Emanzipatorischer Fortschritt oder abzulehnen?

Wehrpflicht oder Dienstpflicht für Frauen?

von Heide Schütz
Schwerpunkt
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In der Debatte um Wehrpflicht oder allgemeine Dienstpflicht für Frauen stehen sich verschiedene Perspektiven gegenüber. Während einige die Idee aus feministischer Perspektive als wichtigen Schritt zur Gleichstellung betrachten, sehen andere darin eine Rückkehr zu Zwangsstrukturen, die den individuellen Rechten widersprechen.

Die Wehrpflicht war in Deutschland bis 2011 für Männer verpflichtend, während Frauen sich seit 2001 freiwillig zum Militär, und zwar dem Dienst an der Waffe, melden konnten. Dem war ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes vorausgegangen, das auf die Initiative von einigen Feministinnen aus Deutschland zurückging, denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbietet bis heute die Verpflichtung von Frauen zum Dienst an der Waffe. Sie sahen im Militär die „letzte Männerbastion“, die es zu knacken galt. Die freiwillige Entscheidung von Frauen zum Dienst an der Waffe war der juristisch und gesellschaftlich mögliche Kompromiss. Als Vorsitzende des Frauennetzwerk für Frieden e.V. schrieb ich damals einen Artikel unter dem Titel: „Beruf Soldatin – die Emanzipationsfalle“. Natürlich ist es seitdem das Recht jeder Frau, sich für diesen Beruf in der Bundeswehr zu entscheiden. Aber in der Abwägung von beruflicher Gleichstellung im Militär und der Tatsache, dass dieser Beruf kein Beruf ist wie jeder andere, sondern auf der Struktur von Befehl und Gehorsam basiert und letztlich den Zwang zum Töten bedeutet, auch als sogenannter „Kollateralschaden“ von Frauen und Kindern der Zivilbevölkerung des „Feindes“, sah und sehe ich darin keinen erstrebenswerten Fortschritt für benachteiligte Frauen.

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht für Männer verschwand diese Ungleichbehandlung aus der Praxis, aber nicht aus der grundsätzlichen Debatte.  Befürworter*innen der Wehrpflicht für Frauen argumentieren nach wie vor, dass eine solche Regelung dazu beitragen würde, tradierte Geschlechterrollen und mangelnde Gleichstellung zu überwinden. Eine allgemeine Wehrpflicht für beide Geschlechter würde diese grundgesetzlich verankerte Asymmetrie aufheben und somit als Fortschritt zu mehr Gleichstellung von Männern und Frauen beitragen. An dieser fehlt es allerdings an allen Ecken und Enden. Also warum nicht mit der gesamtgesellschaftlichen Gleichstellung zunächst in anderen Bereichen beginnen?

Man könnte argwöhnen, dass die Wehrpflicht für Frauen aus politischen Kreisen in Deutschland hauptsächlich deshalb in die Debatte eingebracht wird, weil es der Bundeswehr schlicht an Personal fehlt. In diesem Fall würde sich die Frage nach dem Wehrersatzdienst aus Gewissensgründen für Frauen erstmalig stellen, so wie bis 2011 für die gemusterten Männer.

Übrigens wird oft auf die Praxis anderer Länder verwiesen, denn Staaten wie Schweden, Norwegen oder Israel haben Wehr- oder Dienstpflicht, die sowohl Männer als auch Frauen betreffen. Diese Modelle gelten jedoch nicht immer als Vorbilder. Es ist lohnend, sich damit zu beschäftigen.

Gesellschaftlicher Nutzen und Risiken einer allgemeinen Dienstpflicht
Neben der Wehrpflicht wird aber auch eine verbindliche Dienstpflicht, die auch  Frauen und alle anderen noch nicht erwähnen Geschlechter einschließen soll, in die Debatte Befürworter*innen einer allgemeinen Dienstpflicht für beide Geschlechter betonen den potenziellen gesellschaftlichen Nutzen. Ein verpflichtender Dienst könnte den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, etwa durch Einsätze im sozialen oder ökologischen Bereich. Junge Menschen würden dadurch Einblicke in andere Lebensrealitäten erhalten und einen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten.

Doch auch hier gibt es Kritik. Eine allgemeine Dienstpflicht könnte die bestehende Struktur sozialer Dienste untergraben. Statt regulär bezahlter Arbeitskräfte könnten Dienstpflichtige eingesetzt werden, was die Anerkennung und finanzielle Entlohnung sozialer Berufe schädigen könnte. Zudem bleibt die Frage, ob eine solche Pflicht tatsächlich nachhaltig positive Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte oder ob damit nur kurzfristig Löcher in sozialen und anderen Bereichen gestopft würden. Wir erinnern uns an die Praxis des Wehrersatzdienstes.

Für beides, die Einführung einer Wehrpflicht für Frauen wie für eine Allgemeine Dienstpflicht, bräuchte es übrigens eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, weil es sich um Änderungen im Grundgesetz handeln würde.

Fortschritt oder Ablehnung?
Aus feministischer Sicht ist die Debatte ambivalent. Einerseits könnte eine Wehrpflicht für Frauen als Zeichen einer echten Gleichstellung gesehen werden, da sie Frauen im sicherheitspolitischen Bereich die gleiche Verantwortung wie Männern zuschreibt. Andererseits wird kritisiert, dass Frauenrechte in der Geschichte oft durch Freiheitsrechte erstritten wurden – nicht durch neue Zwänge. Eine Wehrpflicht oder Dienstpflicht für Frauen kann bzw. muss deshalb auch als Rückschritt gesehen werden, insbesondere, wenn sie nicht mit einer umfassenden Reform der gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Praktiken einhergeht, in denen die Ungleichbehandlung noch deutlich zutage tritt.

Und vergessen wir bitte nicht: Die Gleichstellungsdebatte ist immer noch aktuell, wenn es um die Umsetzung der UN Resolution des Sicherheitsrates zu „Frauen, Frieden und Sicherheit" aus dem Jahr 2000 geht. Darin die Forderung: Frauen an die Friedenstische! – also nicht (bzw. nicht nur) ans Gewehr!"

Fazit
Schlussendlich kann es auf die Frage „Wehrpflicht oder Dienstpflicht für Frauen – emanzipatorischer Fortschritt oder abzulehnen?“ nicht die eine Antwort geben. Ich habe versucht, die unterschiedlichen Aspekte und deren Widersprüche aufzuzeigen. So geht es bei dieser Frage weniger um eine schnelle Antwort, bzw. das Präsentieren schneller, kurzfristiger Lösungen seitens der Politik, sondern um das Anstoßen eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses. An dessen Ende steht dann im besten Falle, was uns als Zivilgesellschaft das höhere Gut ist – gesamtgesellschaftliche Gleichstellung als oberstes Prinzip oder punktuelle Kompensation bestehender Ungleichheit in einigen Bereichen, ein individuelles Recht auf unabhängige Selbstbestimmung oder die Ausrichtung auf ein Gemeinwohl. Wie sich das in einem gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmen zusammenfügen lässt, sollte Gegenstand einer offenen Diskussion sein.

In jedem Fall darf dieser Diskurs in Deutschland nicht lediglich im Kontext Frauen diskutiert werden, sondern er muss im Sinne echter Gleichstellung, emanzipatorischer Lebensentwürfe und einem Gemeinwohlaspekt im Hinblick auf alle Geschlechter geführt werden, und zwar nicht erst, wenn in der Politik die Würfel bereits gefallen sind.

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