Frankreich

Welche Zukunft haben die Friedensbewegungen?

von B. Dreand

Die sowjetischen und amerikanischen Soldaten werden nach Hause zurückkeh­ren, die Raketen werden auf den Schrott geschickt, die Abrüstung scheint am Ende der achtziger Jahre auf unsicheren Füßen in Europa zu stehen, welche Re­alität. Und trotzdem ist dies der Augenblick, den die französischen Abgeordne­ten wählten, um das Programm zur Entwicklung neuer nuklearer (besonders der Rakete HADES) und konventioneller Kapazitäten (besonders das Flugzeug RAFALE und der LECLERC) der französischen Armee zu bestätigen. Wenn der Militärhaushalt ein bißchen geringer ausgefallen ist (dank des Gesetzes, das 1986 von der Linken und den Sozialisten verschiedet wurde), hat dies viel mehr finanzielle Ursache als daß es eine Reaktion auf die allgemeine Hoffnung auf Ab­rüstung darstellte. Ist Frankreich also das Land, das die Abrüstung in Europa behindert?

Die Regierungen der Rechten (Chirac, 1986 - 88) und der Linken (Roccard seit 1988) scheinen auf jeden Fall von der Passivität der öffentlichen Mei­nung und der Schwäche der Friedens­bewegung zu profitieren.

Die Friedensbewegungen in der Falle
Am Anfang der achtziger Jahre, als die DemonstrantInnen gegen die atomare Aufrüstung durch die Straßen der großen europäischen Städte strömten, schienen die Franzosen und Franzö­sinnen ziemlich gleichgültig zu sein. Nicht, daß keine Friedensbewegungen existiert hätten: Zehntausende, manchmal Hunderttausende Men­schen nahmen an Demonstrationen des APPEL DES CENTS, der MOU­VEMENT DE LA PAIX, des CO­DENE zwischen 1980 und 1986 teil. Aber ohne daß sie in der Lage schie­nen, den französischen nuklearen "Konsens" zu erschüttern. Es gab dafür mehrere Gründe. Man weiß, daß die "Force de Frappe" ein Symbol der Unabhängigkeit schien, besonders seit De Gaulle 1966 Frankreich aus der integrierten Struktur der NATO zurückgezogen und die amerikanischen Basen ge­schlossen hatte. Dies gab der Doktrin der Abschreckung eine politische Glaubwürdigkeit, die ziemlich unterschiedlich ist gegenüber jener, die die britischen Atomwaffen oder die ame­rikanischen Raketen in der BRD rechtfertigt.

Der Anschluß der antinuklearen politi­schen Kräfte - der kommunistischen Partei im Jahre 1977 und der Soziali­stischen Partei 1978 - an diese Abschreckungsdoktrin festigt diesen "Konsens". Schließlich wird die gaulli­stische nukleare Position der Unab­hängigkeit durch die Annäherung der Stars der Intelligenz und der Medien, wie André Glucksman, Yves Montand oder Marguerite Duras, an die Rea­gan'sche Ideologie des sowjetischen "Reich des Bösen" im Namen des "An­titotalitarismus" zu einer faktischen atlantischen Nuklearposition geändert. All dies hat die Friedensbewegungen in die Falle gelockt. Die stärksten, jene, in denen die PCF einen großen Einfluß hatte, das MOUVEMENT DE LA PAIX und der APPEL DES CENTE haben bis 1986 nicht gewagt, die französischen Atomwaffen direkt anzugreifen. Und zur gleichen Zeit litten sie unter der Breschnew'schen Position der französischen kommuni­stischen Köpfe. Im Gegenteil dazu litt der kleine CODENE, der die französi­sche Bombe kritisierte und seine Un­gebundenheit betonte, indem er die unabhängigen Bewegungen im Osten unterstütze, unter seiner politischen Isolierung. Er war auf kleine alterna­tive, gewaltfreie, christliche und ökolo­gische Gruppen beschränkt. Nach der pazifistischen Woge von 1981-1985 ha­ben alle seine Bewegungen unter der Wirkung dieses Handicaps gelitten. Zum Beispiel hat nur der CODENE auf der Straße gegen das Attentat auf die "Rainbow warrior" protestiert - selbst ohne Unterstützung der Grünen oder extremen Linken!

