Militarisierung der Flüchtlingsabwehr an den Grenzen wird effektiviert

Vom Stahl- über den Blau- zum Grünhelm

von Katina Schubert

Mobile Wärmebildgeräte, BGS-HilfspolizistInnen und Bundeswehrsoldaten sollen neben dem zuständigen Bundesgrenzschutz die Ostgrenzen von BRD und EU gegen MigrantInnen sichern. Die Mauer hat sich nach Polen und die Tschechische Republik verschoben und wird von den östlichen Nachbarn weiter gerückt.

Der Besuch im Abschiebeknast Kruppstraße bildet den Auftakt einer von der Grünen Europa-Abgeordneten Claudia Roth und ihren MitarbeiterInnen organisierten "Grenztour zu den neuen Mauern in Europa".

Vom 29. Oktober bis zum 3. November 93 reiste eine über 50-köpfige Delegation mit VertreterInnen von Flüchtlings und Asylgruppen, BürgerInnen- und Menschenrechtsorganisationen von Berlin aus über Rostock, Greifswald, Frankfurt/Oder, Slubice (Polen), Görlitz, Seifhennersdorf, Zittau, Usti Nad Labem (Tschechische Republik - CR) und Prag bis ins oberpfälzische Schwandorf, um die Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingsabwehrpolitik an den Grenzen zu den östlichen Nachbarn zu untersuchen, den Fragen nachzugehen, ob die Grenzsicherung militarisiert wird, neue Mauern in Europa hochgezogen werden und die Auswirkungen von Asylpolitik und zunehmenden Rassismus in staatlicher Politik wie in der Bevölkerung zu erfassen.

Abschottung

"Seit bekannt ist, daß es in Deutschland kein Asyl und keine Sozialhilfe mehr gibt, ist die Zahl der hier illegal über die Grenze kommenden Menschen gesunken", verkündet sichtlich zufrieden ein Beamter des Bundesgrenzschutzes am Grenzübergang vom brandenburgischen Schwedt nach Polen. Und die; welche die Grenze passieren, bleiben meist nicht lange auf deutschem Territorium. Aufgegriffen vom Bundesgrenzschutz (BGS) werden sie unmittelbar verhaftet, einer vollständigen Leibesvisitation unterzogen, erkennungsdienstlich behandelt und bis zu ihrer Abschiebung in BGS-Gewahrsam genommen. Ein Asylantrag nützt nach dem neuen deutschen Asylrecht wenig, da Polen als sicheres Drittland eingestuft ist - dorthin wird zurückgeschoben.

"Illegale Einwanderung" ist in der Inneren Sicherheits-Philosophie der Bundesregierung in Übereinstimmung mit den anderen Staaten des Schengener Abkommens (Frankreich, Belgien;. Niederlande, Luxemburg, Spanien, Portugal, Italien und Griechenland) sowie der EU neben der sogenannten Organisierten Kriminalität und dem "Terrorismus" zur Hauptbedrohung für die "Innere Sicherheit" avanciert. Ein effektiver Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union und ihres Binnenmarkts ist demnach vordringliches Ziel der Schengen-Staaten. Nach Ost-Europa hin ist dies die Aufgabe der BRD, und sie erfüllt ihre Aufgabe mit deutscher Gründlichkeit.

25 Grenzübergänge ermöglichen die legale Einreise von Polen in die BRD, 14 Grenzschutzstellen "Grüne Grenze" dienen dem Bundesgrenzschutz als Basen zur Überwachung des Grenzverlaufs in enger Kooperation mit dem deutschen Zoll und dem polnischen Grenzschutz. Unterstützt werden die Grenzschützer hier wie auch an der tschechischen Grenze von technischen Einrichtungen der Bundeswehr, Nachtsichtbrillen und Wärmebildgeräte sollen Flüchtlinge auch zu Nacht- und Nebelzeiten beim Grenzübergang sichtbar machen. Über 1600 "Illegale" hat der BGS zwischen Februar und Juni 93 mittels der Wärmebildgeräte gefaßt.

Soldaten auf Leihbasis

Und künftig werden 465 Bundeswehrsoldaten ihren "Urlaub" an der deutschen Ost-Grenze verbringen und verkleidet mit BGS-Uniformen dort die von der Bundeswehr ausgeliehenen rund 60 Wärmebildgeräte bedienen, bis der BGS 105 neue, effizientere und ergonomischere Geräte angeschafft hat. Der für die Grenzsicherung im Bundesinnenministerium zuständige Abteilungsleiter Horst Eisel versicherte der Delegation während eines Gesprächs in Frankfurt/Oder, verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Einsatz der Bundeswehr an den Grenzen bestünden nicht, die Soldaten verrichteten diesen Dienst als "Privatpersonen im Wege der Beurlaubung oder Abkommandierung".

Diese Aufweichung der verfassungsmäßig gebotenen Trennung von Militär und Polizeiaufgaben stößt nicht nur bei den Delegationsmitgliedern auf Protest. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wendet sich während der Frankfurter Veranstaltung entschieden gegen den Einsatz von Soldaten: "Wer plant, über den Einsatz von Bundeswehrangehörigen schrittweise eine Militarisierung vorzunehmen, schadet dem Ansehen der·deutschen Polizeibeamten und dem der Bundesrepublik bei unseren polnischen und tschechischen Nachbarn. An der strikten Trennung zwischen Polizei und Bundeswehr darf kein Zweifel aufkommen", heißt es in einer Erklärung des GdP-Bundesvorstandes. Und der bei der GdP für den Bezirk BGS-Präsidium Ost zuständige Sven Hüber verortet auch sogleich Selbstverständnisprobleme bei der Bundeswehr: "Vom Stahlhelm über den Blauhelm zum Grünhelm?"

