Über Grabenkämpfe und Kreuzfeuer

Sprache der Gewalt – Gewalt der Sprache

von Christoph Kuhn

Um kürzer, auch kurzweiliger zu formulieren, sind Metaphern (Redefiguren, Redensarten und -wendungen) nützlich. Sie entstammen elementaren Lebensbereichen, was ihre Bedeutungen in einem gemeinsamen Sprachraum verständlich macht, auch wenn die Entstehungszeit der Wörter weit zurückliegt. Selbst wenn die Quelle bekannt ist, handelt es sich meistens um fremdgewordene Rituale.

So ist es zum Verständnis des Sündenbocks unnötig zu wissen, dass Aaron einen Bock, mit den Sünden Israels beladen, in die Wüste jagte.(1) Pranger sind nicht mehr mittelalterliche Pfähle, an die jemand öffentlich gekettet ist, sondern Leute werden medial angeprangert, man zeigt sie in Presse, TV und Internet. Auch Spießrutenlauf findet dort statt; ebenso Geißeln und Brandmarken.

Die archaischen Metaphern funktionieren noch, sind nur zum Teil durch neuere ausgewechselt und ergänzt worden – vor allem technische stehen gleichrangig neben alten: das Licht unterm Scheffel, oder die Tretmühle neben Schaltstelle und Datenautobahn.

Von gewaltfreien Konflikten wird oft so geredet und geschrieben, als seien es Handgreiflichkeiten gewesen: Ohrfeigen, Watschen, Schläge, Schläge unter die Gürtellinie, das Messer geht in der Tasche auf, Köpfe rollen…

Geharnischte Ausdrucksweise macht aufmerksamer, nutzt aber die Wörter ab; sie fehlen bei tatsächlicher Gewalt. Wie dann reden? Oft mit Formulierungen, deren mokanter oder makabrer Beigeschmack Gewalt und Leid eher verharmlost – wenn z.B. jemand krankenhausreif geschlagen wird.

Der Ton macht die Musik. Musische Menschen denken Duo, Trio oder Quartett an Musikaufführende, nicht gleich an Berichte über Gewalt: Duo hat randaliert. Duo überfiel Mädchen. Brutales Schlägerduo. Junges Folter-Trio. „Quartett prügelte Kumpel fast zu Tode“ (2). „Mann von Quartett brutal zusammengetreten“ (3). Quintett verursacht Schaden. Quintett festgenommen. „Gauner-Sextett vor Gericht“ (4). Ungewöhnlich sind Septette und Oktette; wird so viel Latein nicht vorausgesetzt? Eines Tages gelten wohl Einzeltäter als Solisten.

Offenbar sind für Verbrechen  zu wenig oder zu schwache Wörter verfügbar, die Bluttat zu beschreiben. Unglücke, Mord- und Überfälle werden als jenseits des Vorstellbaren, Gewaltorgie, Blutbad, Albtraum, Tragödie und Drama bezeichnet – unbeschreibliches Drama, grausige Tragödie. ‚Töten’ und ‚Morden’ werden gern überhöht ausgedrückt: „Familie ausgelöscht“ (5). Der Vater hat sich, nachdem er Frau und Kind erstach, „selbst gerichtet“ (6). Die Formulierung ist problematisch, weil das Wort ‚richten’ sprachlich von ‚recht machen’ kommt, mit ‚Richter’, ‚Gericht’, ‚Urteil’ zusammenhängt. Ein Mann war „mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe förmlich hingerichtet worden.“ (7) Die buchstäbliche Hinrichtung macht das falsche Wort nicht richtig – erst recht(!) nicht das inflationäre, der Verstärkung dienende Adjektiv regelrecht. Ein „49jähriger wurde regelrecht totgetreten“ (8). Wie tritt man jemanden ‚regelrecht’ tot?

Das Verbrechen in Erfurt sei keine Amoktat, kein Amoklauf gewesen, weil der Schüler die Tat plante, sagt Lutz Rathenow (9). Auch Ines Geipel lehnt den Begriff ab: „Die Morde am Gutenberg-Gymnasium waren kalkulierte Hinrichtungen (sic! C.K.) Robert Steinhäuser hat sich auf diesen Todesgang durch seine Schule bewusst vorbereitet.“(10) Trotzdem steht das Wort auch im Titel ihres Buches (11).

