Buchbesprechung Ullrich Hahn

Vom Lassen der Gewalt

von Renate Wanie
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Gewaltfreies Leben und gewaltfreies Handeln bestehe vorrangig in der Kunst des Lassens von Gewalt, so der in der Friedensbewegung seit Jahrzehnten aktive und geschätzte Autor und Rechtsanwalt Ullrich Hahn in seinem Buch „Vom Lassen der Gewalt“. Den Herausgeber*innen Annette Nauerth und Thomas Nauerth zufolge könne auch akademisch von „Konturen einer Ethik des Gewaltverzichts, politisch, theologisch und juristisch akzentuiert“ gesprochen werden. Die gesammelten Texte sind als Vorträge oder Gesprächsbeiträge entstanden. Ein beeindruckendes Buch, in dem Ullrich Hahn seine Grundhaltung zur Gewaltfreiheit auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene argumentativ und mit vielen Beispielen darlegt.

Seine Texte sind überzeugend und verständlich geschrieben, sie spiegeln nicht nur Ullrich Hahns radikale und konsequente Lebenspraxis wider, sie belegen auch, wie eine grundsätzliche Abkehr von dem herrschenden, auf Gewalt basierten Politikverständnis aussehen kann. Das Buch ist übersichtlich in sieben Themenfelder gegliedert: zu Vorbildern, zur Gewaltfreiheit, Theologie, Ethik, aber auch zum Recht, zur Politik sowie zu Ullrich Hahns beruflichem und politischem Arbeitsfeld Flucht und Asyl. Das achte Kapitel ist den Aufgaben und dem Profil des Internationalen Versöhnungsbundes gewidmet. Im Deutschen Zweig war Ullrich Hahn über 14 Jahre dessen Vorsitzender und ist seither dessen Präsident. Klar und verständlich, mit Argumenten und Beispielen vermittelt er seine christlich und anarchistisch geprägte Haltung zum grundsätzlichen Verzicht auf Gewalt und setzt sich dabei auch mit Fragen und möglichen Konsequenzen des Gewaltverzichts auseinander. Es ist kein moralisierendes oder ideologisch ausgerichtetes Buch. Hahn las früh neben Brecht und Böll auch das „Neue Testament“, das er „ohne Glaubenserlebnis (…) als zutiefst vernünftig und nachvollziehbar“ empfand und eine „Richtschnur für viele spätere Entscheidungen“ war. (S. 14) Geprägt haben Hahn „neben der Person Jesu“ u.a. Gandhi, Tolstoi, Hannah Arendt und Immanuel Kant.

Gewaltverzicht und Gewaltfreiheit
Für Ullrich Hahns Verständnis vom Gewaltverzicht war und ist die Kriegsdienstverweigerung eine Lebensentscheidung. Schon damals ging es ihm „schlicht darum, die Beteiligung an Unrecht zu unterlassen“. Das betrifft auch, dass er zunächst erkannte, selbst zur Gewalt fähig zu sein. Doch er verzichtet bewusst auf alle gewaltförmigen Mittel. Dazu zählt auch sein Bestreben, sich nicht an den vielfältigen Formen struktureller Gewalt zu beteiligen, wozu die ausdrücklich so genannte „Staatsgewalt“ gehöre – mit Bezug auf Max Webers Monopol physischer Gewalt in Gestalt von Militär und Polizei. Exemplarisch führt er die bestehende Wirtschaftsordnung an und bezieht sich dabei auf Rousseau, wonach jedes nicht selbst genutzte Eigentum die Grundlage der Fremdherrschaft über andere Menschen sei. Eine Konsequenz dieser Erkenntnis ist die zinslose Anlage seiner Geldrücklagen seit seinem Studium. Gesellschaftlich führe dieser Gewaltverzicht zu der Idee einer gewaltfreien Rechtsordnung, um die sich religiöse Anarchist*innen (z.B. Tolstoi, Gustav Landauer) bemüht haben. (S. 18) Konsequent verweigerte Hahn auch bei seiner Zulassung als Rechtsanwalt den hierfür vorgeschriebenen Eid auf die Verfassung, erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes konnte er seinen Beruf aufnehmen.

Recht als Beruf
„In meinem Beruf erlebe ich täglich den Unterschied zwischen ‚Recht haben‘ und ‚gerecht sein‘“. (S. 19) Im Kapitel „Die Stärke gewalt- und machtlosen Rechts“ (S. 189), in dem er sich u.a. mit den Menschenrechten, dem Widerstandsrecht und Völkerrecht auseinandersetzt, vertritt er die These, dass „der Verzicht auf tötende verletzende und zwingende Gewalt (…) nicht zur Aufhebung des Rechts, sondern zu einem besseren Verständnis dessen, was Recht ursprünglich meint“, führe. „Das Recht ist nicht deckungsgleich mit den bestehenden staatlichen Gesetzen, im internationalen Bereich auch nicht deckungsgleich mit der UN-Charta oder völkerrechtlichen Verträgen. (…) Die Erfahrungen mit dem UN-Sicherheitsrat zeigen auch, dass die Beschlussfassung weniger von Überlegungen des Rechts als von denen der Macht geprägt sind [sic].“ (S. 191)

Recht und Rechtserkenntnis seien allen vernunftbegabten Menschen innewohnend und nicht nur Gerichten, die an staatliche Gesetze oder internationale Verträge gebunden seien. (S. 191) „Stark ist das Recht nicht durch Gewalt, sondern durch die gemeinsame Überzeugung von dem, was Recht ist.“ Beim Nachdenken darüber, wie das Recht zu fördern sei, gehe es nicht um die Durchsetzung eines blutleeren Prinzips. „Das Ziel des Rechts ist vielmehr Gerechtigkeit“, nach Hahn ein Zustand, in dem das Recht ohne persönliche, direkte Gewalt zur Geltung komme und zum anderen durch eine Überwindung der strukturellen Gewalt. Wobei direkte und strukturelle Gewalt in einer Wechselbeziehung stehen. Als Beispiel nennt er die direkte Gewalt des Militärs, die zur Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse diene, wie z.B. um die vorhandenen Bodenschätze nicht zum Zweck der gerechten Verteilung unter allen Menschen zu sichern.

Hier kann leider nur auf wenige Themen des Buches eingegangen werden. Empfehlen möchte ich insbesondere Ullrich Hahns Nachdenken über „Strafe als Übel“ (S. 230), zum Widerstand im Rechtsstaat (S. 205) oder auch seine profunden Gedanken über „Das Gegenteil von Gewalt ist Gerechtigkeit“ (S. 148 ff). Hervorheben möchte ich, dass Ullrich Hahns Veröffentlichung „Vom Lassen der Gewalt“ ein bemerkenswertes Buch ist, das alle Friedensbewegte unbedingt lesen sollten, denen vernünftiges Denken und gewaltfreies Handeln eine Richtschnur sind.

Hahn, Ullrich (2020): Vom Lassen der Gewalt. Thesen, Texte, Theorien zu gewaltfreiem Handeln heute. Hrsg. Annette Nauerth und Thomas Nauerth, Thomas Edition Pace 10, Books on Demand, ISBN 10 3751944427, 344 S., 14,80 Euro

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