Was macht eigentlich die Friedensbewegung ?

von Andreas Buro
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Wo sind denn die 200.000 DemonstrantInnen im Hofgarten? Die Frage wird einem bis zum Erbrechen gestellt. Die Antwort, daß wir in diesem Fall nicht demonstrieren müssen, sondern den entstehenden Friedens-und Antikriegs­gruppen in den Republiken des auseinanderbrechenden Jugoslawien helfen wollen, damit sie mit ihren Problemen besser fertig werden können, wird wie eine faule Ausrede beiseite geschoben. Das Stereotyp sitzt bei der Presse tief: Die Friedensbewegung demonstriert oder sie ist nicht.

Doch wogegen soll man hier in der BRD demonstrieren? Bundesregierung und EG haben sich bislang, wenn auch keineswegs immer_ in unserem Sinne, mit nicht-militärischen Mitteln um eine Streitschlichtung bemüht. Das ist prin­zipiell nicht zu kritisieren. 'Wir müssten aber zeigen, daß wir alle gegen den Krieg seien!' Doch das steht jeden Tag, und auch in Leserbriefen nicht wider­sprochen, in den Zeitungen. In Wirk­lichkeit geht es für die Friedensbewe­gung um eine neue Aufgabe, auf die sie wenig vorbereitet ist: Wie kann grenz­überschreitende Solidarität in Europa gegen den Krieg gestaltet werden?

 

Bisher haben wir gegen die Idiotie des Wettrüstens protestiert, gegen Rü­stungsexporte aus Deutschland und ge­gen Beteiligungen unserer Regierungen an Aufrüstung und Kriegsführung oder richtiger gesagt, an Beihilfe zur Kriegs­führung. Nun müssen wir die Menschen überstützen und ermutigen, die sich in dem Vielvölkerstaat verzweifelt gegen Krieg und Bürgerkrieg wehren, die mit schnell emporschießenden Feindbildern kämpfen und die selbst zunehmender Unterdrückung, ja Verfolgung durch nationalistische Gruppierungen, das Militär und ihre eigenen Regierungen ausgesetzt sind.

Jeder, der die schwierigen und ver­schlungenen Arbeitsweisen und Funkti­onsmechanismen sozialer Bewegungen als selbstorganisierter und jeweils auch sich selbst aufklärender Gebilde kennt, und nicht den journalistischen Phanta­sien von geheimen Friedens-Generalstä­ben aufgesessen ist, weiß, wie mühsam und langwierig es ist, solche neuen Auf­gaben wahrzunehmen. Es können ja nicht einfach drei einsichtige Leute et­was unternehmen, sondern wir müssen nach Aktionsformen suchen, die auf ei­ner breiten sozialen Basis nachvollzo­gen werden können, so daß soziale Ei­geninitiative und soziales Lernen mög­lich werden.

Aus der Friedensbewegung kamen viele Initiativen

Zunächst ist von einem fast traditionel­len Vorgang zu berichten. In hunderten von Friedensgruppen wurden Informati­onsveranstaltungen abgehalten mit dem Ziel, für sich selbst zu klären, wie es überhaupt zu diesem fürchterlichen Bruderkampf kommen konnte und wie dem zu begegnen sei. Diese Arbeit ist selbstverständlich fortzusetzen. Aller­dings sind nun stärker Überlegungen anzustellen, was von der Gruppe selbst gegen den Krieg getan werden kann.

Schon im Spätsommer '91 hat sich der Bund für Soziale Verteidigung mit Mit­arbeiterInnen direkt engagiert. Kurse für gewaltfreies Verhalten in Konflikten wurden gemeinsam mit Anti-Kriegs­gruppen in Jugoslawien abgehalten. Viele wichtige Kontakte und Arbeitsbe­ziehungen wurden angeknüpft. Das Komitee für Grundrechte und Demo­kratie hatte schon im Sommer in einem "Brief an die Friedensbewegung" eine Einschätzung der 'jugoslawischen Ent­wicklung' versucht und mit viel Reso­nanz zu Spenden für die Antikriegsbe­wegung in dem Lande aufgerufen. Viele andere Gruppen folgten mit spezifischen Aktivitäten, besonders auch um auf kirchlicher Ebene den Dialog zwischen den Religionen zu fördern.

Im Juli hatten die Führungsgremien der Helsinki Citizens' Assemby, einem euro­paweiten Zusammenschluß von Bürge­rInnen und sozialen Bewegungen, auf einer Sitzung in Belgrad eine Friedens­karawane durch alle jugoslawi­schen Republiken beschlossen. Diese kam tatsächlich Ende September zu­stande und konnte mit der Bevölkerung, Orga­nisationen verschiedenster Art und ho­hen Politikern sprechen. Sie wurde von den Menschen überall sehr freund­lich begrüßt, die damit ihrer Friedenshoff­nung Ausdruck gaben. Das Ziel der Ka­rawane war es, die aufkei­mende Anti-Kriegsbewegung zu ermu­tigen, ihre Re­putation nach außen zu stärken und die Beziehungen der euro­päischen Frie­densbewegung zu den Gruppen in den jugoslawischen Repu­bliken auszubauen. In der BRD organi­sierten das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Ohne Rüstung Leben und die Berliner Frauen für den Frieden die deutsche Teilnahme. In der Folge­zeit gingen von den Teil­nehmerInnen viele Impulse für 'Jugoslawien-Veran­staltungen' aus.

