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Nach der Volksabstimmung "Schweiz ohne Armee"
Träumen - mit hellwacher Vernunft
von35,6 Prozent der Abstimmenden, das sind genau 1.052.218 Schweizerinnen und Schweizer, haben am letzten November-Wochenende Ja gesagt zu einer Schweiz zwar ohne Armee, dafür mit einer umfassenden Friedenspolitik. Mehr als ein Drittel der EidgenossInnen haben damit in dieser weltgeschichtlich erstmaligen Volksbefragung dem Militarismus eine Absage erteilt. Während die überraschten und zuweilen auch schockierten ArmeeanhängerInnen in ersten Reaktionen wenig unmittelbare Auswirkungen für die Schweiz sehen möchten, spricht die Initiativgruppe GSoA (Gruppe Schweiz ohne Armee) von einer "unerhörten Ermutigung".
Sonntag, 26. November 1989, 14 Uhr: Die Stimmlokale im ganzen Land sind seit zwei Stunden geschlossen. In der Basler Kaserne, die schon seit Jahren armeefrei ist und heute als Kulturzentrum funktioniert, treffen sich GSoA-SympathisantInnen zum gemeinsamen Erfahren der Resultate. Eine der längsten, tiefgründigsten und farbigsten Abstimmungskampagnen ist am Vorabend mit Rockkonzerten im ganzen Land zu Ende gegangen im Bewußtsein, daß es weitergehen wird.
Die Volksabstimmung
Der Erfolg der GSoA-Kampagne war bereits vor diesem historischen Wochenende ein Faktum. Tausende von Diskussionsrunden, Debatten unter großer Medienbeteiligung, eine Welle von aktueller Literatur, ein phantastischer Politisierungsschub der jungen Generation haben 1989 zu einer Zäsur in der helvetischen Politiklandschaft gemacht. Endlich konnte Friedenspolitik diskutiert und die Armee in Frage gestellt werden. Stimmungen und Entwicklungen, die sich seit Jahrzehnten aufgestaut hatten, konnten thematisiert und formuliert werden. Wir waren uns einig: Die GSoA-Initiative war schon vor der Abstimmung ihren Aufwand wert.
Und nun dieser Nachmittag - 14.05 Uhr kommen über den Äther die ersten Resultate: "Im Kanton Appenzell haben gut 33% für die Abschaffung der Armee gestimmt!" - Ungläubiges Staunen im Pressezentrum der Kaserne, wo sich GSoA-Leute auf die ersten Stellungsnahmen und Kommentare vorbereiten. Ein Drittel der Ja-Stimmenden in diesem traditionell militärfreundlichen Ostschweizer Kanton, wo die Frauen erst dieses Jahr ihr Stimmrecht auf kantonaler Ebene erhielten. Die erste Hochrechnung des Fernsehens läßt uns weiter staunen: "Für die GSoA-Initiative zeichnet sich ein sensationelles Resultat ab: über 35%, so unsere erste Hochrechnung, haben vermutlich der Abschaffung der Armee zugestimmt!"
Jubeltag der "Schweiz ohne Armee"
Der Nachmittag des 26. Novembers macht diesen Tag zum Jubeltag aller "Schweiz ohne Armee"-SympathisantInnen. Bis am frühen Abend ist klar, daß sogar zwei Kantone die Initiative angenommen haben: In Genf kommt es zu einer vorübergehenden Einnahme der Kaserne durch begeisterte Menschen. In den militärischen Anlagen steigt eine rauschende Party, auch die anwesenden Soldaten feiern mit. Ist der Ja-Anteil in Genf gerade 50,4%, so sind es im Kanton Jura sogar 55% - ein klare Mehrheit.
Die "Schweiz ohne Armee" feierte an diesem Tag, niemand hatte sich eine solche Unterstützung zu erträumen gewagt. Wir Utopisten waren, so ein GSoA-Aktivist, immer noch zu realistisch. Der über seine Mitbürger sichtlich enttäuschte Militärminister Villiger meinte dagegen trotzig, daß er es in seiner politischen Karriere noch nie erlebt habe, "daß Verlierer so überschwenglich feiern können".
Die Kommentatoren der Tageszeitung waren sich am "day after" ziemlich uneinig in der Bewertung des überraschenden Resultates: Vor "Weiter wie bisher" über "Reformen vonnöten" bis zu "staatspolitischem Erdbeben" war alles zu lesen. Während die "Betonköpfe" der bürgerlichen Parteien die offene friedenspolitische Debatte jetzt endlich begraben haben möchten, fordern sozialdemokratischen ParlamentarierInnen eine neue Politik: Endlich ein echter Zivildienst, Abschaffung der Militärjustiz und ein massives Stutzen des Militärbudgets.
Frieden mit Europa
Die GSoA fordert derweil die Regierung und die Parlamente auf, das alte Denken des kalten Krieges aufzugeben und endlich Friedens- statt Kriegsvorbereitungspolitik zu betreiben. Im UNO-Vergleich steht die Schweiz beispielsweise in der Entwicklungshilfe dreimal schlechter dar als der Durchschnitt; im Militärdepartement beschäftigen sich gerade 15 von 15000 Angestellten mit Friedenspolitik. Angesichts der über eine Million Ja-Stimmenden zu einer "Schweiz ohne Armee" sind also Reformen wohl unausweichlich geworden. Denn die Mauern beginnen Ende der 80er Jahre nicht nur im Osten zu fallen...
Die GSoA bleibt auf jeden Fall am Ball: In vielen Regionen der Schweiz haben Anfang Dezember Versammlungen und Feste stattgefunden, an denen Rück- und Ausblick gehalten wurde. Nach den spektakulären Aktionen ist jetzt wieder verstärkt Inhaltliches angesagt. Erste konkrete Entscheidungen über die zukünftige Arbeit und Ausrichtung der GSoA werden aber erst auf der nächsten Vollversammlung getroffen, die am 18. März in Solothurn stattfindet.
Im Weiteren möchte sich die GSoA in Zusammenarbeit mit vielen andere Gruppen als europäisches Projekt* verstanden wissen, als Impuls für die Demilitarisierung Europas. Sowohl in der BRD, der DDR, Österreich als auch in den skandinavischen Staaten schließen sich immer mehr dieser Volksbewegung an. Uns so wollen wir denn träumen, mit hellwacher Vernunft...
*Das Buch zum Thema: A Gross, F. Crain, B. Kaufmann (Hrsg): "Frieden mit Europa - Der Beitrag einer Schweiz ohne Armee zur Zivilisierung der Weltinnenpolitik", 35 AutorInnen aus 14 Ländern; 390 Seiten, 29 sFr; zu bestellen bei: Realutopia-Verlag, Postfach 804, CH-8025 Zürich.