Fluchtgrund Waffenhandel

Waffenbrüderschaften und viel Profit

von Jürgen Grässlin
Schwerpunkt
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In diesem Beitrag geht es darum, wie auch deutsche Rüstungskonzerne durch Waffenexporte an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten Menschen in die Flucht treiben und zugleich von der Flüchtlingsabwehr profitieren.

In den vergangenen Jahrzehnten leisteten die Bundesregierungen – gleich welcher parteipolitischen Couleur – aktiv Beihilfe zur Stabilisierung autokratischer, repressiver und diktatorischer Regime. Zentrales Element stellen dabei Kriegswaffenexporte in Milliardenhöhe dar. Mit ihren Genehmigungen für Rüstungstransfers an menschenrechtsverletzende und kriegführende Regierungen trugen und tragen Bundesregierungen massiv dazu bei, dass sowohl Kleinwaffen als auch Großwaffensysteme in immensem Umfang – legal – in Krisen- und Kriegsgebiete geliefert werden durften.

So gelangte über lange Jahre hinweg in Deutschland produziertes Kriegsgerät an staatliche Kriegstreiber in Libyen, Saudi-Arabien oder der Türkei. Beim NATO-Partner Türkei können Bundesregierungen auf eine Jahrzehnte währende Tradition deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft zurückblicken. Allein in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ermordete die türkische Armee Zehntausende Kurd*innen im Südosten des Landes – vor allem mit Waffen von Heckler & Koch (H&K).

Mehr als eine Million Menschen aus Türkisch-Kurdistan flohen maßgeblich vor dem Einsatz deutscher Maschinenpistolen des Typs MP5 und Sturmgewehre des Typs G3 und HK33, in Lizenz von H&K bzw. der Bundesregierung (beim G3) gefertigt bei der staatlichen Waffenschmiede MKEK in Ankara. Die allermeisten der Geflüchteten kamen nach Deutschland.

Vom Kampfpanzer Leopard-2 von Krauss-Maffei Wegmann hatte Deutschland der Türkei 354 Stück geliefert. Leo-2-Panzer wurden seitens der Truppen von Recep Tayyip Erdoğan u.a. bei der völkerrechtswidrigen Intervention Ende 2019 in Nordsyrien eingesetzt. Ein weiterer Grund für die Flucht zahlreicher Menschen. Dessen ungeachtet genehmigte die Bundesregierung allein für 2019 Kriegswaffentransfers im Gesamtwert von 31,6 Mio. Euro an das Militär in Ankara.

Weitere Regierungen, deren staatliche Sicherheitskräfte Menschenrechte massiv verletzen – wie die in Ägypten und Algerien –, erhielten bzw. erhalten in großen Mengen Waffen aus Deutschland. Diese werden in den Empfängerländern häufig zur Unterdrückung und Vertreibung Andersdenkender und Andersgläubiger, gegen missliebige Oppositionelle und die Demokratiebewegung oder gegen feindliche Kombattanten eingesetzt. Wer um sein Leben fürchtet und überleben will, muss fliehen.

Militärausgaben und Rüstungsexporte auf Rekordniveau
Laut Fünf-Jahres-Bericht von SIPRI wurde Deutschlands Exportwert für Großwaffensysteme (Kampfflugzeuge, Militärhelikopter, Kriegsschiffe, Kampfpanzer etc.) für den Zeitraum von 2015 bis 2019 (im Vergleich zu 2010 bis 2014) von der christlich-sozialen Koalition um 17 Prozent gesteigert.
Auch der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2019 ergibt ein bedrückendes Bild: Die Einzelgenehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern wurden von 2018 auf 2019 von vormals 4,82 Mrd. Euro auf nunmehr 8,01 Mrd. Euro auf einen neuen Negativrekord hochkatapultiert. Höchst bedenklich auch die Entwicklung bei den sogenannten „Drittländern“ (außerhalb von NATO und EU): Hier wurde der Gesamtwert der Genehmigungen von 2,55 Mrd. Euro (2018) auf 3,53 Mrd. Euro (2019) gesteigert.

Ungarn erhält umfassend Kriegswaffen trotz seiner rechtswidrigen Abschottungspolitik gegen Geflüchtete. Die ägyptische Militärregierung wird mit deutschen Kriegswaffen hochgerüstet trotz ihrer Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg. Die USA werden mit deutschem Kriegsgerät beliefert trotz deren militärischen Interventionen und Menschenrechtsverletzungen im Afghanistan- und im Syrien-Krieg sowie deren Unterstützung der Jemen-Aggressoren Saudi-Arabien und Ägypten. Allesamt Rüstungsexporte, die ihren Bezug zur Flüchtlingsthematik haben.