Sprachmissbrauch. Amtsmissbrauch. Vergabemissbrauch. Arbeitskräftemissbrauch. Aber Kindesmissbrauch?! Stimmt der Begriff, weil doch Miss-Brauch den Ge-Brauch von etwas Materiellem oder auch Emotionalem voraussetzt: Missgunst die Gunst, Misstrauen das Vertrauen? Gebraucht und missbraucht werden Tabletten, Alkohol u.a. Drogen. Aber Personen? Kinder?! Deren Gebrauch, deren Verfügbarkeit, ist schon ein Übergriff. Das Wort ist hier eine schreckliche Verharmlosung für Verbrechen. Warum nicht Schändung? („Belgischer Kinderschänder vor Gericht“)(12). – Es ist Gewalt, Vergewaltigung, „die unterste Schublade menschlicher Niederträchtigkeit.“ (13)

Im Roman von Alfred Andersch (14) schlägt der Journalist Efraim 1962 in Berlin einen Partygast wegen einer oberflächlichen Redensart nieder – „weil er gedachte, sich nächtlicherweise bis zur Vergasung zu amüsieren, es tut mir leid, nein, es tut mir eigentlich nicht leid, obwohl ich einen Antisemiten mehr erschaffen habe ... aber dennoch bedaure ich nicht, dass ich ihn geschlagen habe, dass ich mit einem winzigen Aufwand von Energie das Bewusstsein davon vermehrt habe, wie das, was in der Sprache geschieht, jederzeit Wirklichkeit werden kann, es tut mit nicht leid, weil dieser Mann, wie seine Sprache beweist, kein Unschuldiger war.“

Längst sollte die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Sprache abgeschlossen sein.

In ganz zivilen Angelegenheiten sind die Fronten klar. Die Politik hat etwas im Visier (Arbeitsplätze, Spendengelder …). Schon bläst einer zum Sturm, zum Sturmlauf (gegen Beitragspläne?), weil etwas im Anmarsch, auf dem Vormarsch ist. Es wird Flagge gezeigt, mutige Vorreiter reiten Attacken, stehen Gewehr bei Fuß. Vieles gerät ins Fadenkreuz. Schießen ist beliebt: Schießen Sie los! Warnschuss, Querschuss, Schnellschuss, Dauerbeschuss, Schuss vor den Bug. Wehe, wer steht ohne Schützenhilfe und Wachablösung auf verlornem Posten? Nach heftigem Schlagabtausch an den Barrikaden gelingt der Befreiungsschlag. „Hier blasen zwei Parteien zum letzten Gefecht...“(15) – „Im Streit um den Euro (werden) immer schärfere Geschütze aufgefahren.“(16) – „Die Sozialdemokratie schafft es immer wieder, sich ins eigne Bein zu schießen.“(17) – „Trittin schießt nicht auf mich!“(18) – „Wir haben uns angewöhnt ... nicht aus der Hüfte zu schießen.“(19) – „Verantwortlich gemacht für die Schüsse an der Grenze, geriet Krenz nun selbst unter Beschuss.“(20) Eben nicht.

Schlag-Zeilen bersten von Schlachten, Schlachtfeldern, Feldzügen Kampfansagen, Nah­- und Grabenkämpfen, Schützengräben, Wagenburgen, Nebelkerzen, Pulverfässern, Lunten, Sprengsätzen, Tretminen, Zeitbomben, Zündstoff. „Ein Kopftuch wird zum Zündstoff“ (21) – „Seit Erscheinen der deutschen Ausgabe von Daniel Goldhagens Darstellung (zum Holocaust, C.K.) ... hat heftiges, und hierzulande überwiegend kritisches Sperrfeuer der Medien dieses Werk begleitet.“(22) – „Die Debatte wird neu befeuert.“(23)

Beliebt ist das Kreuzfeuer der Kritik. Dabei wird, wo gefeuert wird, eben nicht kritisiert. Vielleicht nur mit Fragen bombardiert...

Krieg wird erklärt. Wörter wie Kleinkrieg, Zweifrontenkrieg, Kriegspfad, Kriegsbeil, Kriegsfuß werden fast nie als „sogenannt“ in Anführungszeichen gesetzt; der Frieden hierzulande ist vorausgesetzt. Die Leser- und Zuhörerschaft soll die augenzwinkernde Ironie verbaler Gemetzel teilen. Personen werden als Wunder- oder Allzweckwaffe, Kampfmaschine und Minenhund bezeichnet. „Der Täter ist eine tickende Zeitbombe.“ (24)

Im tatsächlichen Krieg zeigt sich: das Pulver ist verschossen, das Arsenal der Wörter erschöpft – im Krieg fehlen die Worte. Man nimmt wieder dieselben oder harmlosere, euphemistische wie Mission, Intervention, Operation, chirurgischer Eingriff, friedensstiftender Einsatz, humanitärerer Einsatz, human-militärisch. Vom war light war die Rede in den Golfkriegen, im Kosovokrieg, vom sauberen Krieg. Ethnische Säuberung, Unwort 1992 und Kollateralschaden 1999: „eine sprachliche Missgeburt“ (25). – Die Konfliktparteien liefern sich Gefechte, die Heckenschützen üben ihr Geschäft aus...

