Südchinesisches Meer

Strategische Bedeutung des Militärpakts AUKUS

von Karl Grobe
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Wie sich die US-Regierung unter dem Demokraten Joe Biden von der des republikanischen Populisten Donald Trump unterscheiden würde, hat manche Kommentator*innen bewegt. Eins schien sicher: Sie würde berechenbarer für die Partner in Europa sein. Absprachen und Informationen würden strategischen Entscheidungen vorausgehen, das offizielle Washington würde berechenbarer Weggenosse des offiziellen Brüssel sein und es nie überraschen. Das galt bis Mitte September 2021.

Dann schloss Bidens Regierung auf der anderen Seite der Erde einen neuen Pakt ab und stieß damit die Europäer vor den Kopf. AUKUS (Militärpakt zwischen Australien, United Kingdom und USA) richtete sich eindeutig gegen China, machte einen Liefervertrag mit französischen - europäischen! - Herstellern von Unterseebooten für Australien wertlos und wurde zwischen USA, Australien und Großbritannien ohne jede Vorausmeldung vereinbart. Die Regierung Macron in Paris war empört, die meisten anderen befremdet, aber sie verstanden: Das ist ganz konkret die Schwenkung der US-Außenpolitik in Richtung Asien, der pivot on Asia.

AUKUS ergänzt einige andere Pakte und Abkommen, die die USA in der Region unterhalten. Darunter QUAD (Quadilateral Security Dialogue), 2007 von den USA, Japan, Südkorea und Australien gegründet und 2017 um informell scheinende Kontakte nach Vietnam und Neuseeland erweitert), die Five Eyes, (die Kooperation der Geheimdienste der USA, Kanadas, Neuseelands, Australiens und Großbritanniens), gemeinsame Flottenmanöver mit Japan und Südkorea, laufende Durchfahrten von Flugzeugträgern usw. Die Gegend ist ein Spannungsgebiet.

Ein Schauplatz ist die Südchinasee. Durch dieses Randmeer des Pazifik wird praktisch der gesamte Energiebedarf Japans – Kohle aus Australien, Erdöl aus Nahost – transportiert, in fast demselben Ausmaß gilt das für Japans Exporte. Die neuen Industriestaaten Südostasiens hängen an diesem Transportweg. Und für den wachsenden Außenhandel Chinas, soweit er nicht auf dem Landweg oder über die eisfrei werdenden arktischen Gewässer abgewickelt wird, ist genau hier der Weg. Die Bedeutung für rund 50% des Welthandels ist damit klar.

Zudem ist das Südchinesische Meer fischreich, und einige Zonen sind zur Forschung nach und Förderung von Erdöl freigegeben.

Die Anrainer China, Vietnam, Malaysia, Indonesien, Brunei, Philippinen streben sämtlich nach Einfluss, wenn nicht Vorherrschaft über die Südchinasee. Die meisten haben sich Inselchen, Atolle, Riffe und Sandbänke angeeignet, oft außerhalb des eigenen Seegebiets, und schon 1974 hat China dem untergehenden südvietnamesischen Regime den größeren Teil von Paracel militärisch weggenommen. China hatte Ansprüche auf viel mehr vorgebracht, nämlich auf das ganze Seegebiet, und sich dabei auf die „nine dash line“ bezogen, die zuerst 1947 auf einer Karte der damaligen Republik China auftauchte,. Die Volksrepublik übernahm diesen Anspruch nie ausdrücklich und offiziell, bestand aber auf sehr weitgehenden Rechten und zog sehr alte historische Daten heran, besonders die maritime Expansion unter Admiral Zheng He während der Ming-Dynastie (1368-1644), dessen riesige Flotte zwischen 1405 und 1433 den gesamten Indischen Ozean beherrschte. Dass am Ende der Ming-Dynastie der Freibeuter und Offizier Koxinga (Zheng Chenggong) und danach die neuen kolonialistischen Mächte aus Europa die Süchinasee kontrollierten, fällt bei dieser Argumentation unter den Tisch – oder wird der imperialistischen Periode zugerechnet, in der China nur mehr Objekt fremder Interessen war.

Diese Periode vollständig hinter sich zu lassen und auf den Status der Weltmacht zurückzukehren, ist das verkündete Ziel der aktuellen Regierung unter Xi Jinping. Daraus ergibt sich eine weitere Dimension der aktuellen Spannungen; Chinas aktuelle Führung sieht – zieht –durchaus Parallelen zur imperialistischen Kanonenbootpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang war die Fahrt der deutschen Fregatte „Bayern“ durchaus konterproduktiv, und das Angebot eines Landgangs in Shanghai war schlicht naiv.

