Rohstoff Uran

Uranabbau, Uranhandel und die Folgen

von Benjamin Paaßen

Wer Atomkraftwerke betreibt oder Atomwaffen baut, braucht Uran als Rohstoff. Dessen Abbau, Transport und Verarbeitung wird von Staatskonzernen und Privatunternehmen erledigt, die kaum öffentlich oder politisch kontrolliert werden – und das, obwohl Uran in allen Stufen der Verarbeitungskette hochgefährlich für Mensch und Umwelt ist.

Arlit ist eine Wüstenstadt mit fast 80.000 EinwohnerInnen im Norden des Niger, dem Land, das im Human Development Index der UNO den letzten Platz belegt. (1) Die Stadt liegt an einer wichtigen Handelsstraße durch die Sahara und im Stammesgebiet der Tuareg. Vor allem aber befinden sich bei Arlit zwei große Uranminen, die zusammen etwa 8% des Urans der Welt produzieren. (2) Abgebaut wird im offenen Tagebau: Das Uranerz wird aus dem Fels gesprengt, und das Uran muss dann aus dem Erz herausgelöst werden. Das Produkt dieses Prozesses ist „Yellow Cake“, ein feines Pulver verschiedener Uranverbindungen – aber auch eine große Menge giftigen und schwach radioaktiven Abfalls, sogenannte Tailings, die eigentlich geordnet entsorgt werden müssten. In Arlit werden diese Tailings jedoch einfach unter freiem Himmel gelagert. Über lange Zeit wurden die Menschen in Arlit, insbesondere die Minenarbeiter, ohne hinreichenden Schutz dem radioaktiven Staub des Bergbaus ausgesetzt. Und wenn sie erkranken? Arlit liegt abgelegen, 250 Kilometer entfernt von der Provinzhauptstadt Agadez. In Arlit selbst wird die Gesundheitsversorgung zu einem großen Teil vom Minenunternehmen selbst organisiert – mit Ärzten, die nach dem Gesetz des Niger nicht qualifiziert sind, berufsbedingte Erkrankungen festzustellen, so dass die offiziell berichteten Krebsraten in Arlit verdächtig niedrig blieben. Schließlich verschlingen die Uranminen Wasser – eine der wertvollsten Ressourcen in der Wüstengegend. In 40 Jahren Betrieb wurden etwa 270 Milliarden Liter Grundwasser  abgepumpt. Es wird Jahrmillionen brauchen, bis sich die Umwelt von diesem Eingriff erholt. All dies hat Greenpeace in einem Bericht 2010 zusammengefasst. (3)

Arlit ist wie ein Kristallisationspunkt der Probleme des Uranabbaus: Die Abbaugebiete liegen häufig in abgelegenen Gebieten, in denen die indigenen Völker – hier die Tuareg – verdrängt werden, um Platz für die Minen zu schaffen. Es entsteht eine neue, kleine Minenstadt, in der sich fast alles um den Uranbergbau dreht und die gesamte Bevölkerung vom Abbau abhängt. Eine kritische Betrachtung des Uranbergbaus und seiner Folgen ist so fast unmöglich. Die Regierung schaut angesichts der wirtschaftlichen Vorteile des Uranbergbaus nur allzu oft weg, wenn es um die Gesundheits- oder Umweltrisiken geht. Auch in Kanada und Australien, hochentwickelten Industrienationen, finden sich ähnliche Probleme. Die Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) haben eine aufschlussreiche Sammlung über verschiedene Minen weltweit zusammengestellt. (4)

Die Uranproduzenten
Welche Unternehmen führen diese Minen? Es handelt sich fast ausschließlich um Großkonzerne. Die zwei einflussreichsten Konzerne sind der französische Staatskonzern Areva und der russische Staatskonzern Rosatom. Diese zwei Unternehmen organisieren etwa ein Drittel des weltweiten Uranabbaus. (5) Zusätzlich kontrollieren sie aber auch die Weiterverarbeitung des Urans: Mehr als die Hälfte der weltweiten Urankonversion und fast zwei Drittel der Urananreicherung werden durch sie erledigt. (6)

Urankonversion bedeutet, dass der Yellow Cake in ein hochgiftiges Gas, Uranhexaflourid, umgewandelt wird. Dieses Gas wird in Tanks zum Teil über weite Strecken bis zu einer Urananreicherungsanlage transportiert. Dort wird das Gas angereichert und weiter transportiert bis zu einer Brennstabfabrik, wo es zurück in einen Feststoff umgewandelt und in Brennstäbe gefüllt wird, die schließlich in einem Atomkraftwerk landen.

All diese Schritte sind technisch aufwändig und lassen eine Menge Abfall zurück: Allein bei der Anreicherung landen etwa 80% des Uranhexaflourids im „Müll“. (7) Das betrifft auch Deutschland: Eine große Urananreicherungsanlage der Firma Urenco befindet sich in Gronau in Westfalen und wird auch im Rahmen des deutschen Atomausstiegs nicht geschlossen. Auch die Brennstabfabrik von Areva in Lingen in Niedersachsen  wird voraussichtlich weiter in Betrieb bleiben.

Verschlungene Pfade
Obwohl der weltweite Uranmarkt also nur von wenigen Konzernen kontrolliert wird, ist kaum öffentlich nachzuvollziehen, welche Pfade das Uran nimmt. In zahlreichen Anfragen im deutschen Bundestag haben die Fraktionen von Grünen, Linken und SPD über Jahrzehnte versucht, die Herkunft des Urans für deutsche Atomkraftwerke herauszuarbeiten, und wurden oft mit ausweichenden, ungenauen oder gar keiner Antwort abgespeist. Dabei unterliegt der Handel mit Uran offiziell einer strengen Kontrolle: Alle spaltbaren Stoffe in Europa gehören per Gesetz einer öffentlichen Institution, der EURATOM Supply Agency (ESA), die die Versorgung der europäischen Atomkraftwerke mit Uran sicherstellen soll. Die aber sieht sich wohl kaum als kritische Beobachterin der Atomindustrie, ist sie doch gegründet worden „in dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt“. (8)

Ein weiterer Staat sollte nicht unerwähnt bleiben: Seit einigen Jahren findet der meiste Uranabbau der Welt (fast 40% der Weltproduktion) in Kasachstan statt. Die hauptsächlich aktiven Konzerne sind Kazatomprom, ein kasachischer Staatskonzern, und Rosatom. Die dortigen Minen arbeiten mit dem „in-situ-leach“-Verfahren, bei dem Chemikalien in den Boden gepumpt werden, um so das Uran aus dem Gestein zu lösen. Über die Umweltschäden und Gesundheitsgefahren ist nichts bekannt – ein weiteres Beispiel für die Geheimniskrämerei in der Uranindustrie.

Nichts wissen, nichts hören, nichts sehen?
Und wenn man die Bundesregierung zum Thema hört, so bekommt man den Eindruck, dass sie es lieber auch gar nicht genauer wissen will:

„Rohstoffgewinnung ist immer mit Eingriffen in die Natur verbunden. Dies gilt auch für die Urangewinnung. Die Einhaltung von Umweltschutzaspekten beim Abbau von Uran ist Aufgabe der agierenden Unternehmen und der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden der betroffenen Länder im Rahmen der jeweils geltenden nationalen Vorschriften. In den Hauptlieferländern gelten mittlerweile strenge Umweltschutzvorschriften, die einen umweltverträglichen Bergbau mit möglichst geringfügigen Folgen gewährleisten. Der weltweite Uranabbau erfolgt weitgehend nach festgelegten Regeln der Internationalen Atomenergie-Organisation und international definierten Standards zur Minimierung der Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Die wirtschaftlichen Grundlagen werden durch Schaffung von diversifizierten Arbeitsplätzen und sozialen Einrichtungen (Schulen, Krankenhäuser) gestärkt. Dies liegt vorrangig in der Verantwortung der beteiligten Unternehmen und der betroffenen Länder.“ (9)

Die Bundesregierung und die Unternehmen selbst verstecken sich allzu gern hinter den Gesetzen, die ihre Arbeit (vermeintlich) regulieren und äußern sich lieber nicht zu den vielen Fällen, in denen Regeln gebrochen oder – noch häufiger – umgangen werden. Wie sonst sollte man es etwa bezeichnen, wenn die Firma Urenco über Jahre hinweg mit Wissen der Bundesregierung Abfall aus der Urananreicherung in Gronau nach Russland exportierte? Die Entsorgungsvorschriften für Atommüll umging sie kurzerhand mit dem Kommentar, der Abfall sei ja im eigentlichen Sinne gar kein Abfall, sondern ein Wertstoff, der sich noch weiter verarbeiten lasse. (10)

Diese Geheimniskrämerei und Trickserei geht auf Kosten der ArbeiterInnen in der Uranindustrie, auf Kosten der Menschen, die um die Betriebe oder an den Transportrouten des Uranhexaflourids leben, auf Kosten der indigenen Völker in den Abbauländern und auf Kosten der Umwelt. Mit den gigantischen Mengen an Müll aus der Uranproduktion wird noch immer viel zu leichtfertig umgegangen.

Das alles wird allzu oft ignoriert, wenn etwa von vermeintlichen nuklearen Wertstoffkreisläufen oder der Energieeffizienz der Atomkraft die Rede ist. Uran ist ein gefährlicher Stoff, den wir noch immer nicht beherrschen – und den man schon gar nicht einer zwielichtigen Uranindustrie überlassen sollte. Das Uran sollte in der Erde bleiben.

 

Anmerkungen
1 http://hdr.undp.org/en/data (englisch)

2 http://www.world-nuclear.org/info/country-profiles/countries-g-n/niger/ (englisch)

3 http://www.greenpeace.org/international/en/publications/reports/Left-in-... (englisch)

4 http://www.nuclear-risks.org/de/uranabbau.html

5 http://www.world-nuclear.org/info/Nuclear-Fuel-Cycle/Mining-of-Uranium/W... (englisch; Uranium One ist eine hundertprozentige Tochter von Rosatom)

6 http://ec.europa.eu/euratom/ar/ar2013.pdf (englisch)

7 Bundestagsdrucksache 16/5381 (Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“: Transporte und Lagerung von Uranhexafluorid)

8 Zitat aus dem Gründungsvertrag der EURATOM Supply Agency

9 Bundestagsdrucksache 17/6037(Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Grünen: Herkunft des Urans in deutschen Atomkraftwerken)

10 Bundestagsdrucksache 16/5381 (Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“: Transporte und Lagerung von Uranhexafluorid)

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