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Buchbesprechung: „Ungleich vereint“ von Steffen Mau
Warum der Osten anders bleibt
von
Der Soziologe Steffen Mau analysiert das Fortbestehen gravierender Ost-West-Unterschiede. Das ursprüngliche Konzept des Zusammenwachsens von Ost- und Westdeutschland konnte nicht gelingen. Auch zukünftig werde die vollständige Angleichung an das westdeutsche Modell scheitern. Der ursprünglichen Angleichungserwartung stellt Mau die These sich verstetigender Unterschiede entgegen. Demografische Unterschiede sowie eine ostdeutsche Identität werden zunehmend sichtbar. Im Schlusskapitel empfiehlt er neue Formen der Demokratie, um die Menschen in den politischen Prozess zurückzuholen.
Regelmäßig, z.B. nach Wahlen, flammen Debatten über das Verhältnis von Ost- und Westdeutschland auf. Dabei dreht sich die Debatte oft im Kreis. Auf Vorwürfe „Ihr habt uns ökonomisch und symbolisch kleingemacht“ folgen Gegenvorwürfe „Ihr seid diktatursozialisiert!“ Gegenseitiges Verstehen scheint eher selten.
Ausgebremste Demokratisierung
Steffen Mau widerspricht den regelmäßigen Berichten der Bundesregierung „zum Stand der deutschen Einheit“. Dort werde z. B. gern von einer „Aufholjagd“ gesprochen. Richtschnur bleibe der Abbau innerdeutscher Disparitäten. Weiterhin bestehende Unterschiede werden als Übergangs- oder Anpassungsproblem interpretiert. Jedoch, so Mau, sei mittlerweile die ursprüngliche Vorgabe von „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“, durch die weichere Formulierung der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ ersetzt worden. Bereits die Wahl der Volkskammer im März 1990 stand unter starkem Einfluss der Bonner Parteizentralen, „die Alt- und Neuparteien der DDR aufbauten und diese durch Wahlkampfhilfe in Richtung Wiedervereinigung massiv förderten“. Doch diese Orientierung zur schnellen Einheit habe jede weitergehende Neugestaltung politischer Selbstregierung verhindert. Stattdessen kam es zur massenhaften Abwanderung in den Westen und einer ökonomischen Krise der ehemaligen DDR-Betriebe. Mau spricht von der „Selbstauslieferung der realsozialistischen Konkursmasse“ und interpretiert den Übergang von der friedlichen Revolution zur deutschen Einheit als „ausgebremste Demokratisierung“.
Identitätsbildung
Es gelte die Entwicklung Ostdeutschlands im Spannungsfeld zwischen DDR-Erfahrung und den Folgen der Transformationsjahre anzuerkennen und als bleibende Binnendifferenz im vereinten Deutschland zu begreifen. Es habe sich eine eigene ostdeutsche Gesellschaft herausgebildet. Das Verschwinden einer Ostidentität stellte sich als falsche Erwartung heraus. Mau spricht für Ostdeutschland von einer nachholenden Identitätsbildung. Ein Gefühl der Zurücksetzung sei in den Jahren unmittelbar nach der Wiedervereinigung omnipräsent gewesen.
Mau plädiert dafür, die ostdeutsche Gesellschaft nicht einzig unter dem Gesichtspunkt möglicher Defizite zu betrachten. Demokratie habe in Ostdeutschland ihre eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen. Eine Minimaldefinition könnte sein: „Ostdeutsche Identität bezieht sich auf den Osten als spezifischen Erfahrungs-, Sozial-, und Kulturraum, als subjektiv erlebter und gedeuteter kollektiver Zusammenhang.“
Erstarkender Rechtsradikalismus
Die rassistische und rechte Gewalt der Nachwendejahre wurde lange Zeit verharmlost. Mau erinnert, in der DDR habe es keine politische Öffentlichkeit, keine Zivilgesellschaft gegeben. Die Sphäre zwischen den Bürger*innen und dem Staat wurde durch parteinahe Massenorganisationen besetzt. Nach der Wende blieb ein Vakuum mit kurzlebigen Initiativen der friedlichen Revolution. In diesen verwaisten Raum seien rechte politische Akteure hineingegangen. Etliche kamen aus dem Westen und fanden im Osten mehr „Beinfreiheit“ für ihre nationalistischen und völkischen Ziele. Auch konnten sie leicht an ausländerfeindliche Stimmungen in der DDR anknüpfen. Inzwischen habe die Partei AfD „durch vereinzelte Zugewinne und Erfolge ein bemerkenswertes Gewicht erhalten, das ihr Möglichkeiten verschafft, die politische Kultur zu verändern und die Grundfesten der demokratischen Institutionen zu beschädigen“. Mau spricht von „Allmählichkeitsschäden“ der politischen Kultur. Die „Struktur des ganzen Gebäudes“ sei gefährdet.
Bürger*innenräte
Für die Zukunft, der in ihrem demokratischen Kern fragilen politischen Kultur Ostdeutschlands, fordert Mau, dass Ostdeutschland als ein Labor betrachtet werden könne, für neue und andere Formen demokratischer Partizipation. Bürger*innen sollten sich als (selbst-) wirksam erleben können. Er schlägt vor, Formate der direkten Bürger*innenbeteiligung und die Einführung von Bürger*innenräten voranzubringen. Nach Mau bleibt der Osten dauerhaft anders – aufgrund der Erfahrungen in der DDR und den Weichenstellungen der Wendejahre, ökonomisch, politisch, aber auch, was Mentalität und Identität betrifft.
Das Buch ist aufschlussreich, spannend und gänzlich ohne Polemik.
Steffen Mau (3. Aufl. 2024): Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt, Edition Suhrkamp, Berlin, 168 S., ISBN 978-3-518-02989-3, 18,50 €