu bewahren oder zu verändern. Der gewaltlose Kampf soll nicht unter staatlichem Kommando stehen, eine dezentralisierte Struktur haben, auf Freiwilligkeit basieren, in lokalen sowie internationalen Konflikten angewandt und durch Übungen vorbereitet werden. Die Organisation baut auf dem bereits existierenden Netz von sozialen Bewegungen auf, die es bereits in Schweden gibt. Schweden hat ca. acht Millionen Einwohner, aber 31 Millionen Mitglieder in Vereinen und Initiativen. Diese sind von 145.000 lokalen Gruppen aufgebaut. Dieses Netzwerk, in dem der Durchschnittsbürger in vier Organisationen gleichzeitig ist, soll der wichtigste Baustein der Sozialen Verteidigung sein.
Feindbild
Ein wichtiger Unterschied zwischen zivilem Widerstand/militärischer Verteidigung und Sozialer Verteidigung liegt darin, welches Feindbild der Verteidigung zugrundegelegt wird. Der Bedrohung, von der die militärische Verteidigung besessen ist, ist eine militärische Okkupation von Osten her. Für diese vage und wenig wahrscheinliche Bedrohung bekommen sie 30 Millionen Kronen jährlich, um zu versuchen, dieser zu begegnen. Die heranwachsende Bevölkerung Schwedens hat heute viel mehr Angst davor, daß das Ozonloch sich vergrößert, daß der Walt an saurem Regen stirbt, daß es im Meer keine Fische und Seehunde mehr gibt, daß der Regenwald aus der Biosphäre der Erde verschwindet, daß der Privatautoverkehr noch mehr Menschen jährlich tötet, daß Schweden weiter Waffen in die "Dritte Welt" verkauft, daß weiterhin jeden Tag 40.000 Kinder an Hunger und Mangelernährung sterben usw.usw. Gegen diese Bedrohungen ist eine militärische Verteidigung eher Hindernis als Hilfe. Die Soziale Verteidigung dagegen kann diesen Problemen in einer vernünftigen und effektiven Weise begegnen. Zuallererst dadurch, eine bessere Gesellschaft aufzubauen (was Gandhi als "konstruktive Arbeit" bezeichnete), aber auch durch den Gebrauch gewaltfreier Mittel, um einen Teil der unterdrückenden Elemente des gegenwärtigen Staates zu ändern. Man schließt den Gedanken an eine mögliche zukünftige militärische Besetzung nicht aus, aber diese Bedrohung muß verglichen mit den enormen Gefahren, die heute Menschen in Schweden und im Rest der Welt töten, die richtigen Proportionen erhalten.
Rekrutierung und Organisation
Das Modell für eine Soziale Verteidigung baut darauf auf, daß denjenigen, die sich bedroht fühlen, eine Verteidigungsform angeboten wird, wo Ziel und Mittel übereinstimmen. Falls der Staat ein Atomkraftwerk baut, soll man mit gewaltfreien Mitteln diese Bedrohung gegen unsere Lebensumwelt bekämpfen können. Wer sich betroffen fühlt, soll theoretische und praktische Kenntnisse haben, um sich in der Widerstandsarbeit engagieren zu können. Ist die Bedrohung solcher Art, daß sie die ganze oder mehrere Nationen bedroht, werden natürlich viele teilnehmen, wogegen lokale Konflikte weniger Akteure haen. Auf diese Weise wird die Zahl der TeilnehmerInnen der Größe des Konfliktes angepaßt. Sollte eine Okkupation oder ein Militärputsch stattfinden, werden sicherlich weit über 90 % an der Widerstandsarbeit teilnehmen. UM wohlorganisierte Aktionen mit vielen TeilnehmerInnen zu erreichen, ist ein gut entwickeltes Kommunikationsnetz überaus wichtig.
Jazzorchester - nicht Pyramide
Während man die Pyrmide al Symbol für die militärische Organisation benutzen kann, soll das Jazzorchester Symbol für die Organisation der Sozialen Verteidigung sein. Niemand ist Dirigent, allen wird die Möglichkeit zur Beeinflussung der Geschehnisse gegeben, Improvisation (basierend auf langer Erfahrung und viel Übung) sind wichtiger als das Kopieren detaillierter Pläne, die im Voraus bestimmt worden sind. Der Prozeß steuert die Organisation und es kommen Überraschungsmomente im Rahmen dessen vor, was die Melodie zuläßt und die BetreiberInnen wagen bzw. können.

Die Umweltpartei Die Grünen
Die einzige Gruppe in Schweden, die bis jetzt diese Ideen ernst genommen hat, ist die Umweltpartei Die Grünen. Speziell der Lokalverband in Norrbotten (einer Region Nordschwedens) hat mit diesen Ideen gearbeitet. Kürzlich ist ein Buch publiziert worden, in dem das Modell beschrieben wird, und zum Oktober ist eine größere Konferenz zusammen mit den War Resisters'International anberaumt. Die Partei will innerhalb eines Jahres ein Referendum unter den Mitgliedern abhalten, um zu entscheiden, für welche Verteidigungspolitik sie im Parlament arbeiten will. Die Soziale Verteidigung ist eine Alternative, Defensive Verteidigugn die andere.

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Jörgen Johansen ist freiberuflicher Akademiker und Herausgeber des Resistance Studies Magazine.