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Zielbild Heer
Umbau für Großmachtkriege

Als die Auflösung des Warschauer Paktes Anfang der 1990er das – vermeintliche, muss man heute sagen – Ende des Kalten Krieges signalisierte, wurden schnell neue Rechtfertigungen für den Fortbestand von NATO und Bundeswehr gesucht und gefunden. Out-of-Area-Einsätze waren plötzlich angesagt, also Interventionskriege im Globalen Süden. Dementsprechend begann die Bundeswehr, ihre schweren Großverbände, die auf eine militärische Auseinandersetzung mit einem technologisch versierten Gegner (sprich: Russland) ausgerichtet waren, zugunsten neuer leichter und schnell verlegbarer Einheiten aufzulösen.
Ab 2014 wurde im Zuge der bereits damals einsetzenden Eskalation der westlich-russischen Beziehungen wieder zurückgerudert. Seither steht erneut der Aufbau schwerer Großverbände im Zentrum der Bundeswehr-Planungen – auch wenn diese Entwicklung lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ihren Anfang nahm, hat sie sich seither noch einmal massiv beschleunigt. Ausschlaggebend ist hier das neue NATO-Streitkräftemodell, aus dem sich das Zielbild Heer und der inzwischen begonnene Umbau der Truppe ableitet.
NATO-Streitkräftemodell
Im Juni 2022 verabschiedete die NATO ein neues dreistufiges Streitkräftemodell (NATO Force Model, NFM). Es soll ab 2025 gelten und die schnell mobilisierbaren Truppen von bislang 40.000 Soldat*innen massiv aufstocken: „Der Anspruch des NFM ist, etwa 800.000 Soldaten zu organisieren. Es teilt die Streitkräfte und Fähigkeiten der Alliierten verschiedenen potentiellen Konfliktregionen innerhalb des euroatlantischen Raums zu, etwa dem Ostseeraum, und organisiert sie in drei Stufen, sogenannten Tiers, mit wachsender Bereitschaftszeit. Tier 1 und Tier 2 bilden mit 100.000 bzw. 200.000 Soldaten den Kern und weisen mit 10 bzw. 30 Tagen eine hohe Reaktionsbereitschaft auf. Tier-3-Truppen, weitere 500.000 Soldaten, sollen graduell in bis zu 180 Tagen einsatzbereit sein.“ (1)
Das Bündnis setzt also neben der Vorwärtspräsenz in Form von acht NATO-Basen in Osteuropa (mit Deutschlands geplanter Brigade in Litauen) vor allem auf eine Vervielfachung der rasch verlegbaren Truppen mit hoher und höchster Einsatzbereitschaft. Die entsprechenden Verteidigungspläne, mit denen diese Truppen auf rund 4.000 Seiten detailliert mitsamt Bewaffnung drei Regionen zugeordnet werden, wurden dann beim letzten NATO-Gipfel in Vilnius im Juli 2023 verabschiedet: „Ein Plan beschäftigt sich mit der Sicherung des hohen Nordens sowie des Atlantikraums, die von Norfolk in den USA aus organisiert werden soll. Das Hauptquartier im niederländischen Brunssum ist für die Umsetzung des zweiten Plans zuständig, der Mitteleuropa vom Baltikum bis zu den Alpen abdeckt. Das dritte, ebenfalls als geheim eingestufte Dokument beschreibt den Schutz von Südosteuropa, inklusive des Schwarzen Meers und des Mittelmeers. Dies soll von Neapel geplant werden.“ (2)
Zielbild Heer – „Operativer Türkeil“
Bereits 2018 hatte die Bundeswehr in ihrem Fähigkeitsprofil das Ziel ausgegeben, bis 2027 eine schwere Division (~15.000-20.000 Soldat*innen) und bis 2031 drei Divisionen in die NATO einspeisen zu können. Im Zuge des neuen Streitkräftemodells soll das Fähigkeitsprofil nun früher umgesetzt werden. Im August 2022 wurden dann die Details des auf dieser Grundlage entworfenen „Zielbild Heer“ bekannt, das zwar unter Verschluss ist, über das aber im Reservistenmagazin „loyal“ ausführlich berichtet wurde. (3) Demzufolge solle die erste Division nun bereits 2025 zur Verfügung stehen, eine zweite dann 2027 folgen und die letzte noch vor 2030 aufgestellt sein.
