Was macht die Bundeswehr am Horn von Afrika?

von Tobias Pflüger
Hintergrund
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1. Die Bundeswehr ist auf einem Drittel des Globus stationiert
Mit dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 07. November 2001 und der anschließenden Abstimmung im Bundestag über die Vertrauensfrage am 16. November 2001, wurde eine Freigabe gegeben zur "Ermächtigung" zum umfassensten Kriegseinsatz der Bundeswehr seit der Gründung. In meiner Analyse vom 10. November 2001 (vgl. http://www.imi-online.de/2001.php3?id=258) ging es darum, wo die Bundeswehr mit dieser "Kriegsermächtigung" eingesetzt werden könnte. Die vier zentralen Aussagen der Kriegsermächtigung damals waren:

A. "Im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM werden bis zu 3.900 Soldaten mit entsprechender Ausrüstung bereitgestellt: ABC-Abwehrkräfte, ca. 800 Soldaten / Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten / Spezialkräfte, ca. 100 Soldaten / Lufttransportkräfte, ca. 500 Soldaten / Seestreitkräfte einschließlich Seeluftstreitkräfte, ca. 1800 Soldaten / erforderliche Unterstützungskräfte, ca. 450 Soldaten."

B. "Die Beteiligung mit deutschen Streitkräften an der Operation ENDURING FREEDOM ist zunächst auf zwölf Monate begrenzt."

C. "Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete."

D. "Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen."

Zusammengefasst bedeutete der Beschluss eine Freigabe eines umfassenden Kriegseinsatzes durch den Bundestag an die Bundesregierung - und damit die völlige Aushöhlung des sogenannten "Parlamentsheers" - für zunächst ein Jahr, in allen Einsatzoptionen von sogenannter "humanitärer Hilfe" bis hin zu reinen Kampfeinsätzen (Stichwort: Kommando Spezialkräfte in Afghanistan) auf mindestens einem Drittel des Globus.
 

Zu dem sogenannten "Anti-Terror-Einsatz" kommen noch vier weitere Bundeswehreinsätze hinzu:

Es gibt noch die "alten" Bundeswehreinsätze im europäischen Raum: SFOR in Bosnien mit 1.700 Bundeswehrsoldaten, KFOR im Kosovo mit 4.700 Soldaten und Task Force Fox (TFF) in Mazedonien mit ca. 600 Soldaten. In Mazedonien führte die Bundeswehr den Einsatz als sogenannte "Lead Nation" bis Ende Juni 2002.

Im Rahmen des Einsatz mit Namen ISAF (International Security Assistence Force), der lediglich auf den Großraum Kabul beschränkt ist, sind 980 Soldaten in Kabul und 160 Soldaten in Usbekistan stationiert. Deutschland hat seit dem 19.03.2002 die "taktische Führung" und damit den Oberbefehl über 4.700 Soldaten aus 18 Staaten. Großbritannien wurde jetzt von der Türkei als formaler "Lead Nation" abgelöst.

Tatsächlich "epochalen" (Gerhard Schröder) Charakter haben aber nicht diese vier Einsätze sondern "Enduring Freedom":

Heute im Sommer 2002 kann eine erste Zwischenbilanz von "Enduring Freedom" (EF) gezogen werden:

Deutsche Soldaten befinden sich derzeit in Georgien (UN), Bosnien (SFOR), Jugoslawien / Kosovo (KFOR), Mazedonien (TFF), Usbekistan (ISAF), in der Türkei (EF), am Horn von Afrika (EF), in der arabischen See (EF), im Mittelmeer (EF), in Kuwait (EF), in Bahrein (EF), in Djibouti (EF), in Kenia (EF), in den USA / Florida, Tampa (EF), und nicht zu vergessen in Afghanistan (ISAF) und mit Elitetruppen im Kampfeinsatz in Afghanistan (EF).

Insgesamt ist der Anteil der Marine am größten, 1.800 von 3.900 Soldaten kann hier die Bundesregierung aus dem Kriegsermächtigungsbeschluß ausschöpfen. Was macht nun die Marine und was macht sie vor allem am Horn von Afrika?

2. Was macht die Bundeswehr am Horn von Afrika?
Zuerst einmal, welche Truppen hat die Bundeswehrführung ans Horn von Afrika geschickt? Drei Fregatten, drei Seeaufklärer, vier Hubschrauber, fünf Versorgungsschiffe und ursprünglich noch fünf Schnellbotte, die allerdings nicht tropentauglich waren, da für Nord- und Ostsee konzipiert.