Einerseits Beschönigung, andererseits Bemühen, mit Adjektiven verbrauchte Wörter zu stärken: „Blutiger Krieg erfasst Jemen“ (26), „Brutaler Krieg in Vietnam“ (27). Schmutziger Krieg. Gnadenloser Vernichtungskrieg. Ist Krieg unblutig oder barmherzig? Ein neuer Kriegsschauplatz bahnt sich an. Krieg bricht aus. Das Feuer wird erwidert. „Folter und Mord (sind) an der Tagesordnung.“(28)

Uwe Timm zitiert aus Tagebuchnotizen und Feldpostbriefen seines Bruders aus dem Zweiten Weltkrieg: „75 m raucht Iwan Zigaretten, ein Fressen für mein MG. ... Die Russen gewinnen immer mehr Boden, wir liegen ohne Einsatz.“ (29)

Die Protagonistin in Ulla Hahns Roman (30) spricht mit ihrem Vater über seine Kriegserlebnisse: „Wir ließen die Russen rankommen und zwangen sie dann zum Rückzug. – Sag doch gleich: dann knalltet ihr die ab! – Du hast recht ... Es gibt keine menschliche Sprache für den Krieg.“

Bei Beschreibung des Kriegshandwerks und -geräts zeigt sich die Antiquiertheit der Ausdrücke. Sie passen eher zum Hauen und Stechen des Dreißigjährigen Kriegs. Zeitungslektüre erspart den Blick ins Waffenmuseum, man denkt an Zinnsoldaten. Speerspitze. Säbelrasseln. Gefecht – das Wort stammt aus Zeiten, als gefochten wurde. Demnach ist der Begriff Kernwaffengefechtskopf eine fatale Bagatellisierung der Atomwaffe. Selbst Waffe – hervorgegangen aus Wappen, Erkennungszeichen auf Kampfgeräten – taugt nicht zur Bezeichnung der Menschenmassenvernichtung.

Nirgendwo hinkt Mutter Sprache der Wirklichkeit so hinterher wie auf diesem Feld. Und sie erweist sich als umso untauglicher und rückständiger, je mehr menschlicher Erfinder(un)geist immer komplizierteres Tötungspotential schafft. Doch liegt das nicht an ihr, sondern am Griff in die Wortmottenkiste. Passende neue Wörter sind allerdings kaum zu finden. (Overkillkapazität ist eine zynische Fehlleistung).

Verantwortlich mit Sprache umzugehen heißt, deutlich zu reden, Gefahren nicht zu verschleiern, die Wirklichkeit nicht zu verhüllen.

Menschen, die öffentlich reden, sind für sie verantwortlich, weil Medien- und  Umgangssprache – zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz – sich bedingen. Journalistinnen und Journalisten schauen (nach Luther) den Prominenten und „einfachen“ Leuten aufs Maul und die geben die Mediensprache wieder. „Wir reden, wie uns der Schnabel verbogen wird.“  (Wolf Schneider)

In der Sprache kommen, nach Dolf Sternberger, „die sittlichen Kräfte des Menschen zum Ausdruck“. Sie zeigt uns, wo wir herkommen, wo wir hingehen, wo es mit uns hingeht.

Da sie Bild und Spiegel der Gedanken ist (Mark Hopkins) und Denken, Reden und Handeln zusammengehören, können Unwörtern Untaten folgen. „Wörter, wenn sie nicht gehütet werden, verrichten mitunter tödliche Arbeit.“ Sprachpflege ist präventive Umgangspflege, beugt Gewalt vor, wirkt friedensfördernd.

 

Anmerkungen
1 3. Mose 16, 22 ff.

2 Mitteldeutsche Zeitung 19.02.2002

3 Mitteldeutsche Zeitung 24.02.2004

4 Volksstimme 06.10.2000

5 Mitteldeutsche Zeitung 17.05.2001

6 ebda

7 Hallesches Tageblatt 09.08.1995

8 Mitteldeutsche Zeitung 23.03.1999

9 Deutschlandfunk, Kultur heute 21.01.2004

10 MUT Forum für Kultur, Politik und Geschichte 02/2004 S.40

11 Ines Geipel: Für heute reicht’s. Amok in Erfurt, Rowohlt Verlag Berlin 2004

12 Mitteldeutsche Zeitung 02.03.2004

13 MDR Aktuell 01.03.2004

14 Alfred Andersch: Efraim. Roman. Verlag Volk und Welt, Berlin 1990. S.292

15 Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.09.1998

16 ARD 01.07.1997

17 Warschauer Zeitung laut DLF Presseschau 09.02.2004

18 Joschka Fischer, ARD Tagesschau 20.04.1999

19 Oskar Lafontaine, ZDF 27.09.1998, 20:20

20 ARD Länderreport 25.08. 1997

21 Mitteldeutsche Zeitung 08.05.1999

22 Mitteldeutsche Zeitung 18.09.1996

23 Deutschlandfunk 05.11.2003, Inf. am Mittag

24 Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt Oder, Mitteldeutsche Zeitung 31.03.2001

25 Stuttgarter Zeitung 26.01.2000

26 Mitteldeutsche Zeitung 10.05.1994

27 Mitteldeutsche Zeitung 08.12.2000

28 Deutschlandfunk 17.01.2001, 18:45

29 Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders. Verlag Kiepenheuer&Witsch, Köln 2003. S.36, 145

30 Ulla Hahn: Unscharfe Bilder. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, München  2003. S.80

31 John Ruskin: Die Kunst zu lesen. Halle 1907. S.18

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