Geschichte der Bewegung gegen die Atomwaffen

Von „Kampf dem Atomtod“ bis „büchel 65“

von Christine Schweitzer

Der Protest und Widerstand gegen Atomwaffen hat die Friedensbewegung in den vergangenen 70 Jahren beinahe durchgängig begleitet, wobei es mehrere Hochphasen gab, die teilweise international identisch, teilweise national unterschiedlich verliefen.

In den ersten Nachkriegsjahren kamen in Europa und den USA viele PazifistInnen, die den Krieg überlebt hatten, erneut zusammen, doch anders als nach dem ersten Weltkrieg gab es in den alliierten Ländern keine große Bewegung des „Nie wieder“ - zu groß war das Entsetzen über die Verbrechen Deutschlands und zu alternativlos schien auch vielen PazifistInnen der vergangene Krieg gegen Deutschland. In Deutschland entstand eine erste Friedensbewegung, als Konrad Adenauer die Wiederbewaffnung vorantrieb. Sie endete, als Deutschland 1955 der NATO beitrat und die Bundeswehr geschaffen wurde.

Die erste Anti-Atomwaffen-Bewegung: 1957-1964
Die erste große Welle des Widerstandes gegen Atomwaffen entwickelte sich als transnationale Bewegung vorrangig gegen die oberirdischen Atomwaffentests, die seit Anfang der 1950er Jahre von den USA vor allem im Pazifik durchgeführt wurden. In den USA wurde die Organisation „Committee für a SANE Nuclear Policy“ (‚sane‘ bedeutet auf Englisch ‚gesund‘ auch im Sinne von ‚vernünftig‘), in Großbritannien der CND gegründet, und die Tradition der Ostermärsche begründet. Die Bewegung gegen Atomwaffentests war erfolgreich: 1963 einigten sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien auf einen „Partial Test Ban Treaty“, der oberirdische Versuche mit ihrer Strahlenbelastung untersagte.

In Deutschland nannte sich die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ und lag zeitlich etwas vor der Bewegung in England und den USA. Sie entwickelte sich aus der Bewegung gegen die Remilitarisierung, als ab ca. 1955 in Europa Atombomben als „taktische“ Waffen stationiert werden sollten, um die militärische konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts auszugleichen. Als 1958 der Bundestag der Stationierung von Atomwaffen in Deutschland zustimmte, war die Antwort Proteste und Demonstrationen in vielen Städten Deutschlands, mit einer GesamtteilnehmerInnenzahl von 1,5 Millionen. In Bremerhaven und in Kassel traten ArbeiterInnen (gegen den Willen des DGB und der SPD) in Streik. Ende 1958 entschied die NATO, dass die Atomwaffen in Europa unter Oberbefehl der USA bleiben sollten. Die Bewegung gegen den Atomtod hatte ihren Höhepunkt überschritten. Einige PazifistInnen riefen aber 1960, dem britischen Vorbild folgend, Ostermärsche ins Leben.

Die Friedensbewegung der 1980er Jahre: 1979-1987
Einen neuen Aufschwung erfuhr die Friedensbewegung gegen die Atomwaffen, als die USA Mitte der 1970er die Entwicklung einer Neutronenbombe bekanntgaben. Sie sollte, so wurde sie in der Presse dargestellt, Menschen töten, aber dabei  unbelebte Materie bewahren. Die Empörung dagegen war so groß, dass ihre Aufstellung in Europa gestoppt wurde. Doch quasi zeitgleich führte 1979 die Stationierung von Raketen mittlerer Reichweite durch die Sowjetunion in Osteuropa f zum sog. “NATO-Doppelbeschluss“, bei dem die eigene „Nachrüstung“ mit Mittelstreckenraketen (Pershing II und Cruise Missiles) angekündigt wurde, sofern die Sowjetunion einer Abrüstung ihrer Raketen, der SS 20, nicht zustimme. Tatsächlich ging es, so vermuteten viele Menschen, aber darum, einen Krieg in Europa führbar und gewinnbar zu machen.

Die Friedensbewegung der 1980er Jahre gegen die Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen war eine transnationale Bewegung mit Protesten in ganz Westeuropa (Italien, Benelux, Großbritannien, den skandinavischen Ländern und der BRD). In den USA entstand die „Freeze“-Bewegung, die das Einfrieren der Atomwaffenbestände forderte.

Die Massendemonstrationen zwischen 1981 und 1983, an denen in der BRD bis zu einer Million Menschen teilnahem, konnte aber eine Stationierung ab 1983 zunächst nicht verhindern. Danach gingen die Proteste zahlenmäßig zurück. Es waren aber bis 1987 immer noch viele Zehntausende, die sich weiter gegen die Atomraketen engagierten, wobei in Deutschland auch Aktionen Zivilen Ungehorsams, insbesondere Blockaden der Atomwaffenstützpunkte, eine wichtige Rolle spielten.

