Unsere Verantwortung in der Welt

von Thomas Müller

Anmerkungen zum Diskussiosenrnurf der CDU - Parteitagsvorlage.

(Der Entwurf enthält Ausführungen zu dem gesamten Fragenkomplex; ich beschränke mich auf Anmerkungen, die die Friedens - und Sicherheitspolitik im engeren Sinne betreffen.)

I. Weltpolitischer Rahmen
Es ist zu begrüßen, daß der Ost-West Konflikt ausdrücklich in einen größeren weltpolitischen Zusammenhang eingeordnet wird ( "der West - Ost - Konflikt verliert gegenüber diesen Entwicklungen seine alles beherrschende Bedeutung , bleibt aber für den europäischen Kontinent politisch bestimmend", (I, 1).
Zu begrüßen ist auch die realistische Feststellung, daß das überleben von Millionen von Menschen nicht ohne Opfer für uns gesichert werden kann. '' Wir müssen anders leben, damit andere überleben können." (1, 10)
Zum Teil begrüßenswerte Einzelausführungen (VI, 62 - 76) erwecken insgesamt jedoch den Eindruck, als ginge es letztlich ohne nennenswerte Einschnitte in unser eigenes Fleisch ab. Der oben zitierte Satz (1, 10) hat deshalb nur deklamatorischen Charakter.

 

II. Feindbild?
Polemische Formulierungen, die geeignet sind, Feindbilder zu stärken, fehlen fast völlig. Einige Formulierungen müssen jedoch noch überdacht werden:
"aggressive Elemente ihrer (der SU) Ideologie und Politik aufgeben" (V, 51)," Überlegenheitsstreben" (der SU), "expansionistische Auswirkung der sowjetischen Außenpolitik" (V, 51): Treffen die Begriffe noch die veränderte Wirklichkeit?
"Stellvertreterkriege in anderen Staaten der Dritten Welt?" (V, 51): Was ist damit konkret gemeint? Hier muß man vorsichtiger formulieren, weil sonst zu schnell derselbe Vorwurf gegen die Führungsmacht des westlichen Bündnisses laut wür4iidenn zu einem Krieg (auch wenn es sich um Stellvertreter handelt) gehören immmer zwei Seiten.
"Demokratie" - "Diktatur": Gibt es keine Begrifflichkeit, die den Unterschied zwar betont, aber nicht sofort Assoziationen zu Gewaltherrschaft und Stalinismus auslöst?

 

III. Gemeinsame Sicherheit/ Sicherheitspartnerschaft
·    Der Begriff Sicherheitspartnerschaft wird eindeutig für - das westliche Bündnis reklamiert, was ja nicht ohne Logik ist. Die Sache, die von anderer Seite mit Begriffen wie Gemeinsame Sicherheit oder Sicherheitspartnerschaft bezeichnet worden ist, ist erkannt und wird bedacht:
" Weder Ost noch West sind heute in der Lage, die Herausforderungen des Abbaus von Spannungen und der Kriegsverhinderung, aber auch zum Beispiel des Umweltschutzes allein zu bewältigen. Entweder die gegensätzlichen Gesellschaftssysteme finden Formen der Zusammenarbeit oder wichtige Fragen werden nicht gelöst." (1, 8) " ... nicht unsere Sicherheitspartner, sondern unsere Verhandlungspartner fü.r mehr gegenseitige Sicherheit." (1, 11) "Durch Fortschritte bei der Zusammenarbeit, der Vertrauensbildung ... " (I, 11)

 

IV. Militärisclie Friedenssicherung

a) das Konzept
Man geht von der Strategie der flexiblen Antwort aus. Geschlossenheit im Bündnis hat überragenden Stellenwert. Abrüstung muß Sicherheit stärken, Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit müssen stets im Blick sein. Abrüstung darf die Abschreckung nicht gefährden. Nuklearwaffen sind politische Waffen. Die Geschichte hat bewiesen, daß sie zuverlässig der Kriegsverhütung dienen. Ihre völlige Abschaffung ist mit der Sicherheit des freien Europa unvereinbar.