Seit 1986/87 haben sich die Dinge außenpolitisch (INF-Vertrag, Pe­restroika) und innenpolitisch (Macht­wechsel zugunsten der Rechten 1986-88) geändert. Die kommunistische Partei hat ihre Parolen radikalisiert und das hat den APPEL DES CENTE, den MOUVEMENT DE LA PAIX und die neue kleine Bewegung ZERO beeinflußt, die angefangen ha­ben, die HADES-Rakete, Muruora (Testgebiet Frankreichs im Pazifik, d. Red.) etc. zu kritisieren. CODENE hingegen war ausgelaugt und nicht mehr in der Lage, eine Bewegung zu bleiben, wenngleich einige ihrer Mit­glieder wie der MAN (Mouvement pour une alternative non violente) oder der MDPL (Mouvement pour le Desarmement, le Paix et la Liberté) weiterhin ihre Ideen eingebracht und die alternative Stimmung und einen Teil der Grünen beeinflußt haben.

Die "Feindbilder" verlagern sich vom Osten zum Süden
Insgesamt haben, trotz einer Annähe­rung der Themen aller Bewegungen, die radikalen Kräfte, wie auch woan­ders in Europa, aber von einer niedri­geren Ausgangsbasis aus, abgenom­men.

Das Paradoxe ist, daß gerade zu die­sem Zeitpunkt die Basis des soge­nannten "Nuklearen Konsensus" an­gefangen hat sich aufzulösen. Seit 1985/86 hat die PCF ihre Unterstüt­zung der Nuklearpolitik in Frage ge­stellt, aber das gerade zu dem Zeit­punkt, als der Einfluß der Partei in der Gesellschaft zurückging. Die politische "Blockierung" hielt daher stand. Die Perestroika ist gekommen, die ideolo­gische Blockierung zu zerstören, und die INF-Verhandlungen und die KSZE-Verhandlungen zeigen, daß es Frankreich unmöglich ist, außerhalb der allgemeinen Tendenz zur Abrü­stung zu bleiben. Dennoch hat die Mehrheit der Politiker der Rechten und der Sozialisten ihr Thema des Kalten Krieges fortgesetzt - zum Beispiel, indem sie die Modernisierung der Kurzstreckenwaffen der NATO unterstützen. Mitterrand dagegen wußte das Thema der Abrüstung zu seinem Vorteil zu nutzen, indem er 1988 eine Konferenz über die Che­miewaffen organisierte und indem er eine zweideutige Haltung gegenüber der Modernisierung der NATO ein­nahm.

Diese Situation macht die Aufgabe der Bewegungen delikat. Einerseits müs­sen sie, trotz ihrer schwachen Kräfte und einiger Reflexe der internen Spaltung, die aus der vorhergegange­nen Situation stammen, versuchen, eine radikale Position gegen die fran­zösischen militaristischen Projekte zu bewahren (HADES, Neutronen­bombe, Gesetz der militärischen Pro­grammsteuerung, Muruora...). Ander­seits müssen sie eine pazifistische poli­tische Kultur schaffen, die bislang fehlt. In der kommunistischen Einfluß­sphäre existieren heute noch Einstel­lungen wie aus dem Jahr 1950; die Hälfte der grünen Wählerschaft (und ein guter Teil der Bewegung selber) ignorieren oder lehnen die pazifisti­schen Positionen und antinuklearen Theorien der Partei trotz der Aktivität ihrer Europa-Abgeordneten Solange Ferneix ab.

Dennoch ist eine solche "Friedenser­ziehung" möglich, denn die Radikalen haben auch ihre Trümpfe. Eine anti­kolonialistische und antirassistische politische Tradition ist immer noch in der Linken lebendig, was sehr wichtig ist, da die "Feindbilder" sich vom Osten nach dem Süden verlagern. Eine andere Tradition ist wertvoll, unter­stützt vor allem durch CODENE, ist: die der Dialektik von Frieden und Freiheit, der Reflexion über die zivile Gesellschaft, des Kampfes gegen den Militarismus und der Beziehungen mit dem Osten. Sie ist wertvoll im interna­tionalen Kontext und angesichts "na­poleonischer" Reflexe gewisser franzö­sischer Sozialisten. All dieses setzt sich nicht mächtig in eindrucksvolle De­monstrationen um, aber hat immer mehr Auswirkungen auf bestimmte Spektren der Linken und der Ökolo­gInnen. Und es gibt Grund für ein bißchen Optimismus.

Übersetzung: Christine Schweitzer

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B. Dreand ist Animateur der CODENE und Mitglied von CEDETIM. CO­DENE: Komitee für die atomare Abrü­stung in Europa; CEDETIM ist ein Zentrum der Imperialismusforschung, das 1966 gegründet wurde. Es hat eine wichtige Rolle in der alternativen Mobi­lisierung für die Zweihundertjahresfeier des 14. Juli gespielt (8./9. und 15./16. Juli 1989 in Paris)