Buchbesprechung

Ziviler Widerstand und Konflikttransformation

von Christine Schweitzer

Gelegentlich entstehen in der Friedensforschung Bücher, die eigentlich nur für ein Fachpublikum bestimmt sind und schon aufgrund ihres stolzen Preises die/den durchschnittliche/n LeserIn abschrecken, die es aber eigentlich verdienen, auch in der Friedensbewegung Beachtung zu finden. Eine Buchbesprechung ist ein Weg, wichtige Inhalte der hier angesprochenen Kategorie von Büchern einem breiteren Publikum bekanntzumachen. Konkret geht es um ein jüngst erschienenes, von Véronique Dudouet herausgegebenes Buch, das sich mit bewaffnetem und unbewaffnetem Widerstand befasst. Genauer: mit den Fällen, in denen bewaffnete Bewegungen zu unbewaffnetem Kampf übergangen sind.

Bekannt sind all jene Fälle, in denen gewaltfreier Widerstand sich zu gewaltsamem wandelte. U.a. geschah dies im Kosovo 1997, als eine Kosovo-Befreiungsarmee innerhalb relativ kurzer Zeit von einem Jahr den gewaltlosen Widerstand verdrängte, und in Syrien 2011/12 mit dem Aufkommen der Freien Syrischen Armee.

Viel weniger bekannt ist das umgekehrte Phänomen, wie gewaltsame Bewegungen zu gewaltlosen wurden. Eine neue, im Herbst 2014 erschienene Studie von Véronique Dudouet von der Berliner Berghof Foundation beschäftigt sich auf vergleichender Basis mit dieser Frage. Anhand von acht Fallstudien, vom ANC in Südafrika bis zu den Maoisten in Nepal, arbeitet sie Faktoren heraus, die eine Rolle dabei spielen, dass Bewegungen ihren Aufstand mit gewaltlosen Mitteln weiterführen. Dabei bestehen oftmals bewaffneter und unbewaffneter Kampf bzw. bewaffnete Gruppierungen und eine breitere Bewegung nebeneinander fort. Auch die Grenzen zwischen beiden Formen des Widerstandes sind fließend, wie in mehreren Fallstudien deutlich wurde. In Palästina z.B. wurde „Volkswiderstand“ als Widerstand, an dem breite Bevölkerungskreise teilnehmen konnten, von spezialisierten bewaffneten Widerstandsformen unterschieden, aber dieser „Volkswiderstand“ beinhaltet Dinge wie Steine werfen, Wirtschaftssabotage und verbale Angriffe auf israelische SoldatInnen. In Chiapas und Nepal behielten die Aufständischen ihre Waffen, hörten aber weitgehend auf, sie einzusetzen. In Südafrika verfolgte der ANC eine pluralistische Strategie von parallelen bewaffneten, unbewaffneten und konventionell politischen Strategien.

Ein anderer Typ des Überganges war ein zweischrittiger Prozess: Eine klare Anordnung von Seiten der Führerschaft, zu demobilisieren, gefolgt von konventioneller politischer Aktion. (Damit ist die Beteiligung an Wahlen und dergleichen gemeint.) Als diese erfolglos blieb, wurden von einigen früheren Mitgliedern der bewaffneten Bewegung gewaltlose Mittel des Protestes eingesetzt. Ein Beispiel hierfür ist die MAQL in Kolumbien, deren Guerillakampf von 1977 bis 1990 dauerte.

Ein dritter Typ des Übergangs ist eine progressive Eskalation von zivilem Widerstand bei gleichzeitigem Rückgang des bewaffneten Kampfes im Rahmen einer breiteren Befreiungsbewegung (z.B. die Polisario in der Westsahara und die PLO). Faktoren, die zu diesen Veränderungen führen, sind vor allem Strategieveränderungen in der Führerschaft ideologischer, strategischer (z.B. Erkenntnis von militärischer Unterlegenheit oder positive politische Signale des Gegners) und taktischer Art, Generationenwechsel in der Führerschaft, Kriegsmüdigkeit bei der Anhängerschaft, die ihre Führer drängen, eine neue Strategie einzuschlagen, Entstehen breiterer gesellschaftlicher Allianzen und vielleicht auch Konkurrenz zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen und das Streben, sich von ihnen abzusetzen. Bei der Entscheidung gegen die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes spielen auch Dinge eine Rolle wie: Druck durch Alliierte und das Bilden gesellschaftlicher Koalitionen, der Grad an Repression oder positive Signale des Gegners, geostrategische Faktoren (internationale Unterstützung; z.B. führte der Zusammenbruch der Sowjetunion dazu, dass vielen bewaffneten Bewegungen der wichtigste Unterstützer verloren ging); positive Beispiele durch zivile Aufstände in anderen Ländern, Erfahrungsaustausch und Trainings in gewaltlosen Widerstandsformen.

Die Studie reiht sich ein in die vielen in den letzten Jahren zum Thema ziviler Widerstand veröffentlichten neuen vergleichenden Untersuchungen, die durchweg ausschließlich in englischer Sprache erschienen sind. Es steht zu hoffen, dass sie die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient.

 

Dudouet, Véronique (2014) Civil Resistance and Conflict Transformation. Transitions from Armed to Nonviolent Struggle. London/New York: Routledge, ISBN 978-1-138-01942-3, Preis: 105,46 €

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.