1985 kam in der Sowjetunion Michail Gorbatschow an die Macht, der 1986 Verhandlungen mit der NATO über die Abrüstung der atomaren Mittelstreckenraketen aufnahm. Sie führten 1987 zum INF-Vertrag, der eine Vereinbarung über den Rückzug und die Verschrottung von SS 20, Pershing II und Cruise Missiles beinhaltete.

Nach der „Wende“
Nach 1989 schien vielen Friedensbewegten die Gefahr eines Atomkrieges so gut wie gebannt; Aktivitäten verlagerten sich schwerpunktmäßig auf andere Themen, vor allem die Abwehr der vielen neuen Kriege, die die NATO oder Koalitionen der Willigen in aller Welt führten. Es waren vor allem die etablierten Organisationen und einzelne Basisgruppen, die das Thema der Nuklearrüstung weiter im Fokus ihrer Aktivitäten hatten. In den USA schlossen sich SANE und Freeze 1987 zu einer neuen Organisation zusammen, die heute den Namen „Peace Action“ trägt, zusammen. In Deutschland entstand 1988 die Atomteststopp-Kampagne und 1994 der „Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen“ (heute: atomwaffenfrei.jetzt). Nach dem Abzug der Mittelstreckenraketen wurde in den letzten fünfzehn Jahren vor allem Büchel Konzentrationsort für Proteste mit der Forderung nach dem Abzug der letzten Atomwaffen, die die USA auf deutschem Boden stationiert haben.

Momentan ist ein Generationswechsel im Schwung. Die 1981 gegründete IPPNW (die 1985 den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz gegen Atomwaffen erhalten hat), hat 2007 die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen – kurz ICAN – ins Leben gerufen. Die Kampagne hat inzwischen eine eigene Infrastruktur mit über 450 Partnern weltweit, die sich an der Kampagne beteiligen. Mit der „Humanitären Initiative“ hat ICAN schon Erfolg: Nach drei Regierungskonferenzen zum Thema humanitäre Folgen von Atomwaffen rufen mittlerweile 159 Staaten dazu auf, einen weiteren Einsatz von Atomwaffen unter keinen Umständen zu erlauben.

Mit der Krise, die letztes Jahr durch den Ukraine-Konflikt ausgelöst wurde, ist die Vorstellung der Möglichkeit eines Krieges zwischen den Großmächten wieder aktuell geworden. Russland und die USA gefallen sich in gegenseitigem Säbelrasseln und neue auch atomare Aufrüstung scheint in Vorbereitung. Das Gutachten des IGH von 1996, das erklärte, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell völkerrechtswidrig seien, und die Rede Präsident Obamas 2009, in der er von einer atomwaffenfreien Welt sprach, haben sich nicht als wirkungsmächtig erwiesen. Nur eine starke Bewegung, die Druck auf die Politik ausübt, kann wirkliche Veränderung bewirken.

 

Quellen:
Mit der Ausnahme von Zitaten haben wir aus Platzgründen auf Einzelverweise verzichtet. Wichtige Quellen für diesen Artikel waren:
Bald, Detlef & Wette, Wolfram (Hrsg.) (2010) Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges 1945-1955. Essen: Klartext Verlag;
Carter, April (1992) Peace Movements. International Protest and World Politics Since 1945. London & New York: Longman,
Grünewald, Guido (Hrsg.) (1992) Nieder die Waffen! Hundert Jahre Deutsche Friedensgesellschaft. Bremen: Donat Verlag;
Otto, Martin, Chronik der Initiative GEWALTFREIE AKTION ATOMWAFFEN ABSCHAFFEN (GAAA), http://gaaa.org/pdf/chronik.pdf?ID=16
Schweitzer, Christine (2014) Kriege verhindern oder stoppen. IFGK-AP 25
Und die folgenden elektronischen Seiten und Artikel, alle zuletzt abgerufen am 13.5.2015:
http://www.atomwaffena-z.info/initiativen/geschichte-der-anti-atom-beweg...
http://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_dem_Atomtod; http://de.wikipedia.org/wiki/Kernphysik;
http://en.wikipedia.org/wiki/Anti-nuclear_movement
www.friedenskooperative.de/netzwerk/histo000.htm
www.friedenskooperative.de/netzwerk/histo111.htm
www.friedenskooperative.de/ff/ff05/1-63.htm
www.ialana.de
www.ippnw.org
www.peace-action.org;
The American Peace Movements, www.culture-of-peace.info/apm/chapter 6-15.html

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.