Wie kann eine friedliche BRD aussehen?

von Mechtild Jansen

Die Bundesrepublik Deutschland kann ab sofort eine friedensstiftende Rolle spielen. Sie kann in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren einflußreicher Impulsgeber für atomare und konventionelle Abrüstung, Kooperation und demokratischen Wettstreit. in Europa werden und ihre Arroganz gegenüber der "unterentwickelten" Welt aufgeben. Sie kann vor diesem Hintergrund auf lange Sicht ein Land werden, in dem soziale und politische Interessengegensätze auf der Basis gesicherter Grund- und Menschenrechte 'nicht länger mit sozialer, politischer, militärischer oder polizeilicher Gewalt, sondern demokratischen Mitteln und Methoden ausgetragen, werden.
Eine solche Bundesrepublik braucht eine gesellschaftlich interessierte und engagierte Bevölkerung mit wacher sozialer und politischer Sensibilität, die sich verantwortlich fühlt, sich mit den eigenen Problemen in der Gesellschaft auseinanderzusetzen und die den Mut findet, sich in sozialen Initiativen und Bewegungen politisch gestaltend selbst zu betätigen. Sie braucht in allen gesellschaftlichen Bereichen Menschen, die in der Friedensbewegung durch eigenes Handeln-für Abrüstung, Völkerfreundschaft und Zusammenarbeit bei der Lösung globaler Probleme in die Politik ihres Landes produktiv eingreifen und den Boden bereiten, auf dem Aufrüstung und Abschreckung keine Chance mehr haben. Soziale Bewegungen, die soziales Lernen inneren und politischem Willen der Bevölkerung Ausdruck verleihen, provozieren ihrerseits andere Menschen, Parteien und Organisationen zur Auseinandersetzung und setzen damit friedensstiftend demokratische Bewegung in Gang. Eine solche Bundesrepublik hat eine Bundesregierung, die mit weitreichenden einseitigen Abrüstungsmaßnahmen, mit wirtschaftlicher und politischer Kooperation der Friedenssicherung eine eigene Dynamik verleiht und als führende Macht Westeuropas andere Regierungen zu ähnlichen Schritten motiviert oder herausfordert. Sie an-erkennt die bestehenden Grenzen in Europa, gibt gesamtdeutsche Ansprüche auf, respektiert die staatliche Souveränität der DDR, verzichtet auf Feindbilder, läßt sich auf einen Dialog und demokratische Regelung von Problemen ein. Sie unterbreitet oder greift Angebote zu bi- und multilateralen Verhandlungen und Gesprächen auf, bereichert sie durch eigene Vorschläge oder setzt sich für ein Zustandekommen ein. (So z.B. beim Vorschlag der WHO-Staaten zur Diskussion von Militärdoktrinen bzw. Schaffung "struktureller Unfähigkeit zum Angriff'; beim SPD/SED-Vorschlag zur atomwaffenfreien Zone oder dem Angebot der DDR zu einer "3. Null-Lösung", bei den Wiener Truppenreduzierungsverhandlungen, für das Zustandekommen eines Chemiewaffen-Abkommens oder eines START-Vertrages.) Sie wirkt für eine Lockerung der Blockkonfrontation; Bündniseingebundenheit und Unterordnung unter die jeweilige Führungsmacht und fördert Strukturen der Deeskalation und friedlichen, demokratischen Konfliktregelung unter Einbeziehung aller Beteiligten einschließlich der sozialen Bewegungen, Initiativen oder Organisationen der Bevölkerung. Zuallererst ist diese Bundesregierung bereit zu einer dritten Null-Lösung, zum Abbau see- und luftgestützter Atomwaffen, zum Verzicht auf Nuklearwaffen, zu konventioneller (asymmetrischer) Reduzierung und zu einer westeuropäischen Integration, die nicht einen "2. NATO-Pfeiler", sondern gleichberechtigte, an den Interessen der Menschen orientierte Zusammenarbeit aufbaut.

Eine solche Bundesrepublik legt großen Wert auf eine breite gesellschaftliche Verankerung von Demokratie, Selbstbestimmung, Plebisziten, auf Einbeziehung sozialer Bewegungen und aller gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen. Es wäre eine Bundesrepublik, in der Parteien und Parlament keine Monopolansprüche auf Politik stellen und in der der Einfluß wirtschaftsbeherrschender Unternehmen bzw. ihrer Verbände offengelegt und abgebaut wird. Sie übt sich in einer Willensbildung, die nicht länger hierarchisch und autoritär bleibt und sich stattdessen von unten nach oben organisiert. Das wichtigste Element einer friedensstiftenden Bundesrepublik ist neben der Entmilitarisierung und Kooperation das der Demokratisierung. Die Betroffenen von gesellschaftlichen Entscheidungen reden mit, entscheiden mit, regeln ihre Angelegenheiten dezentral, selbstverantwortlich und selbstverwaltet vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse und Mittelverteilung.

Eine solche Bundesrepublik schafft Voraussetzungen, ihre Friedens- und Sicherheitspolitik nach außen in ein Verhältnis zum friedlichen, gleichberechtigten Zusammenleben ihrer Bürgerinnen im Innern zu setzen. Feindbilder, Militarisierung der Gesellschaft, Leben auf Kosten der Natur, Wohlstand zu Lasten der Armut der Völker der "Dritten Welt", Erwerbslosigkeit, Sexismus, Diskriminierung von Ausländern, Alten oder Minderheiten, Abbau demokratischer Rechte und Berufsverbote, Ausgrenzungen und Spaltungen je nach Zugang zu den gesellschaftlichen Reichtümern machen uns unfähig zu einer Politik der Abrüstung und Kooperation. Nur in dem Maße, wie wir in der Bundesrepublik ökologische, soziale, patriarchalische, rassistische und politische Gewalt abbauen, können wir uns öffnen für eine Welt, die ihre Lebensgrundlagen gemeinsam sichert und ihre auf lange Sicht bleibenden Interessensunterschiede und -gegensätze demokratisch löst.

Eine solche Bundesrepublik setzt Potenzen frei, die Sicherung des Friedens als eine globale Aufgabe zu verstehen, die umfassende Sicherheit für alle Menschen schafft und die tieferen Ursachen von Gewalt in einem langen Prozeß eingrenzt und abbaut. Es kommen jene Bedingungen ins Auge politischen Handelns, die uns einer Utopie eines positiven Friedens, die weit mehr ist als ein "Nicht-Krieg", näherbringen können. Die Utopie eines gerechten, gleichen und unteilbaren Friedens schließt gleiches Menschenrecht für alle, Schutz der Natur und Aufbau alternativer Energien, das Recht auf Erwerbsarbeit und Kultur, Beseitigung von Hunger und Krankheit, das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aller Völker ohne Ausbeutung durch die reichen Nationen, Gleichheit der Geschlechter und Rassen ein. Dieses Ziel als Maßstab einer Politik, die die Bundesrepublik als einen kleinen Teil einer insgesamt voneinander abhängigen, immer enger miteinander verflochtenen Welt ver. steht, ist nur langfristig, etappenweise und gewiß nicht widerspruchsfrei, als Modell allemal nicht "rein" zu verwirklichen. Es verleiht uns nichtsdestotrotz die Fähigkeit, eine positive Alternative zur Abschreckung zu entwickeln,  in einen Prozeß des Lernens zur Frage, "Welchen Frieden wollen wir?" zu treten und neue Gestaltungsmacht der Friedensbewegung zu gewinnen - das Schwungrad einer Politik der Friedenssicherung in einer neuen Etappe in Bewegung zu setzen.

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Mechtild Jansen ist freie Autorin und lebt in Köln