Der Umgang mit dem Thema Kindersoldaten

Vorbild Deutschland?

von Barbara Dünnweller

Im „Weltreport Kindersoldaten 2008“[1] , den das Deutsche Bündnis Kindersoldaten[2] im Mai 2008 in Berlin vorstellte, sind Informationen über alle Staaten enthalten, die Kinder unter 18 Jahren in ihren Armeen einsetzen: von A wie Afghanistan bis Z wie Zimbabwe. Deutschland ist auch dabei und dafür gibt es zwei Gründe: Nach wie vor dienen Unter-18-Jährige in der Bundeswehr und ehemalige Kindersoldaten, die nach Deutschland geflüchtet sind, genießen nicht den Schutz, der ihnen zusteht.

Deutschland hat, wie weitere 192 Staaten, das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-KRK), das „jedem Kind ein Recht auf Schutz vor kriegerischer Gewalt“ (Artikel 39) gewährt, ratifiziert und sich damit zur Umsetzung verpflichtet. Ergänzt wurde dieser Vertrag von der UN-Generalversammlung durch das „Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“ (2000). Es trat am 12. Februar 2002 in Kraft und soll Mädchen und Jungen in und vor Kriegen besser schützen. Es verbietet nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen jede Form der Rekrutierung Unter-18-Jähriger, also auch das Anwerben „Freiwilliger“. Nationale Streitkräfte dürfen keine Unter-18-Jährige zwangsweise rekrutieren. Nach wie vor ist es jedoch möglich,  Freiwillige über 15 Jahre in die Armee aufzunehmen. Dabei liegt es in der Hand des jeweiligen Vertragsstaates, das Alter für die Aufnahme in die Streitkräfte anzuheben. Früher hatte die Altersgrenze generell bei nur 15 Jahren gelegen. Die Bundesregierung hat sich für dieses Fakultativprotokoll sehr eingesetzt und über 100 Staaten haben es inzwischen ratifiziert, Deutschland Ende 2004. Zu dem klaren, von Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) geforderten Standard „straight 18“, also keine Rekrutierung - auch keine „freiwillige“ – und kein Einsatz von Kindern unter 18 Jahren in Kriegen, hat sich die Bundesregierung jedoch nicht verpflichten wollen.

Vergeblich hatten die Kindernothilfe und andere NROs schon im Vorfeld der deutschen Ratifizierung des Fakultativprotokolls  die Bundesregierung aufgefordert, auf die Anwerbung von minderjährigen Freiwilligen für die Bundeswehr zu verzichten und das Mindestalter auf 18 Jahre anzuheben. Die Ratifikation wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, dies zu tun. Andere Staaten sind hier mit guten Beispiel voran gegangen, wie zum Beispiel Belgien, Dänemark, Kroatien, Benin, Argentinien, Finnland und Griechenland.

Auf Regierungsebene und seitens der Abgeordneten des Deutschen Bundestages gibt es derzeit keine Initiativen für eine Änderung der Rechtslage. Dabei ist die Zahl der Unter-18-Jährigen, die bei der Bundeswehr beschäftigt werden, nicht sehr hoch. Die Bundesregierung hat dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, dem sie über die Umsetzung des Fakultativprotokolls zwei Jahre nach der Ratifizierung berichten musste, eine Zahl von 304 Soldatinnen und Soldaten für 2007 genannt. Das Verteidigungsministerium, das auf der bisherigen Regelung beharrt, begründet die Rekrutierungspraxis damit, dass die Nachwuchsgewinnung bereits 17-Jähriger wichtig sei. Nach Aussagen der Bundeswehr werden sie zu Ausbildungszwecken herangezogen und sind ausdrücklich von der Beteiligung an militärischen Handlungen mit Waffengebrauch ausgeschlossen. Der UN-Ausschuss empfiehlt der Bundesregierung in seinen Concluding Observations[3] vom 1. Februar 2008, „das Mindestalter für den Wehrdienst auf 18 Jahre zu erhöhen, um den Schutz des Kindes durch insgesamt höhere gesetzliche Standards zu fördern“.  Jeder Vertragsstaat kann seine Ratifikations-Erklärung jederzeit verschärfen. Ein Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen genügt. Deutschland kritisiert zu Recht den Einsatz von Kindern als Soldaten  in Asien, Afrika und Lateinamerika. Der Protest wäre glaubwürdiger, wenn in der Rekrutierungspraxis für deutsche Streitkräfte eine klare Grenze zwischen Minder- und Volljährigen gezogen würde.

