Gewalt überwinden als Auftrag für Kirche und Politik

Um Gottes Willen: Frieden!

von Jan GildemeisterRichard Brand
Die biblischen Gebote, seinen Nächsten zu lieben und Frieden zu stiften, sind in der Geschichte der Christenheit in sehr unterschiedlichem Maße befolgt worden. Der US-Präsident George W. Bush verstand den Angriffskrieg gegen den Irak als Mission der USA im Auftrag Gottes. Die weit überwiegende Zahl der Kirchen - auch in den USA - und ChristInnen hat sich aber nachdrücklich gegen diesen Krieg gewandt. Diese Einmütigkeit ist auch ein Ergebnis der friedensethischen Diskussionen in den Kirchen und Aktionen von Basisgruppen seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Der folgende Beitrag erläutert die Hintergründe, vor denen Frieden und Gerechtigkeit auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag vom 29. Mai bis 1. Juni 2003 in Berlin Thema sein werden, und weist auf einige Veranstaltungen hin.

Die Kirchen und der Irak-Krieg

"Krieg soll nach Gottes Wille nicht sein", diese Position der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948 ist für Präses Manfred Kock, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), einer der zentralen Leitsätze in der christlichen Friedensethik. Die Ablehnung eines "gerechten" Krieges und der Ruf nach einem gerechten Frieden sind gemeinsame Überzeugung der evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland.

Kirchliche Gremien wie Bischofskonferenzen, synodale Räte und Exekutivausschüsse haben eine Flut von Stellungnahmen zum Irak-Krieg abgegeben, damit die weltweite und die bundesdeutsche Debatte aktiv mitgestaltet und wichtige Impulse geben können. In der überwältigenden Mehrheit der kirchlichen Stellungnahmen wird ein Präventiv-Krieg gegen den Irak eindeutig abgelehnt. Schon im September 2002 stellte der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf fest, dass ein Krieg gegen den Irak unmoralisch und unklug wäre und gegen die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen verstoßen würde. Die deutsche Bischofskonferenz erklärte im März 2003 auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung, dass eine militärische Gewaltanwendung, die ohne Mandat des Sicherheitsrates oder gegen dessen Willen erfolgte, eine Abkehr vom Völkerrecht bedeuten würde. Manfred Kock betonte in Stellungnahmen, dass ein Krieg vor allem "Elend über viele Unschuldige" bringen würde.

 
    Auch die christliche Friedensbewegung und im zunehmenden Maße auch Kirchengemeinden haben sich in den letzten Monaten intensiv mit dem (drohenden) Krieg gegen den Irak befasst und - gemeinsam mit anderen Gruppen und Organisationen - Protest und Widerstand organisiert: Stellungnahmen und Erklärungen, Postkartenaktionen und offene Briefe, Demonstrationen und Blockaden, Mahnwachen und Friedensgebete ... Auch wenn die Aktionen auf der Straße und in den Kirchen nach dem "Sieg" der Truppen der USA und ihrer Verbündeten deutlich nachgelassen haben: die veränderte weltpolitische Situation bewegt weiter die Gemüter. Das Thema Krieg und Frieden wird daher auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin einen hohen Stellenwert haben.

Die Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind seit Jahrzehnten zentrale Leitbilder für die weltweite Ökumene. Durch die "Dekade zur Überwindung von Gewalt", die auf der Achten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1998 in Harare (Zimbabwe) ausgerufen wurde, sind die verschiedenen Formen von Gewalt und die Schaffung einer Kultur des Friedens in den letzten Jahren in den Mittelpunkt gerückt worden. Während der Dekade (2001 - 2010) sollen Bemühungen zur Überwindung unterschiedlicher Formen der Gewalt von Seiten der Kirchen, ökumenischen Organisationen und christlichen (sozialen) Bewegungen intensiviert und miteinander verknüpft werden. Um eine Kultur des Friedens zu erreichen, hat sich die Dekade folgende Ziele gesetzt:

 
      Ganzheitliche Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum von direkter und struktureller Gewalt zu Hause, in Gemeinschaften und auf internationaler Ebene sowie Lernen von lokalen und regionalen Analysen der Gewalt und Wegen zu ihrer Überwindung  
      Aufforderung an die Kirchen, Geist, Logik und Ausübung von Gewalt zu überwinden, auf jede theologische Rechtfertigung von Gewalt zu verzichten und erneut die Spiritualität von Versöhnung und aktiver Gewaltlosigkeit zu bekräftigen  
      Gewinnung eines neuen Verständnisses von Sicherheit im Sinne von Zusammenarbeit und Gemeinschaft statt Herrschaft und Konkurrenz  
      Lernen von der Spiritualität Andersgläubiger und ihren Möglichkeiten, Frieden zu schaffen; Zusammenarbeit mit Gemeinschaften Andersgläubiger bei der Suche nach Frieden und Aufforderung an die Kirchen, sich mit dem Missbrauch religiöser und ethnischer Identität in pluralistischen Gesellschaften auseinander zu setzen  
      Proteste gegen die zunehmende Militarisierung unserer Welt und insbesondere gegen die Verbreitung von Feuer- und Handfeuerwaffen.  
    Die Dekade bietet somit Rahmen für vielfältige Aktivitäten innerhalb und außerhalb der Kirchen. Der Ausdruck ´Gewalt überwinden` hat eine umfassende Bedeutung und beinhaltet weit mehr als zwischen- oder innerstaatliche kriegerische Konflikte. In der Dekade geht es neben der Überwindung von körperlicher Gewalt, auch um die Überwindung von emotionaler, intellektueller, struktureller und sozio-ökonomischer Gewalt. Die Dekade wird von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland unterstützt. Insbesondere in den evangelischen Kirchen wurde sie mit vielfältigen Aktivitäten von Gemeinden, kirchlichen Institutionen und christlichen Gruppen mit Leben gefüllt.

Auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag vom 29. Mai bis 1. Juni 2003 in Berlin finden zu Aspekten der Dekade zahlreiche Veranstaltungen statt. Im nächsten Abschnitt sollen einige Orientierungspunkte zu den Themen Friedensarbeit, Konfliktbearbeitung, Versöhnungsarbeit und Menschenrechte gegeben werden.

Ökumenische Friedensarbeit auf dem Kirchentag

Das thematische Angebot des Kirchentages, der unter dem Motto "Ihr sollt ein Segen sein" steht, ist in vier Themenbereiche unterteilt: Glauben bezeugen - im Dialog leben / Einheit suchen - in Vielfalt einander begegnen / Menschenwürde achten - die Freiheit wahren / Welt gestalten - in Verantwortung handeln. Die Programmfülle ist beachtlich. Auf 720 Seiten informiert das Programmheft über die thematischen Veranstaltungen, das kulturelle Angebot und die beteiligten Organisatoren, die ihre Arbeit an Informationsständen auf der Agora präsentieren. Die Vielzahl der Angebote macht es für Teilnehmende daher ratsam, schon vorab klare Prioritäten zu setzen.

Wer sich für die Friedensthematik interessiert, kann auf eine tabellarische Übersicht zurückgreifen, die die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) anhand des Programms zusammengestellt hat. Ausgewählt anhand der Stichworte Gewalt, Krieg, Frieden und Gewaltfreiheit ist die Übersicht eine Orientierungshilfe und informiert über Zeit, Ort, Thema und Titel, Veranstaltungsart sowie die entsprechende Seite im Kirchentagsprogramm. Die Tabelle kann über die Website http://www.friedendienst.de der AGDF heruntergeladen werden.

Die Mehrzahl der Veranstaltungen zu Friedensarbeit und Konfliktbearbeitung finden sich im Themenbereich 4 "Welt gestalten - in Verantwortung handeln". Es gibt u.a. eine dreitätige Werkstatt "Ökumenische Dekade Gewalt überwinden" mit verschiedenen Podiumsdiskussionen:
 

 
      Menschenrechte und Gewaltfreiheit nach dem 11. September in Bedrängnis  
       
      Die Christenheit vor der Frage: Gott oder Mammon?  
       
      Vom Schmerz zur Hoffnung - den Opfern die Würde wiedergeben  
       
      Wege aus der Gewalt gegen indianische Völker  
       
      Mit Phantasie gegen Gewalt an Frauen: Frauen aus Brasilien, Libanon und Philippinen stellen ihre Arbeit vor
 
 
    AGDF und pax christi gestalten zusammen mit weiteren christlichen Friedensorganisationen am Donnerstag, den 29.5.2003, im Rahmen dieser Werkstatt ein ganztägiges Forum "Den Frieden stärken: Gewaltfrei geht`s auch!" in der Messehalle 7.1b/I.