Jedes Aufkreuzen eines US-Kriegsschiffs oder gar, wie inzwischen üblich, zweier US-Flugzeugträger in der Nähe der chinesischen Hoheitsgewässer birgt die Gefahr eines bewaffneten Zusammenstoßes. In den letzten Jahren sind Kollisionen mehrfach um Haaresbreite – ein Dutzend Meter – vermieden worden; jede hätte einen Krieg auslösen können. Die gerade im Oktober 2021 von Biden verschärfte Bestandsgarantie für Taiwan - auch mit Waffengewalt - spitzt den Konflikt weiter zu.

Im Abschlusskommuniqué ihres Treffens 1972 hatten Präsident Nixon und Premier Zhou Enlai sich zur „Ein-China-Lösung“ bekannt; es gebe nur ein China, wer es repräsentiere – Peking oder Taipeh – hätten beide miteinander auszumachen. Nun ist von einem Konsens beider längst nicht mehr die Rede. Je mehr China von Wiedervereinigung spricht, desto mehr betont Taiwan seine Eigenständigkeit, als Fortsetzung der Republik China (1949 vom Festland vertrieben) und als Staat neuer Art. Xi Jinpings Satz vom 1. Oktober 2021, militärische Gewalt sei nicht ausgeschlossen, gehört allerdings mehr in die Rhetorik zum 100. Gründungstag der Kommunistischen Partei als in die Kategorie der harten Drohungen.

Allerdings lässt China es auch nicht an aggressiven Akten fehlen. Seit Jahren baut die Volksrepublik tief im Süden, im Spratly-(Xisha-)Archipel, eine Militärbasis auf, erweitert Inseln, legt Flugzeug-Landebahnen an und intensiviert diese Bautätigkeit immer noch. China beherrscht sieben der Spratly-Inseln (Vietnam deren 21, und auch die Philippinen und Indonesien haben Ansprüche), aber Chinas eigentliches Staatsgebiet ist am weitesten entfernt.

Die Flüge chinesischer Militärmaschinen über Taiwaner Gebiet provozieren ebenso; es handelt sich dabei aber meist – wenn nicht immer – über die völkerrechtlich wenig bedeutsame Luftverteidigungszone, nicht um staatliches Hoheitsgebiet. Zum Nervenkrieg gehören diese Flüge allemal.

Die USA haben durch die damalige Außenministerin Hillary Clinton 2010 das Meer als im „nationalen Interesse“ liegend bewertet und so die Konflikte vertieft. Deren gibt es etliche. Nicht nur China beansprucht Rechte in der Südchinasee. Streit gibt es – außer über Spratly – in vielen Fällen:

  • Dongsha (Pratas) im Norden ist eine von China und von Taiwan beanspruchte, von China kontrollierte Insel.
  • Paracel (Xisha, Hoangsa) sind 22 von China kontrollierte Inseln und einige Dutzend Riffs und Sandbänke nahe den internationalen Schifffahrtswegen. Der Konflikt mit Vietnam dauert an.
  • Scarborough Reef, einige Felseninselchen im Osten nahe der philippinischen Hauptinsel Luzon, sind zwischen den Philippinen und China umstritten. Hier kam es 2012 zu einem bewaffneten Konflikt.

China hat mit der Einrichtung einer Kommunalverwaltung („Stadt Sansha“) für offenbar das gesamte von der Nine-dash-line umschlossene Gebiet seine Expansion weiter vorangetrieben und damit – gemäß dem neuen Nationalismus unter Xi Jinping – die vorsichtige Tradition des Deng Xiaoping aufgegeben, der geraten hatte, die verworrenen Konflikte ruhen zu lassen und ihre Lösung der nächsten Generation zu überlassen. Xis Wende, Ausdruck neuen Weltmachtbewusstseins und zugleich Reaktion auf Washingtons (Obamas) pivot on Asia, hat einen neuen Brennpunkt geschaffen, von dem ein Weltkonflikt ausgehen kann. Die Freedom-of-Navigation-Fahrten größerer Schiffsverbände, welche die USA seit 2020 durchführen, darunter mit zwei Flugzeugträgern, haben die allgemeinen Spannungen erheblich verschärft. Die Kriegsgefahr, die in dem amerikanisch-chinesischen Gegensatz ohnehin enthalten ist, konzentriert sich in der Südchinasee.

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Krisen und Kriege
Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.