Die offizielle Aufgabenbeschreibung für die "Deutsche Marine" am Horn von Afrika ist folgendermaßen:
 

 Durchführung von Seeraumüberwachungsoperationen in den Seegebieten um das Horn von Afrika
 

 Schutz der Seeverbindungslinien im Operationsgebiet
 

 Unterbindung des verbotenen Handelns und Transports von Gütern, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus dienen können, z.B. Drogen, Waffen, Munition, militärisches Gerät, Geldmittel etc.
 

Dies soll geschehen durch sogenannte "Maritime Interdiction Operations" (MIO), also "Kontrolle von Handelsschiffen neutraler Staaten (sic!)", und sogenanntes "Boarding" (Kontrolle von Ladung und Ladungspapieren). Notfalls sollen "Zwangsmaßnahmen" "wie z.B. die Umleitung in Häfen zur weiteren Untersuchung von Schiff und Besatzung ergriffen werden". (Alle Zitate aus der alten nicht mehr existenten Internetseite der Bundeswehr, die neue enthält nur einen Bruchteil der vorigen Informationen.)

Soweit die offizielle Beschreibung. Die Realität ist wie häufig eine etwas andere: Die Bundeswehrsoldaten langweilen sich nach zuverlässigen Informationen offensichtlich ziemlich an ihren diversen Stationierungsorten rund um Somalia. Die Frage stellt sich also, was ist der Sinn oder Unsinn dieser Operation am Horn von Afrika?

Seit 12. Mai 2002 hat die "deutsche Marine" das Oberkommando über alle Operationen am Horn von Afrika, immerhin ein Gebiet viermal so groß wie die Bundesrepublik. Dem deutschen Oberkommando untersteht eines von neun Teilkontigenten der gesamten "Enduring Freedom"-Flotte, die aus über 80 Schiffen aus 16 Staaten besteht. Unter deutschem Kommando stehen Schiffe aus Großbritannien, Spanien, Deutschland und den USA. Das deutsche Kontigent neent sich "Task Force 150". Die Koordination liegt beim neuen Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow.

Die deutsche Marine agiert in internationalen Gewässern, maßt sich dort Hoheitsrechte an, die sie nicht hat und kontrolliert den internationalen Schiffverkehr. Der Schiffsverkehr ist in dieser Region sehr stark. Fast alle Schiffe von Asien nach Europa und umgekehrt müssen z.B. durch die Meerenge Baar el Mandeb, die zwischen dem Golf von Aden und dem roten Meer liegt.

Piraten darf die Bundeswehr allerdings explizit nicht jagen. Deshalb rühmt sie sich, quasi als Nebeneffekt für Sicherheit in diesen strategisch wichtigen Gewässern zu sorgen, sprich Piraten agieren - so die Bundeswehrverantwortlichen - jetzt weniger, weil soviel Bundeswehrschiffe unterwegs sind. Dies wird allerdings vom zuständigen "International Maritime Bureau" (IMB) bestritten, dort heißt es, die Piratenvorfälle hätten sich seit der Bundeswehrpräsenz verdoppelt.

Was genau der Auftrag der deutschen Marine nun ist, ist strittig zwischen dem US-Oberkommando in Bahrein und dem deutschen Kommando fürs Horn von Afrika: Die US-Einsatzzentrale sagt, "die Rolle der Task-Force ist es, die Gewässer um das Horn von Afrika und das arabische Meer zu überwachen", die Aufgabe würde "weiterhin in der Überwachung und Auskundschaften (surveillance and reconnaissance) des Schiffsverkehrs bestehen und nicht im Abfangen (interdiction)" (ZEIT, 8. Mai 2002). Das mag zwar wie eine Detaildissens klingen, ist aber höchst relevant: Die Küstengewässer in der "Hoheit" Somalias sind tabu für die deutschen Afrikasegler, und völkerrechtlich unstrittig, es gibt kein Mandat und keine rechtliche Deckung von "Gewaltanwendung". Sollte die Bundeswehr dies also tun, was die deutsche Bundeswehrführung verlautet, bricht sie mal wieder Recht, Gesetz und Völkerrecht. Aber, so schreibt die Zeit, heikle erzwungene Kontrollen überließe die deutsche Marine den US Navy Seals, einer harten US-Elitetruppe, die tatsächlich nach Funkbefragungen tausender Schiffe in der Region 75 (!) "Bordgänge" - sprich Schiffsstürmungen - durchgeführt habe. In einem knappen Dutzend von Fällen - so die New York Times - hätten die US-Truppen "Zwangsmaßnahmen" durchgeführt. Sprich, die US Navy Seals führten inzwischen knapp ein Dutzend rechtlich nicht gedeckter Übergriffe auf "verdächtige Schiffe" durch. Aber, so die ZEIT, "die (deutsche) Flotte ist nicht da, um Wasserpolizei zu spielen." Irgendwie dann doch, es ist eben mal wieder eine selbsternannte "Polizei".