Neben schweren Verbänden zur „Landesverteidigung“ gegen gegnerische Großmächte und leichten Einheiten für Interventionen im Globalen Süden werden nun die neuen Mittleren Kräfte eingeführt. Zukünftig soll die Division 2025 unter Führung der 10. Panzerdivision (Veitshöchheim) über eine schwere und zwei mittlere Brigaden verfügen, für die Division 2027 (1. Panzerdivision in Oldenburg) sind zwei schwere und eine Mittlere Brigade vorgesehen, und der dritten Division sollen dann die leichten Kräfte (Division Schnelle Kräfte in Stadtallendorf) zugeordnet werden (jeweils ergänzt um eine niederländische Brigade). (4)
Nach Angaben von Heeresinspekteur Alfons Mais soll beim Umbau der Truppe kaum ein Stein auf dem anderen bleiben: „Von 130 Strukturelementen des Heeres sind rund 120 betroffen. […] Zum Beitrag des Heeres: Das war bislang periodisch […] Jetzt sind wir bei anderen Größenordnungen, sprechen über permanente Verfügbarkeit von Brigaden und Divisionen. Vom Umfang her verdreifachen wir die Kräftebindung der Landstreitkräfte, gehen aus der periodischen in eine kontinuierliche Bereitschaft über.“ (5)
Und genau damit wurde seit dem 1. April 2023 begonnen, über die ersten Umgruppierungen informierte Bundeswehr auf ihrer Internetseite wie folgt: „Konkret heißt das: Die Gebirgsjägerbrigade 23 der 10. Panzerdivision wird künftig der Division Schnelle Kräfte unterstellt, das Panzerbataillon 363 der Panzergrenadierbrigade 37 wechselt in die Panzerbrigade 12. Die Panzergrenadierbrigade 37 erhält hingegen das Augustdorfer Panzergrenadierbataillon 212 der Panzerbrigade 21. Die Panzerbrigade 21 erhält das Jägerbataillon 91 von der Panzerlehrbrigade 9 sowie das Jägerbataillon 413 der Panzergrenadierbrigade 41.“ (6)
Rad vs. Kette
Da als wahrscheinlichstes Szenario ein Einsatz der Bundeswehr nicht an der Landesgrenze, sondern nahe Russland angenommen wird, sollen die neuen Mittleren Kräfte einen „guten“ Kompromiss zwischen Tempo und Feuerkraft darstellen. Ihre Aufgabe wird es künftig sein, an der NATO-Ostflanke die Stellung so lange zu halten, bis die verstärkenden Schweren Kräfte eingetroffen sind.
In diesem Zusammenhang war es lange zu teils hitzig geführten Auseinandersetzungen innerhalb der Truppe gekommen, die sich im Wesentlichen auf die Frage herunterbrechen lassen, ob die neuen Mittleren Kräfte mit ihren Panzern eher auf Tempo (Rad) oder Feuerkraft (Kette) setzen sollen. Was die unterschiedlichen Geschwindigkeiten anbelangt, wurde dabei zum Beispiel bei Soldat & Technik (10.3.2023) folgende Rechnung aufgemacht: „Dem Beispiel zufolge sind selbstverlegefähige Kräfte auf Rad – wenn auch mittels Inkaufnahme von einer gewissen Belastung für das Material – in der Lage, ein rund 600 Kilometer entferntes Ziel im Straßenmarsch in 10,5 Stunden zu erreichen. In der gleichen Zeit kämen Kettenfahrzeuge nur 195 Kilometer weit, was rund einem Drittel der Radstrecke entsprechen würde.“ (7) Vor diesem Hintergrund verkündete die Bundeswehr am 8. März 2023 die Entscheidung, die Mittleren Kräfte ausschließlich mit Radpanzern ausstatten zu wollen. (8)
Angesichts dessen ist es in sich logisch, dass im März 2023 in der NZZ berichtet wurde, die Bundeswehr plane, „mehrere hundert“ in Australien gefertigte Radpanzer Boxer beschaffen zu wollen (Rheinmetall hat dort ein Werk errichtet), da das „deutsche Heer beabsichtigt, den Boxer zum Hauptkampfsystem seiner «mittleren Kräfte» zu machen.“ (9) Dem gewöhnlich gut informierten Militärblog Augengeradeaus zufolge soll es um ein Geschäft im Umfang von 1,9 Mrd. Euro gehen. (10) Mit der Entscheidung, die Mittleren Kräfte mit Radpanzern auszustatten, sank dementsprechend auch der Bedarf nach Puma-Kettenpanzern. Im Frühjahr 2022 war noch die Rede davon, zusätzlich zu den bereits zugelaufenen 350 Exemplaren solle ein zweites Los mit weiteren 229 Puma-Panzern beschafft werden. Durch die sich abzeichnende Präferenz für Radpanzer und sicherlich zusätzlich begünstigt durch immer neue Pannen reduzierte sich diese Zahl im Laufe der Monate auf 50 Stück, deren Kauf der Haushaltsausschuss im Mai 2023 genehmigte (siehe IMI-Analyse 2023/02).