Seit der HighTech-Überwachung der deutschen Ostgrenzen ist es nach Beobachtungen von BGS und BMI zu einer Verlagerung der Migrationsströme vom Osten sowohl in den Norden, aber auch an die deutsch-österreichisch und die deutsch-schweizerische Grenze gekommen, sodaß die Grenzschutzeinheiten zumindest an der dänischen Grenze auch durch Ost-BGSler bereits verstärkt wurden.

Fluchthilfe

Diese Verschiebung der Migration ist nach Ansicht der BGS-Beamten in erster Linie auf die Aktivitäten von Schleusern (zu DDR-Zeiten: Fluchthelfer) zurückzuführen. "Schleuseraktivitäten bewegen sich wie das Wasser, sie suchen sich ihren Weg", erläutert GdP-Funktionär Hüber. Und so wohl Politik wie BGS stehen dem recht ratlos gegenüber. ''Wir kriegen nur die kleinen, die die Drecksarbeit leisten, die Leute über die Grenze schaffen und dort dem BGS in die Arme laufen" gibt BMI-Abteilungsleiter Eisel zu und deutet damit die Existenz mächtiger Schleuserkartelle im Hintergrund an. Dem will Eisel (BMI) mit einem europäischen Abkommen entgegentreten, welches die Verfolgung von Schleppern nicht nur in dem Land; in das sie schleusen, sondern auch in dem Land, von dem aus sie schleusen, zuläßt.

Armutsgrenze

Seit 1945 war die Grenze zwischen der CSSR, jetzt Tschechischen Republik und der DDR, jetzt BRD-Land Sachsen bis auf eine kurze Phase 1968 infolge des Prager Frühlings offen, der Zaun war abgerissen, Bäume und Gestrüpp wuchsen beiderseits der Grenzen, Häuser und ganze Dörfer siedelten unmittelbar am Grenzrand.

Seit Anfang November haben ABM Kräfte in Seifhennersdorf viel zu tun.

Sie heben einen Graben zwischen der BRD und der CR aus, Bäume und Gestrüpp werden gerodet, um dem BGS ein freies Sichtfeld bis weit in die CR zu gewähren. Eine Vielzahl von Einbrüchen, Fahrrad- und KFZ-Diebstähle; auch körperliche Angriffe haben die Bevölkerung Seifhennersdorfs, wie auch anderer unmittelbarer Grenzdörfer, wütend werden lassen. Deutsche wie tschechische Kleinkriminelle kommen weitgehend ungesehen über die Grenze und verschwinden ebenso schnell wieder mit ein bißchen Diebesgut, ohne daß die Polizei eingreifen kann. Selbstorganisierte Streifen mit bissigen Hunden sollten Polizei und BGS deshalb auf Trab bringen. Ein unauffälliges orangefarbenes Schild mit einem gesprengten, Stein an einem Baum direkt an der Grenze deutet jedoch auf mehr BürgerInnen haben selbst Schwarzpulver Sprengkörper entlang ihrer Grundstücke verlegt.

Im Dominoverfahren nach Osten
Heute ist diese Grenze EU-Außengrenze und damit auch Armutsgrenze. Täglich versuchen Menschen insbesondere aus Bulgarien, Rumänien, aus den GUS- Staaten, aber auch aus Asien, vornehmlich den Philippinen und Sri Lanka über die CR in die BRD zu gelangen. Und täglich werden rund 70 Menschen zurück in die CR geschickt, erklärt im Haus der Kulturen in Prag Marian Zajicek, Vertreter des tschechischen Innenministeriums. Derzeit vollziehen sich die Rückschiebungen von der BRD in die CR noch auf Grundlage des "Passauer Protokolls", einer Vereinbarung zwischen Bayern und der CSFR. Ein Rückübernahmeabkommen mit der BRD analog zum deutsch-polnischen Abkommen wird jedoch gegenwärtig verhandelt. Dabei wird die CR finanzielle Zuwendungen bekommen, um ihre Ostgrenze (zur Slowakei) zu befestigen und zu überwachen. "Noch ist die tschechisch-slowakische Grenze sehr offen, aber es wird eine klassische Grenze werden. Denn in Zukunft müssen alle Grenzen wie die deutsch-tschechische Grenze befestigt werden, da der Flüchtlingsstrom aus dem Osten und vom Balkan her am stärksten ist", erläutert Zajicek die tschechische Grenzpolitik. Mit einer Reihe von bilateralen Abkommen schafft die CR überdies die rechtlichen Voraussetzungen, um ihrerseits Flüchtlinge zurückschieben zu können. Bislang hat sie Rückübernahmeabkommen mit ihren Nachbarstaaten Österreich, Polen und der ehemaligen Föderationspartnerin Slowakei abgeschlossen.

Neue Mauern im Osten - es gibt sie! Es werden High Tech-Mauern an den deutschen Ostgrenzen hochgezogen gegen MigrantInnen. Die Nachbarländer Polen und Tschechische Republik übernehmen weitgehend das deutsche Asylrecht und deutsche Grenzsicherungsregimes. Doch geschieht dies nicht gegen ihren Willen oder ihre Absicht. Sie ziehen ihrerseits weitere Mauern weiter östlich hoch, um sich und dem reichen Westeuropa MigrantInnen fernzuhalten und hoffen da durch, in die Familie der westeuropäischen Staaten aufgenommen zu werden, sich gemeinsam gegen Armut und Flucht abschotten zu dürfen.

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Katina Schubert ist Bonner Korrespon­dentin der Tageszeitung "Junge Welt"