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Zapfenstreich – wie lange noch?
vonDer elfte Präsident der Bundesrepublik Deutschland gilt seit seiner Nominierung vielen Menschen als „Präsident der Herzen“. Ein (frommer) Wunsch wäre, Joachim Gauck lehnte – wie nur Gustav Heinemann es bisher fertigbrachte – zu seiner Verabschiedung den Großen Zapfenstreich ab.
Heinemann, dritter Präsident in der Geschichte der Bundesrepublik, war erklärter Pazifist und trat wegen der Wiederbewaffnung Deutschlands 1950 aus der CDU aus und in die SPD ein. Anlässlich seines Abschieds 1974 lud er zu einer Dampferfahrt auf dem Rhein ein. Beim Großen Zapfenstreich für Christian Wulff wurde protestiert. Man verstärkte das Pauken- und Trompetenkonzert mit Vuvuzelas und zeigte nach nordafrikanischem Brauch alte Schuhe. Ein Wutbürger äußerte vor der Kamera: „Der Altbundespräsident hat diese Ehre nicht verdient!“ Der Demonstrant hätte auch sagen können: Recht so, dass er das auch noch über sich ergehen lassen muss! – Aber Wulff hatte sich sogar ein Musikstück mehr gewünscht, als fürs Ritual üblich: die Ode an die Freude. Und der Protest richtete sich eben nur gegen Wulff und nicht etwa gegen den Großen Zapfenstreich als solchen.
Der wird von der Bundeswehrführung als das „herausragende militärische Zeremoniell deutscher Armeen“ bezeichnet – man beachte den Plural! – und geht auf einen mittelalterlichen Brauch zurück: Vor der Nachtruhe der Landsknechte und Söldner macht der Offizier in Begleitung von Trommlern und Pfeifern einen Schenkenrundgang und führt mit dem Säbel oder einem Stock den Streich auf die Zapfen der Fässer aus – sinnfälliges Zeichen, dass kein Bier mehr ausgeschenkt werden darf.
Die heutige Form des Rituals stammt von einer Order des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. 1813, der zufolge vor der Nachtruhe der Fahnenappell abzuhalten, ein Gebet zu sprechen und ein Abendlied zu singen ist. Die Uraufführung des militär-musikalischen Großen Zapfenstreichs soll im Mai 1838 in Berlin stattgefunden haben – zu Ehren des russischen Zaren Nikolaus I. Dann gab es ihn bei Staatsbesuchen, zu Kaisers Geburtstag; die Wehrmacht beanspruchte ihn, die Waffen-SS; 1957 übernahm ihn die Bundeswehr und 1961 die Nationale Volksarmee, allerdings ohne kirchliche Lieder und Gebete.
Heute wird er zu Jubiläumsfeiern der Bundesrepublik, der Nato, der Bundeswehr und zum Abschied hoher Militärs oder Repräsentanten des öffentlichen Lebens aus ihren Ämtern aufgeführt.
Gegner des Zapfenstreiche sagen, diese Inszenierung bedeute eine Verklärung des Soldatseins, ein Einverständnis mit der Fortführung der militärischen Tradition, eine Akzeptanz des Militärs überhaupt.
Joachim Gauck wirkt entscheidend mit, die Erinnerung an die DDR wachzuhalten, wo das Militärische, weit stärker als jemals in der BRD, die Gesellschaft durchdrang: mit hohen Strafen für Kriegsdienstverweigerer, mit Meldungen, Fahnenappellen und militärischer Ausbildung schon in der Schule.
Nicht nur die friedliche Revolution 1989 hat gezeigt, dass Konflikte gewaltfrei lösbar sind. Trotzdem feiert das Militärische anerkannte, oder einfach gewohnte, fröhliche Urstände: wenn nicht mit Auftritten Bewaffneter als materialisierte Androhung von Gewalt, so doch wenigstens in der (offiziellen) Sprache (der Medien), wo es nur so wimmelt von martialischen Ausdrücken wie „Grabenkampf“, „Geheimwaffe“, „Blindgänger“, „Feldzug“, „Kreuzfeuer“, „Befreiungsschlag“ und dergleichen.
Die Musik des Großen Zapfenstreichs ist ein extra Thema. Bei der vorletzten Aufführung für Karl-Theodor zu Guttenberg erklang zusätzlich Smoke On The Water von Deep Purple. Wie mögen es die Mitglieder dieser damals anarchistischen Hardrock-Band aufgenommen haben, dass ihr Gitarrengewitter mit Tschingtarassa-Sound gecovert wurde!
Zum festen Repertoire gehört die Nationalhymne (deren erste Strophe ja längst nicht mehr gesungen wird) und das Lied „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesu offenbart…“ Wie dazu das Präsentieren der Gewehre passt, aus deren Läufen bekanntlich keine Liebesperlen kommen, sei dahingestellt. Unwillkürlich erinnert man sich an Otto Pankoks Holzschnitt von 1950 „Christus zerbricht das Gewehr“. Natürlich ist Musizieren besser als Schießen, aber wozu sind die Soldaten dazu uniformiert? „Helm ab zum Gebet!“ wird tatsächlich befohlen.
Als die Streitkräfte auf Wulffs Wunsch die Melodie des Chorals mit dem Refrain „Da berühren sich Himmel und Erde…“ erklingen ließen, sollte damit wohl kaum die akzeptierte Unvereinbarkeit mit christlichem Gedankengut ausgedrückt werden. Weiter heißt es im Text: „Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu…“ – Das könnte ein Impuls sein. Tun Sie das, Herr Bundespräsident, verlassen sie diesen Weg. Herr Pfarrer Gauck, schneiden Sie den uralten Zopf ab! Es wird niemand mehr bestraft, der sich dem Zapfenstreich widersetzt.