3. Was bleibt?
Stefan Gose schreibt in der antimilitarismusinformation (ami 05/02), beim Bundeswehreinsatz ginge es um "Leichtmatrosen auf Fotosafari", schön formuliert, aber es trifft die Sachlage wohl nicht ganz. Dazu ist es notwendig sich die Situation in Somalia selbst genauer anzuschauen.

Claudia Haydt hat in zwei IMI-Analysen die Auswirkungen der Stationierung der deutschen Marine auf die Gesamtregion Somalia untersucht. Ihre Ergebnisse:

Die Zeitschrift DIE WOCHE hat in einer ihrer letzten Ausgaben berichtet (DIE WOCHE 11.02.2002), daß die Stationierung deutscher Truppen sehr wohl als Ankündigung einer militärischen Intervention verstanden werden: "Scharpings (später wieder dementierte) Äußerung, Somalia wäre das nächste Ziel des "Anti-Terror-Kampfes", wird dort (in Somalia) im Kontext der Entsendung des deutschen Kontigents gesehen." Die Deutschen kommen! und "Wer es sich leisten kann, hat seine Familien außer Landes gebracht" (IMI-Analyse 2002/012, 20.03.2002 vgl. http://www.imi-online.de)

"Somalia, das Land am Horn von Afrika, liegt günstig - militärisch geostrategisch und bezüglich der wichtigsten Seehandelsrouten." "Die Antwort auf die Frage: Warum Somalia? ist so zynisch wie simpel: Motiv, Möglichkeit und Gelegenheit sind vorhanden, ebenso die willigen Komplizen. Das Land ist arm und hat keine Lobby Die Truppen der "Allianz gegen den Terror" sind positioniert. Der Startschuß wird kommen." (IMI-Analyse 2002/012, vgl. http://www.imi-online.de )

Einziger Verzögerungsfaktor könnte eine Einigung verschiedener Herrscher und Warlords im Gesamtbereich Somalia sein. Daran wird mit UN-Hilfe gearbeitet. Trotzdem steht die Kriegsdrohung weiterhin.

Warum ein Krieg "mit" Somalia? Ein Hinweis findet sich in german-foreign-policy.com: Die Fachzeitschrift "Petroleum Economist" habe schon 1991 im Auftrag des "United Nations Development Programme" eine Studie erstellt, nach der im Bereich Somalia umfangreiche Öl- und Erdgasvorkommen wären. Inweit das zutrifft ist unklar, ein Hinweis ist es allemal.

Oder um es deutlicher zu formulieren: Die Truppen-Stationierungen rund um Somalia sind Vorboten eines möglichen Krieges gegen Somalia, und an diesem Krieg will Deutschland dann wesentlich beteiligt sein. Der SPIEGEL schreibt dazu: "Im Kriegsfall der USA mit Somalia sollten die Boote zum Schutz von Frachtschiffen und Tankern zur Verfügung stehen". (SPIEGEL 20.04.2002)

Zusammengefaßt: die Truppen um das Horn von Afrika - geht man von derem offiziellem Auftrag aus- machen derzeit militärisch wenig Sinn. Was bleibt ist gefährlich genug: Eine Funktion der Bundeswehr ist die Sicherung der Wassertransportwege von Öl, eine weitere Funktion ist die deutsche Bereitschaft bei einem späteren Krieg gegen Somalia dabei zu sein.

Deshalb ist die politische Forderung klar: Abzug aller (deutschen) Truppen rund um das Horn von Afrika!

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Hintergrund
Tobias Pflüger ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke. 1996 war er einer der Initiatoren für die Gründung der Informationsstelle Militarisierung (IMI).