Redebeitrag für die Hiroshima Gedenkveranstaltung an der Friedensglocke im Volkspark Friedrichshain am 6. August 2019 in Berlin

 

- Es gilt das gesprochene -

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Ich darf Sie im Namen des Bezirksamtes recht herzlich zu dieser Gedenkveranstaltung anlässlich der Atombombenabwürfe 1945 auf Hiroshima und Nagasaki begrüßen. Wir haben uns an diesem Ort versammelt, um heute am 06. August gemeinsam zu erinnern, zu gedenken und zu mahnen. Und man kann es nur jedes Jahr wiederholen; dass es wichtiger denn je erscheint, dies immer wieder zu tun.

Sollte jemand, der einen flüchtigen Blick in die Hölle getan, von der Hölle erzählen und gar davon reden, den Höllenfürsten noch einmal zu rufen, dann werd ich, die ich Hiroshima überlebte, in den Zeugenstand treten, wo immer es sei, meine Stimme kraftvoll erheben und sagen: „Hört auf mit den Kriegen!“

Das Gedicht von Sadako Kurihara trägt den Titel „Ich bezeuge Hiroshima“. Die Zahl derer, die uns als Überlebende, als Zeitzeugen mit solch eindringlichen Worten mahnen können, verringert sich. Umso wichtiger ist es, dass weltweit am 6. August an die Hölle von Hiroshima und Nagasaki erinnert wird. Immer wieder und jedes Jahr aufs Neue!

Das Erinnern an die Atombombenabwürfe der USA auf die beiden japanischen Städte im August 1945 ist keine ritualisierte Routine, die sich aufgrund des Datums alljährlich wiederholt. Es ist die jederzeit gegenwärtige Verantwortung der Menschheit für ein von Menschen an ihr verübtes Verbrechen.

dessen Folgen:

rund 300.000 Todesopfer und totale Zerstörung bei Überlebenden:

verbrannte Haut, verstrahlte Körper, erkrankte Organe, traumatisierte Seelen bei nachkommenden Generationen:

Spätfolgen- gesundheitliche Dauerschäden

In diesem Jahr ist unser Gedenken ein Besonderes – vor 30 Jahren anlässlich des 50. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1989 wurde die Weltfriedensglocke als ein Geschenk der Weltfriedensglockengesellschaft World Peace Bell Association feierlich eingeweiht. Auf der Glocke steht die Inschrift Frieden auf Deutsch und Japanisch. Die Glocke stammt aus einer Zeit, in der zwei Jahre zuvor im Jahr 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion eine Abrüstungsvereinbarung geschlossen wurde, die „die Gefahr eines für die ganze Menschheit verheerenden Atomkrieges“ bannen sollte, wie es in der Präambel des INF Vertrags heißt. Seit vergangener Woche ist dieser INF-Vertrag außer Kraft – die Gefahr erneuter atomarer Aufrüstung und eines die Menschheit bedrohenden Atomkriegs wächst wieder, Atomwaffen stehen wieder unkontrollierter in unserer Welt. Statt mit der Stationierung amerikanischer Raketen in Asien zu drohen, sollte der russische Vorschlag eines Moratoriums für die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa geprüft und unterstützt werden.

Unser Gedenken der Opfer von Hiroshima und Nagasaki an der Weltfriedensglocke, angesichts des unglaublichen Ausmaßes dieser menschlichen Katastrophe von vor 74 Jahren ist nicht allein eine jährlich wiederkehrende kurzzeitige Andacht, sondern Mahnung und Unterstützung für die Sicherung des Weltfriedens.

Die Arbeit der verschiedenen bestehenden Friedensinitiativen zeigt, dass Gedenken auch aktiv und durch Handeln erfolgen kann. Jederzeit. So ging der Aachener Friedenspreis 2019 an die Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt" und den "Initiativkreis gegen Atomwaffen".

In mehreren europäischen Ländern, wie Italien, Belgien, Niederlande und Deutschland sind weiterhin taktische amerikanische Atomwaffen deponiert, also in Ländern, die offiziell als Nicht-Atomwaffenstaaten gelten und dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind.

Im Mai dieses Jahres hat das Berliner Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages über das Verbot von Atomwaffen einzusetzen. Eine weltweite Atomwaffenkonvention- einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag gibt es bisher nicht.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist Mitglied der internationalen Initiative „Mayors For Peace“. Bereits in den frühen 80er Jahren haben die Bürgermeister der Städte Hiroshima und Nagasaki zur internationalen Solidarität gegen Atomwaffen aufgerufen. Seit 2003 setzen sie sich gemeinsam mit ihren Mitstreitern aus aller Welt für den Stufenplan "Vision 2020" ein, der die Abschaffung aller Atomwaffen bis zum Jahr 2020, dem 75. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, vorsieht. Sie werden dabei von Friedensgruppen auf der ganzen Welt sowohl auf lokaler als auch internationaler Ebene unterstützt. Nun haben wir 2019 und verschiedene kontraindikative Entwicklungen in der Welt zeigen, dass dies tatsächlich eine Vision ist. Doch solche Visionen sind notwendig.

Wir brauchen sie und sollten uns nicht entmutigen lassen, sie weiter zu verfolgen.

Deshalb ist auch das Mahnen kein einmaliger Appell am 06. August eines jeden Jahres. Der Forderung nach nuklearer Abrüstung kann nicht oft genug Nachdruck verliehen werden.

Hierin sind wir uns mit Sicherheit alle einig: die Hölle, von der Sadako Kurihara, die Bezeugerin Hiroshimas, in ihrem Gedicht spricht, darf es nie wieder geben. Es gilt, aus der Geschichte und aus dem Inferno von Hiroshima und Nagasaki zu lernen.

Erinnern, Gedenken und Mahnen. Geht es um Hiroshima und Nagasaki, sind Erinnern, Gedenken und Mahnen gleichzeitig.

Das eine kann ohne das andere nicht bleiben. Das Erinnern bewirkt das Gedenken; das Gedenken verlangt das Mahnen. Und alles erfordert ein Handeln. Für den Frieden. Aus Verantwortung der Menschheit für sich selbst.

Lassen Sie uns gemeinsam an dieser Glocke erinnern, gedenken und mahnen. Lassen Sie uns den Wunsch und die Forderung nach Frieden zum Ausdruck bringen und zugleich auf die heute existierenden Gefahren aufmerksam machen. Und lassen Sie uns diesen Wunsch und diese Forderung von der heutigen Veranstaltung in unsere Wirkungssphären, in unseren Alltag mitnehmen und dort nach unseren Kräften und Möglichkeiten an ihnen arbeiten.

 

Knut Mildner-Spindler ist stellv. Bezirksbürgermeisters und Bezirksstadtrats von Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin.