Friedensverträge vorbereiten

Verhandeln mit Kämpfern in Nordirland

von Prof. Dr. Angela Mickley
Schwerpunkt
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In dem folgenden Beitrag geht es um einen sog. problemlösenden Workshop. Diese Methode wird öfters in langanhaltenden Konflikten angewandt, um Konfliktparteien und weitere Akteur*innen in einem Konflikt informell zu Gesprächen zusammen zu bringen und Perspektiven für mögliche Lösungen zu erarbeiten.

Politische Verhandlungen und Waffenstillstandsgespräche sollen Defizite und Gewalt beenden, die Schlüsselakteure zu koordiniertem Handeln bringen und tragfähige Entscheidungen für die zukünftige Gestaltung der betroffenen Region initiieren. Oft wird während andauernder Gewalttaten verhandelt und damit der Eindruck asymmetrischer (Deeskalation und) Eskalation im Konfliktgeschehen geschaffen.

Auch in Nordirland (NI) wurde in den „Unruhen“ zwischen 1968 und 1998 umfangreich Gewalt ausgeübt und parallel dazu verhandelt: offen, geheim, hochrangig, mit Vertreter*innen der beteiligten Seiten, mit Vertreter*innen der (il-)legalen Gruppen und politischen Institutionen. Nicht alles wurde öffentlich, oft gelangten einzelne Absprachen an die Presse, Verhandlungsführer wurden von eigenen oder feindlichen Gruppen bedroht. Und sie wurden jeweils nur von einem Teil der Bevölkerung als legitime Vertreter angesehen. Noch 2000, zwei Jahre nach dem Karfreitagsabkommen, wurden zwei Mitglieder gegnerischer paramilitärischer Gruppen in ihrem Auto erschossen.

Hier wird eine Klausur Ende der 1970er Jahre geschildert, die aus den üblichen Formaten heraussticht. Sie beinhaltete Elemente von Beteiligung und Inklusivität sowie einen breiteren Konsens in den Ergebnissen.  
Wie kam das zustande?

Norwegen unterstützte vom Beginn der Friedensbewegung im Sommer 1976 (mit den späteren Nobelpreisträgerinnen Mairead Corrigan und Betty Williams) den von tausenden Frauen getragenen Einsatz für ein Ende der Gewalt. Neben Friedensworkshops für Jugendliche beider Seiten im sicheren Ausland finanzierten Bürgerschaft und der Staat Norwegen Begegnungen der Schlüsselakteur*innen mit Friedensaktiven.

In der dreiwöchigen Klausur sollten die Teilnehmer*innen auf einer Insel vor der Küste ungestörten Austausch und Verständigung haben, um neben konkreten Maßnahmen auch langfristige Veränderungen zu skizzieren. Vorrangig ging es um die Klärung kontroverser Interessenlagen, erste Annäherung verfeindeter Seiten und Vernetzung verlässlicher Personen für weitere Gespräche. Und die alles überragende Frage: Welche Entwicklung würde die Paramilitärs zum Beenden ihrer Gewaltkampagnen bewegen?

In NI spielten in der Konfliktaustragung einige paramilitärische Organisationen relevante Rollen. Ulster Defence Association (war bis zur Entdeckung umfangreicher Waffenlager 1981 legal) und Ulster Volunteer Force auf der unionistisch-protestantischen, Irish Republican Army, Provisional IRA und IR Socialist Party (alle illegal) auf der republikanisch-katholischen Seite.

Die Sinn Fein Partei wurde als politischer Arm der IRA gesehen, sie war Ende der 1970er Jahre in NI wegen Hochverrats angeklagt, da sie u.a. in den von ihr kontrollierten Bezirken Rechtsprache ausübte. Die Democratic Unionist Party ist im Parlament des Vereinigten Königreiches in Westminster vertreten.

An der Klausur nahmen um einen Kern von 10 insgesamt über 20 Personen teil: Initiator*innen der Friedensbewegung, Politikerinnen, paramilitärische Führer, Community Worker, Journalistinnen, Expertinnen aus Politik, Geschichte, Wirtschaft.

Das Format einer solchen Dauerkonferenz erfordert neben Abgeschlossenheit vor allem Sicherheit der Teilnehmenden und genügend Raum für unterschiedliche Gesprächsformen und Themen. Die Friedensbewegung hatte schon konfessionsübergreifende Diskurse zur Konfliktsituation und Neugestaltung der Provinz NI initiiert, jedoch ohne die relevanten Organisationen und mit zu viel Öffentlichkeit für offenen Austausch.

Die paramilitärischen Führer stellten je eine eigene Aktion vor, skizzierten Strategie, Ziele und Handlungsrahmen und beantworteten Fragen. Ein Beispiel war ein Generalstreik mit gezielten Morden an Streikbrecher*innen, der wochenlang die gesamte Provinz lahmgelegt hatte, ein weiteres eine Bombenkampagne.

Wer sollte wie von der Aktion profitieren oder geschädigt werden? Welche öffentliche Wirkung wurde erwartet? Wie gut kontrollierten sie interne Disziplin und eigene gewaltbereite Mitglieder? Wie gingen sie mit streikbedingten Notlagen in ihren Gemeinden um? Wie passt gezielte Zerstörung zu ihren politischen Zielen? Welche Vorbilder und Perspektiven möchten sie für ihre Kinder und Jugendlichen? Auf engagierte Debatten während der Sitzung folgten neue Aspekte, Überlegungen und Nachfragen bis in den Abend.

Die anwesenden Politiker*innen schilderten ihre Bemühungen um friedliche Entwicklung, Widerstände in Partei und Gemeinde und seltene Kooperation mit der Gegenseite. Die Journalist*innen gaben Einblicke in redaktionelle Vorgaben für die konfliktbezogene Berichterstattung. Von der Wirtschaftsseite kamen Hinweise zur Förderung regionaler Kleinbetriebe angesichts hoher Arbeitslosigkeit und konfessioneller Zergliederung der Provinz.

Aus meiner Forschung konnte ich erfolgreiche konstitutionelle Massenkampagnen für katholische Gleichberechtigung im 19. Jh. vorstellen und erweiterte damit den Blick auf gewaltfreie Praxis im eigenen Land, 100 Jahre vor Gandhis Aushebeln des britischen Reiches. 

Die (erst 1981) im Harvard Modell benannten Verhandlungshaltungen waren hier hilfreich: Wenn nach fruchtlosen Debatten über kontroverse Positionen der Fokus auf die Interessen gerichtet wurde, brachte dies mehr Details, Einsichten und Verständnis,
Das „Problem angehen, nicht den Menschen“ erweiterte den Rahmen hin zu den Gewalterfahrungen beider Seiten, dem politisch kontroversen Status Nord-Irlands und der allseitigen Sorge um Sicherheit, und eröffnete neue Zukunftsräume.

Welche „objektiven Kriterien“ zeigen sich in Werten und Handeln? Identität, Sprache, Konfession wurden eher als kulturelle und politische, weniger religiöse Werte genannt. Bildung, Arbeit/Wirtschaft, Demokratie waren gemeinsame Werte bzw. Ziele mit unterschiedlicher Färbung.
In der Entwicklung von Optionen standen Kategorien wie Sicherheit/Verhindern von Emigration, Kultur- und Konfessionsautonomie für Alle an erster Stelle, die Umsetzung wurde unterschiedlich präzisiert.
Wie trug nun das Format zum Erfolg bei?

Vormittags standen Inhalte und Debatten im Mittelpunkt und deren Relevanz für die soziale Neugestaltung, mittags oft gemeinsames Essen und nachmittags war Zeit für Strand, Wanderungen, Gespräche. Abends bot der offene Kamin Raum, hier nutzten wir die „ernsthaften Spiele“ „Community“ und „Our Town“, kanadische Neuentwicklungen für friedliche Kooperation, in denen alle ausschließlich mit anderen zusammen gewinnen können. Hier wurden Debatten heftiger, emotionaler und offener ausgetragen, Zurückhaltung verschwand, wenn es im Spiel um Grundsätzliches wie Haltung, Werte oder politische Transformation ging. Gleichzeitig wuchs gegenseitiges Vertrauen und die Themen des Morgens wurden mit denselben Kontrahent*innen in spielerischer Atmosphäre anders beleuchtet. 

Sichtbare Fortschritte zeigten sich in gegenseitiger Akzeptanz, der Bereitschaft, Perspektiven zu entwickeln und dem Hinterfragen kontroverser Standpunkte. Berührende Momente entstanden beim Austausch über ähnliche Erfahrungen in den bereits 10 Jahre dauernden Kämpfen.

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Prof. Dr. Angela Mickley beschäftigt sich mit folgenden Themen: Friedenserziehung, Ökologie, Konfliktlösung, Mediationsausbildung und -praxis, Konflikttransformation in Bildung, Politik und Sicherheit, Friedensarbeit, Versöhnungsinitiativen und Kompetenzaufbau in Nord-Irland, Namibia, Kaukasus.