Atomabkommen mit dem Iran

Tote nicht wieder zum Leben erwecken

von Niusha Fischer
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Als das Abkommen zum iranischen Atomprogramm 2015 geschlossen wurde, atmete die internationale Gemeinschaft auf: Es fühlte sich an, als sei die Welt ein Stück sicherer geworden. Sechs Jahre später übernahm im Iran der Hardliner Raissi mit einer offiziellen Wahlbeteiligung von nur rund 48% das Amt des Präsidenten. Inoffiziellen Quellen zufolge dürfte die Wahlbeteiligung noch deutlich geringer ausgefallen sein. Diejenigen Iraner*innen, die im Jahr 2017 noch für den gemäßigteren Rohani gestimmt haben, sind aus Resignation gegenüber dem politischen Regime der Mullahs mehrheitlich zu Hause geblieben.

Das Atomabkommen mit dem Iran galt als ein Sieg europäischer Diplomatie. Der Iran verpflichtete sich darin, seine Nuklearaktivitäten in einem Maße zu reduzieren, die eine Nuklearanreicherung bis hin zur Atombombe unmöglich machen soll. Gleichzeitig stimmte er zu, Verfahren zur Nuklearanreicherung transparent zu gestalten und strenge Kontrollen durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) zuzulassen. Im Gegenzug sah das Abkommen vor, die gegen den Iran erhobenen Sanktionen der Vereinten Nationen, der EU und den USA zu lockern. Mit dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen ist der Deal de facto tot und es bleibt zu hoffen, dass er nicht wieder zum Leben erweckt wird.

Zunächst muss hinterfragt werden, inwiefern das Abkommen den Iran effektiv daran gehindert hätte, langfristig an eine Atombombe zu gelangen und somit weiterhin eine Bedrohung für die internationale Sicherheit darzustellen.

Obwohl das Atomabkommen als Europas diplomatische Sternstunde deklariert wurde, werden immer wieder Stimmen laut, die ihn als ein Sieg für das Mullah Regime bezeichnen. (1) Vehement argumentieren sie, dass das Abkommen das iranische Nuklearwaffenprogramm zwar auf Sparflamme stelle, es damit aber auch legalisiert und auf Dauer überlebensfähig gemacht habe. Denn obwohl die Nuklearanlagen strengen Beschränkungen unterliegen, bleibt die komplette Infrastruktur des Nuklearprogramms bestehen. Die Uranzentrifugen des Landes werden nicht verschrottet oder anderweitig unbrauchbar gemacht, sondern lediglich stillgelegt und können somit jederzeit zwecks Urananreicherung wieder aktiviert werden. Obwohl die Kontrollen der IAEO unter anderem auch dazu gedacht sind, dieses Risiko zu minimieren, finden sie jedoch nur in jenen Anlagen statt, die das Regime direkt als Teil des Nuklearprogramms benannt hat. Militärische Anlagen gehören nicht dazu.

Neben diesen, in aller Kürze umrissenen inhaltlichen Kritikpunkten, wurde durch das Atomabkommen aber auch die verheerende Menschenrechtslage im Iran bagatellisiert und das fragwürdige Gelingen eines fragilen Deals über die Interessen einer demokratisch gesinnten Opposition, sowohl im Exil, als auch im Iran selbst, gestellt. Denn wie bei jedem anderen Abkommen auch, spielt die Frage nach gegenseitigem Vertrauen keine unwesentliche Rolle. Wie viel Vertrauen wollen wir einem Regime schenken, welches seine Frauen und Mädchen systematisch unterdrückt, seine Bürgerinnen foltert und ermordet, öffentliche Hinrichtungen praktiziert und dabei auch vor Jugendlichen keinen Halt macht?

Wie die Mullahs durch die europäischen und deutschen Institutionen hofiert werden, kann sich für die große Anzahl der oppositionellen Iraner*innen im In- und Ausland nur wie blanker Hohn anfühlen. Lange haben sie sich für Veränderungen im Land eingesetzt, erst zögerlich, seit einigen Jahren in Form von mutigen öffentlichen Protesten immer regelmäßiger. Sie haben erkannt, dass das Mullah-Regime geschwächt ist und fordern nicht mehr nur Reformen. Sie haben die Hoffnung, dass es so etwas wie eine „moderate Islamische Republik“ mit dem jetzigen System überhaupt geben kann, schon lange aufgegeben; das allerdings müsste auch die internationale Politik einsehen. Beispiele wie das Aushandeln des umstrittenen Atomabkommens, aber auch Glückwünsche des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum 40. Jahrestag der islamischen Revolution zeigen, dass diese anscheinend noch immer glaubt, durch Appeasement moderate Kräfte im Land stärken zu können. Dabei ist es viel wahrscheinlicher, dass die Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen ausschließlich den von den Revolutionsgarden kontrollierten Wirtschaftszweigen zu Gute kommt- und eben nicht der iranischen Bevölkerung. Angesichts der engen Verzahnung des iranischen Marktes mit dem Mullah-Regime ist dies ein durchaus denkbares Szenario, aus dem schlussendlich eine wirtschaftlich gestärkte iranische Regionalmacht hervorginge.

Mit einer Wahlbeteiligung von nur 48% haben die Iraner*innen im Juni 2021 der Islamischen Republik eine Abfuhr erteilt. Es wird Zeit, dass die internationale Politik es ihnen gleichtut und die demokratischen Regimegegner unterstützt, anstatt eine Politik zu betreiben, die zwar kurzfristig für Entspannung sorgen kann, aber ein Erstarken oppositioneller Kräfte im Iran erschwert. Denn nur durch ein Ende des Mullah Regimes wird der Iran langfristig keine Gefahr mehr für die eigenen Bürger*innen sowie die internationale und regionale Sicherheit darstellen.

Anmerkung
1 Vgl. dazu Böhme, Christian, „Gefährlich naives Wunschdenken“, in: Tagesspiegel, 14.07.2015, oder Stephan Grigat im Gespräch mit Liane von Billerbeck. Das Abkommen hat das iranische Nuklearprogramm quasi legalisiert. In: Deutschlandfunk Kultur, 15.05.2018.

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Die Autorin ist Kultur-und Politikwissenschaftlerin und arbeitet hauptberuflich bei einer internationalen humanitären Kinderrechtsorganisation.