Seitdem ist viele materielle Hilfe beson­ders zum Ausbau der Infra- und Organi­sationsstruktur der Anti-Kriegsgruppen nach Jugoslawien geflossen. Hiesige Gruppen und Einzelpersonen haben De­serteure und Kriegsdienstverweigerer unterstützt. Das ist sehr wichtig, denn in dem Verweigern des Kriegsdienstes drückt sich der Widerstand großer Teile der Bevölkerung aus. Solange die tradi­tionellen und Regierungsinstitutionen keine medizinische Hilfe leisteten, konnte das Komitee beträchtliche Men­gen Medikamente über Spenden und Kooperation besorgen und nach Jugo­slawien schaffen.

Mit der Ausweitung des Krieges nach Bosnien-Herzegowina haben sich auch die Aktivitäten ausgeweitet. Die huma­nitäre Hilfe bekam neue Dimensionen durch Lieferungen medizinischer Hilfs­güter, aber vor allem auch durch die Werbung von Freiwilligen für die Hilfe in den Flüchtlingslagern. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie be­richtete in einer Bürger-Information über diese Aktivitäten und forderte zur Teilnahme und zu Patenschaften auf. Die Hilfsbereitschaft aus der Bevölke­rung war groß.

Noch Ende März '92 wurde eine inter­nationale Konferenz über die möglichen friedlichen Perspektiven für Bosnien-Herzegowina von dem Bürgerforum in Sarajewo gemeinsam mit dem Komitee organisiert. Andere Konferenzen folg­ten, von der HCA in Budapest, Zagreb, Verona und im November in Ohrid Ma­zedonien durchgeführat. Sie alle hatten zum Ziel, Kooperation gegen den Krieg zu fördern und den Antikriegskräften eine internationale Stimme zu geben. Ein besonderes Projekt waren die De­monstrationen auf der Insel Vis, auf der eine entmilitarisierte Zone entstehen sollte. Viele Gruppen der Friedensbe­wegung reisten in die Konlfliktgebiete und versuchten in jenen Gebieten zu ar­beiten, die zu den potentiellen neuen Kriegsgebieten werden können, wie z.B. die jüngste Reise einer Münchner Gruppe in den Sandjak.

Angesichts der in der Bundesrepublik verstärkt aufbrechenden Diskussion über angeblich notwendiges militäri­sches Eingreifen, hat sich hier die Dis­kussion verstärkr der Frage nach den nichtmilitärischen Mitteln der Konflikt­bearbeitung zugewandt. Im Auftrag des Netzwerks Friedenskooperative hat An­dreas Buro einen Vorschlag ausgear­beitet, der auf einer Konferenz und An­hörung diskutiert wurde. Weitere Arbeit in dieser Richtung deutet sich an und ist dringend. Auch bei der bevorstehenden Konferenz des Bundes für soziale Ver­teidigung werden jugoslawische The­men dieser Art im Vordergrund stehen. Diese Organisation hat sich auch in ganz besonderem Maße für die Auf­nahame von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten eingesetzt und sich ge­gen die restriktive Politik der Bundesre­gierung gewandt.

Diese wenigen Stichworte über die bis­herige Arbeit mögen genügen. Sicher ist damit nicht alles gekennzeichnet, was inzwischen von der Friedensbewegung geleistet wurde. Politisch zielte sie nicht auf Anerkennung oder Nicht-Anerken­nung einzelner Republiken. Es ging ihr auch nicht um Schuldzuweisungen, son­dern vor allem darum, alle jene Initiati­ven von Menschen aus den verschieden­sten Nationalitäten zu stärken, die sich gemeinsam gegen den Krieg und für Versöhnung der Völker einsetzten. Das ist nach wie vor die zentrale politische Orientierung für unsere Arbeit. Für ihre weitere Entfaltung kann der folgende Katalog von Aufgaben genannt werden, der selbstverständlich andere Initiativen nicht ausschließt.

-     Zwischen Friedensgruppen hier und dort sollten Patenschaften zur Unter­stützung und Information geschlos­sen werden.

-     Wir sollten Gemeinden und Städte auffordern, mit serbischen und kroa­tischen Gemeinden, die für Versöh­nung und Zusammenarbeit zwischen den Nationalitäten eintreten, Partner­schaften abzuschließen, um zu einem gemeinsamen Gespräch zu kommen.

-     Wir sollten verstärkt Deserteure und Kriegsdienstverweigerer unterstützen und die Regierungen auffordern, ih­nen ein zeitweiliges Bleiberecht ein­zuräumen.

-     Wir müssen die Medien bei uns hart­näckig ansprechen, damit sie nicht nur über Krieg, sondern auch über die schwierige Antikriegsarbeit in Jugo­slawien berichten.

-     Alle Informationen, die wir über Re­pression gegenüber Friedensgruppen erhalten, müssen wir mit Nachdruck an die Presse geben, damit diese be­richtet. Dies ist ein wichtiger Schutz für die FriedensarbeiterInnen in Ju­goslawien. Leider versagen unsere Medien in diesem Bereich bislang fast vollständig.

-     Kirchen, Berufsgruppen (z.B. Ärzte), Gewerkschaften usw. sollten wir immer wieder veranlassen, den Dia­log zwischen den verschiedenen ju­goslawischen Nationalitäten durch gemeinsame Konferenzen zu fördern.

Solche Arbeit über die Grenzen hinweg gilt es exemplarisch zu entwickeln. Sie wird uns in Zukunft, in der es verstärkt um die Gestaltung von Frieden gehen wird, mehr und mehr beschäftigen.

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