Kaltstartfähige Rüstung
Um möglichst schnell verlegbar zu sein, sollen die geplanten Großverbände über eine „Kaltstartfähigkeit“ verfügen, das heißt, ihr Ausstattungsniveau müsste dafür sogar deutlich über 100 Prozent liegen, wie zum Beispiel bei Soldat & Technik erläutert wird: „Konsequent zu Ende gedacht, erfordert eine Kaltstartfähigkeit eine Vollausstattung in Höhe von etwa 130 Prozent an Material sowie eine gewisse, noch zu definierende Personalreserve. Alles andere wäre nur ein ‚Verfügbarkeitsmanagement‘ auf einem höheren Niveau.“ (11)
Es liegt auf der Hand, dass hierfür immense Mittel benötigt werden – wie geschickt, dass auf dem NATO-Gipfel in Vilnius im Juli 2023 das sog. 2%-Ziel als verbindliche Untergrenze für alle Bündnismitglieder verabschiedet wurde. In diesem Jahr verfehlen wohl 19 von 31 NATO-Mitglieder dieses Ausgabenziel – sollte es 2024 von allen umgesetzt werden, kämen zu den diesjährigen 1264 Mrd. Dollar NATO-Militärausgaben weitere 357 Mrd. hinzu. Deutschland will hier mit „gutem“ Beispiel vorangehen und das 2%-Ausgabenziel bereits im kommenden Jahr erreichen: Hierfür soll der offizielle Verteidigungshaushalt 51,8 Mrd. Euro umfassen, dem Sondervermögen sollen 19,2 Mrd. Euro entnommen werden und weitere Ausgaben von 14,5 Mrd. Euro sollen nach NATO-Kriterien hinzukommen. Dazu zählen vor allem die Kosten für die Waffenlieferungen an die Ukraine, die aus dem Allgemeinen Haushalt stammen – zum Vergleich: 2014 summierten sich die deutschen Militärausgaben einschließlich NATO-Kriterien auf 34,7 Mrd. Euro, 2021 waren es schon 52,4 Mrd. Euro, was aber nichts gegenüber den Summen ist, die nun vor allem in den NATO-Militärapparat gesteckt werden sollen.
Anmerkungen
1 SWP-Aktuell 2022/A49, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2022A49/
2 Süddeutsche Zeitung, 12.7.2023
3 https://www.reservistenverband.de/magazin-loyal/neue-heeresstruktur/
4 https://esut.de/2023/03/allgemein/40532/umstrukturierung-des-heeres-begi...
5 https://www.hardthoehenkurier.de/hhkemags/hhkfreemags/2022-05/#page=15
6 https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/aktuelles/neue-kategorie-...
7 https://soldat-und-technik.de/2023/03/mobilitaet/34212/eigenbeweglichkei...
8 https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/aktuelles/neue-kategorie-...
9 https://www.nzz.ch/international/deutschland-will-panzer-vom-typ-boxer-i...
10 https://augengeradeaus.net/2023/03/mittlere-kraefte-fuer-den-einsatz-nic...
11 https://soldat-und-technik.de/2022/03/streitkraefte/30527/kaltstartfaehi...