Europa funktioniert immer besser – vor allem bei der Schaffung der Festung zur Flüchtlingsabwehr
In Zeiten der Corona-Krise ist das Schicksal Geflüchteter weitgehend aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. Abertausende von Geflüchteten ertranken und ertrinken beim Versuch, Europa auf dem See- oder Landweg nach Europa zu erreichen. Wem die Überfahrt glückte, der landete vielfach in Auffanglagern. Manche Geflüchtete strandeten gar in Städten, in denen die Waffen produziert wurden und werden, mit denen sie und ihre Angehörigen in die Flucht getrieben wurden: in München, Oberndorf, Friedrichshafen, Düsseldorf oder Kassel.

Griechische Grenzschützer sollen „massenhaft Flüchtlinge aufs offene Meer“ zurückgeschleppt haben. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll „in illegale Pushbacks von Flüchtlingen verwickelt“ sein, meldeten Medien im Oktober 2020. Auf allen Ebenen formiert die Europäische Union die Festung Europa. Die EU-Kommission „plant eine Reform“ der Migrationspolitik. Asylbewerber*innen, deren Anträge als „ohne Aussicht auf Erfolg“ gelten, „sollen schneller abgeschoben werden“.

Im Herbst 2020 nahm in der EU „eine Super-Datenbank für die Suche nach Verbrechern und Migranten Formen an“. Zugleich hat die EU „die mehrjährige Stationierung großer Drohnen“ von Firmen aus Israel und Italien beschlossen, die das zentrale Mittelmeer noch besser überwachen sollen.

GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE deckt doppelte Profite von Rüstungskonzernen auf
Besonders zynisch ist dabei die Tatsache, dass verschiedene Rüstungskonzerne in doppeltem Sinne vom Geschäft mit dem Tod profitieren. Indem sie einerseits Waffen und technisches Know-How in Gebiete liefern, in denen Kriege oder Bürgerkriege toben, und damit die Gewaltaustragung dramatisch verschärfen. Andererseits liefern sie Rüstungsgüter, Überwachungselektronik oder Drohnen- bzw. Satellitentechnik, mit denen Grenzen abgeschottet und Menschen an der Flucht in ein sicheres Nachbarland gehindert werden. Zu ihnen zählen Unternehmen in aller Welt, auch deutsche Unternehmen, wie der FALL 06 des GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT; www.gn-stat.org) dokumentiert.

Direkt an den Grenzsicherungsanlagen kommen vielfach Kleinwaffen (Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehre) bei staatlichen Sicherheitskräften – wie der Border Patrol – gegen Migrant*innen zum Einsatz. Militärfahrzeuge dienen u.a. dem Materialtransport an die Grenzen und dem Abtransport von Geflüchteten zurück in Flüchtlingslager, in Folterkammern, Gefängnisse oder in die Wüste.

In vier Stufen veröffentlicht das GLOBAL NET anhand ausgewählter Fallbeispiele, wie Konzerne von Waffenlieferungen und vom Geschäft mit der Abschottung profitieren: rund um Saudi-Arabien, rund um Israel, zwischen den USA und Mexiko und im Maghreb (im Norden Afrikas); siehe www.gn-stat.org, u.a. mit der Liste von Unternehmen (Airbus Group SE, Hensoldt Holding, Rheinmetall AG u.v.a.m.), die von der Abschottung profitieren.

Fazit: Wer Waffen sät, wird Geflüchtete ernten
Unzählige Menschen mussten und müssen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen – sei es in Händen von Regierungstruppen, Guerillaeinheiten oder Terroristen – fliehen. Dessen ungeachtet genehmigt der Bundessicherheitsrat unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin Kriegswaffenexporte an Barbaren und Schlächter in Krisen- und Kriegsgebieten. Diese Politik der Bundesregierung ist weder christlich, demokratisch noch sozial. Sie ist heuchlerisch, verlogen und inhuman.

Wer Fluchtgründe beseitigen will, muss da ansetzen, wo ein konkreter Ansatzpunkt besteht. Effizient und erfolgreich wäre ein sofortiger vollständiger Stopp aller Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten – impulsgebend eingeleitet von der deutschen Bundesregierung. Im Herbst finden Bundestagswahlen statt. In dieser Zeit offenbaren sich verstärkt Chancen, die in Coronazeiten weitgehend unbeachteten Themen der Rüstungsexport-, Abschottungs- und Flüchtlingspolitik zum Thema machen.

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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).