b) positive Ansätze
"Aber da die vor mehr als 20 Jahren im Harme! - Bericht geforderte Umgestaltung der europäischen Sicherheitslage begonnen hat, ist eine neue Bestandsaufnahme notwendig." (II, 13) Die Formulierung läßt einen Neuansatz zu, ohne allerdings zu sagen in welche Richtung. Die Strategie der flexiblen Antwort gilt, "solange es zu diesem Konzept keine wirksame Alternative gibt." (II, 16) Auch diese Formulierung läßt Weiterentwicklungen zu. Bedauerlich ist nur, daß die ausbleiben. ". Eine Einigung der Sowjetunion und der USA iiber Notwendigkeit und Umfang strategischer Defensivsysteme (zum Beispiel SDI) im Zusammenhang mit dem angestrebten Abbau von strategischen Offensivsystemen" (II, 17). Mir scheint das eher eine hinnehmende und abgeschwächte Formulierung; von Begeisterung oder massiver Unterstützung keine Spur, eher halbherzige Loyalität zum großen Bündnispartner. Vernünftige Vorschläge im konventionellen Bereich; Forderung nach deutlicher Reduzierung atomarer Kurzstreckensysteme; 50 - prozentiger .Abbau strategischer. Nuklearwaffen; weltweites V erbot chemischer Waffen; " ein auf Deutsch-land und Europa begrenzter Krieg darf nicht möglich sein . " "Aufnahme von Gesprächen über militarstrategien in Ost und: West." Die Forderung nach einer " Sicherheitsakademie " scheint mir interessant, wenn sie wirklich ein freies " Zentrum für Information, Diskussion und Forschung über sicherheitspolitische Fragen " wird.

c) Bedenken
Der Verteidigungscharakter der NATO und der Bundeswehr wird zwar immer wieder betont, aber es ist auch vom "Krisen - und Verteidigungs/all " die Rede (II, 12). Das Wort Krisenfall löst Assoziationen an eien Präventivschlag aus, um dem möglichen Angreifer zuvorzukommen, und die Fähigkeit dazu. Denkansätze in Richtung auf eine Struktur - und Ausrüstungsveränderung der eigenen Truppen in Richtung auf eine Optimierung der Verteidigungsfähigkeit oder sonstige Alternativkonzepte werden nicht einmal erwähnt. Zu Forderung nach einem sofortigen Atomteststop kann man sich nicht durchringen (II, 17); der Abschreckungsbegriff ist zu unscharf (Abschreckung = " wenn du angreifst, wirst du mit Mann und Maus völlig vernichtet werden durch Atomwaffen " und Abschreckung = "wenn du angreifst, werde ich mich so entschieden verteidigen, daß du trotz größter Opfer keine Chance hast, dein Ziel zu erreichen " werden nicht unter-schieden). Die Abschreckungswirkung der Stationierung amerikanischer Truppen in Europa wird eher verschämt am Rande als negative Abgrenzung gegenüber einer zu starken Betonung der europäischen Komponente bei den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen erwähnt (II, 18) Hier wäre eine stärkere Gewichtung wünschenswert Die Nuklearwaffen werden zwar als politische Waffen bezeichnet, auf die Tatsache, daß ein Großteil der z.Z. 'in Europa einsatzfähigen Nuklearwaffen nur als Kriegsführungswaffen brauchbar ist und daß sie in den Strategiediskussionen in der NATO als solche eingeplant sind ( " .integriertes Gefechtsfeld " ), wird nicht eingegangen. über Nuklearwaffen wird eher verharmlosend neutral gesprochen; auf ihre Gefährlichkeit und ihre grundsätzlich andere Dimension wird nicht eingegangen. Damit zeigen die Verfasser des Entwurf es, daß die gesamte friedenspolitische Diskussion - auch der Kirchen - an ihnen vorbeigegangen ist. Der gewichtigste Einwand: Die Notwendigkeit von Nuklearwaffen (auch kürzerer Reichweite) wird als völlig selbstverständlich vorausgesetzt. Eine Entwicklung, die Atomwaffen (auch nur in begrenzten Bereichen) verzichtbar oder ersetzbar werden lassen könnte, wird nicht einmal bedacht geschweige denn-politisch angezielt. Vertrauensbildende (auch ein-seitige) Vorleistungen werden nicht einmal erörtert.

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Thomas Müller, Leser des FriedensForum.