Ehemalige Kindersoldaten leben bei uns weiter in Angst
Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat sich bei der Anhörung Deutschlands im Januar 2008 in Genf und in seinen Concluding Observations besorgt geäußert über den Umgang Deutschlands mit Flüchtlingskindern oder Asyl suchenden Minderjährigen, die in ihren Heimatländern als Kindersoldaten missbraucht wurden. An dieser Stelle soll – auch um Missverständnissen vorzubeugen – definiert werden, was der Begriff Kindersoldat bzw. Kindersoldatin meint:

„Es sind alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt werden oder wurden, egal in welcher Funktion und Rolle, darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche, Träger, Nachrichtenübermittler, Spione tätig waren oder  sexuell missbraucht wurden. Ausdrücklich sind es nicht nur Kinder, die aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben.“[4]

 Im Weltreport wird die Zahl der in Deutschland lebenden ehemaligen Kindersoldaten auf 300 bis 500 geschätzt. Nach dem Fakultativprotokoll der UN-KRK verpflichtet sich Deutschland, ehemaligen Kindersoldaten „jede geeignete Unterstützung zu ihrer physischen und psychischen Genesung und ihrer sozialen Wiedereingliederung“ zu gewähren (Artikel 6). Der Umgang der deutschen Behörden mit diesen Flüchtlingskindern ist jedoch unhaltbar. So ist es eher eine Ausnahme, dass sie als Flüchtlinge anerkannt werden. Sie erhalten den schwächsten Aufenthaltsstatus: eine Duldung oder ausgesetzte Abschiebung. Damit sind diese Kinder doppelt bestraft. Sie haben schlimmste körperliche und seelische Verletzungen erlitten und müssen nun mit der ständigen Angst leben, abgeschoben zu werden. Das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, dem die Kindernothilfe angehört, fordert deshalb, dass die deutschen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ergänzt werden: Abschiebehaft für ehemalige Kindersoldaten sollte umgehend verboten werden. Außerdem sollten diese Kinder und Jugendlichen in jedem Fall und ohne langwieriges Verfahren als politisch verfolgte Flüchtlinge anerkannt und in einer qualifizierten Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden.

Der UN-Ausschuss geht in seinen Concluding Observations  sehr ausführlich auf weitere Maßnahmen ein, wie zum Beispiel auf die „umgehende Bereitstellung von kulturell angemessenen und altersgerechten interdisziplinären Hilfen für ihre physische und psychologische Rehabilitation und soziale Wiedereingliederung“. Denn nur wenige dieser Kinder erhalten eine entsprechende Behandlung. Sie haben zudem weder das Recht auf Ausbildung noch dürfen sie bezahlte Arbeit annehmen. Die medizinische Versorgung ist ebenso eingeschränkt wie ihre Bewegungsfreiheit. Den Bezirk, in dem sie gemeldet sind, dürfen sie nicht verlassen. Dann kommt es zu solch abstrusen Vorkommnissen wie im Fall eines aus dem Irak geflüchteten 16-Jährigen, der in Süddeutschland lebt und dort in einen Fußballverein aufgenommen wurde. Das lenkt ihn nicht nur von trüben Gedanken ab, sondern gibt ihm auch Anerkennung. Hat dieser Fußballverein ein Auswärtsspiel, muss für den Jungen eine Verlassenserlaubnis beantragt werden. Hierfür gibt es jedoch enge Vorgaben. Wenn es um eine ärztliche Behandlung geht oder ein Verwandtschaftsbesuch aus zwingenden Gründen erforderlich ist, wird eine solche Erlaubnis erteilt. Im Fall des ehemaligen Kindersoldaten aus dem Irak wurde die Verlassenserlaubnis von der zuständigen Behörde in Stuttgart negativ beschieden. Fußballspielen sei kein Grund. Dass es hier auch um ein grundlegendes Kinderrecht geht, nämlich dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist (Artikel 3 der UN-KRK), spielt in diesem Zusammenhang offenbar keine Rolle. An dieser Stelle wird deutlich, dass Deutschland die UN-KRK nicht vorbehaltlos umsetzt und auch nach wie vor nicht bereit ist, die bei der Ratifizierung abgegebene Erklärung zurückzunehmen[5], die sich fatal für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auswirkt.

Ist Deutschland also ein Vorbild im Umgang mit dem Thema Kindersoldaten? Wohl kaum! Der „Schattenbericht Kindersoldaten“ [6] geht nicht nur ausführlich auf die Defizite ein, sondern gibt auch konkrete Handlungs-Empfehlungen. Es gibt viel zu tun, und letztlich muss sich Bundesregierung an ihrem konkreten Handeln messen lassen.

 

Anmerkungen
[1] Coalition to Stop the Use of Child Soldiers: Global Report Child Soldiers 2008, London 2008; deutsche Übersetzung zu ausgewählten Kapiteln, u.a. zu Deutschland unter www.kindernothilfe.de/Themen und www.tdh.de

[2] Deutsches Bündnis Kindersoldaten: Mitgliedsorganisationen s.u. www.kindersoldaten.info

[3] Abschließende Bemerkungen nach dem Prüfverfahren des Staatenberichtes und der Anhörung, die im Januar 2008 in Genf stattgefunden hat.

[4] Diese Definition stützt sich auf die „Pariser Prinzipien und Leitlinien“, wie sie im Februar 2007 von 58 Regierungen beschlossen wurden

[5] Mehr Infos unter: http://forum-menschenrechte.de/cms/front_content.php?idcat=17 „ALLE Kinder haben Rechte. UN-Kinderrechtskonvention vorbehaltlos umsetzen“.

[6] Kindernothilfe, terre des hommes (Hrsg.)/Dr. Hendrik Cremer: Schattenbericht Kindersoldaten im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens nach Artikel 8 des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, Osnabrück/Duisburg, November 2007

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Barbara Dünnweller arbeitet als Referentin für Kinderrechte im Referat Bildung und Öffentlichkeitsarbeit der Kindernothilfe.