Am Vormittag vermittelt das Gesprächsforum "Gewalt überwinden als Auftrag für Kirche und Politik" Einblicke in die Erfahrungen ökumenischer Friedensarbeit. Zum Einstieg spricht der politische Journalist Andreas Zumach, und anschließend werden Beispiele ökumenischer Friedensarbeit aus Mosambik, Kosovo, Kolumbien, Palästina und Deutschland vorgestellt. Der Vormittag wird abgeschlossen durch einen Vortrag von Dr. Winrich Kühne, Leiter des Zentrums für internationale Friedenseinsätze, Berlin, über die politische Perspektive der zivilen Konfliktbearbeitung.

Am Nachmittag werden Praxisangebote ziviler, gewaltfreier Konfliktbearbeitung in Form von Trainings- und Diskussionsgruppen vorgestellt und durch Schnupperangebote erfahrbar gemacht.

Detaillierte Informationen finden sich auf den Websites der AGDF oder können telefonisch bei der AGDF und pax christi erfragt werden.

Am Freitag, den 30. Mai, gibt es ein ganztägiges Forum "Den Frieden stärken" in der Messehalle 11.2. "Handys, Öl und Diamanten - Gewalt und Geschäfte" lautet der Titel eines Vortrages von Dr. Peter Lock am Morgen. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul diskutiert danach mit anderen PodiumsteilnehmerInnen über die Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Um 15 Uhr treffen sich Andreas Zumach und Gary Smith, Direktor der American Academy, Berlin, zu einem deutsch-amerikanischen Streitgespräch: "Wofür kämpfen wir?". Zum Abschluss gibt es ein Podium zu "Gerechter Frieden - keine Illusion!". In einer Vielzahl weiterer Veranstaltungen werden die Rolle der USA in der Weltpolitik, der Israel-Palästina- u.a. Konflikte, Religionen und Gewalt, die Rolle von Medien, Terrorismus, Menschenrechte, Erinnerung und Versöhnung, humanitäre Hilfe und viele andere aktuelle Friedensthemen diskutiert und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Friedensaktionen auf dem Ökumenischen Kirchentag

Für Samstag, den 31. Mai, planen Friedensgruppen am Nachmittag verschiedene Friedensaktionen in der Berliner Innenstadt. An drei Plätzen sollen "Kundgebungen" zu den Themen (1) Krieg - Frieden, (2) Krieg - Gerechtigkeit und (3) Krieg - Bewahrung der Schöpfung stattfinden. Gedacht ist auch an die Bildung einer Menschenkette, die die drei Orte miteinander verbindet. Ab Mitte Mai sollen die Teilnehmenden des Kirchentages und die Berliner Bevölkerung über die Einzelheiten informiert werden.

Trotz einer Vielzahl anderer, auch innerkirchlicher Themen - wie die Frage nach einem gemeinsamen Abendmahl / einer gemeinsamen Eucharistiefeier - wird die Suche nach Frieden und Gerechtigkeit in der Welt breiten Raum auf dem Ökumenischen Kirchentag einnehmen. Dies wird auch durch orange Tücher mit der Aufschrift "Selig sind, die Frieden stiften", die vom Kirchentag verkauft werden, in der ganzen Stadt sichtbar werden. Es bleibt zu hoffen, dass der Kirchentag dazu beiträgt, der Diskussion um Frieden, kriegerische Gewalt und wirtschaftliche Ungerechtigkeit in den und außerhalb der Kirchen neue Impulse zu geben: So sollte beispielsweise die friedenspolitische Debatte in den letzten Monaten zu einer deutlichen kritischen Positionierung der Kirchen gegen militärische Gewalt und Rüstung sowie zu einer aktiv(er)en Unterstützung von Protest, Widerstand und zivilen Alternativen überführt werden. Das friedenspolitische Engagement von Christinnen und Christen in ihren Kirchen und den sozialen Bewegungen sollte auf möglichst hohem Niveau verstetigt werden.

Rubrik

Initiativen
Jan Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF.
Richard Brand ist Pressereferent der Organisation.