Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 9. August 2022 in Mosbach

 

- Sperrfrist: 9.8., Redebeginn: 17.30 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für eine atomwaffenfreie Welt,

ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung, heute hier in Mosbach sprechen zu dürfen.

Heute vor 77 Jahren, am 9. August 1945, wurde Nagasaki als zweite japanische Stadt innerhalb drei von drei Tagen, von einem Atombombombenabwurf heimgesucht. „Fat man…“. Möge die Geschichte sich nie mehr wiederholen und Nagasaki die letzte Stadt gewesen sein, die dieses Schicksal erleiden musste.

Auch dafür engagieren sich in diesen Tagen viele auch junge Menschen bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in New York, die coronabedingt über 2 Jahre später wie geplant stattfindet. Mich prägen noch immer die Eindrücke der ersten Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag (nachfolgend AVV) vom 21.-23. Juni, zu der neben 65 Staaten, mehreren Beobachterstaaten, WissenschaftlerInnen und RepräsentantInnen großer Organisationen wie des Internationalen Roten Kreuzes auch mehrere Hundert ICAN Delegierte aus der ganzen Welt angereist waren. Darunter allein gut 50 VertreterInnen aus Deutschland.

Am 7. Juli 2017 war ich eingeladen, eine Rede zum Mayors for Peace Flaggentag in Braunschweig zu halten. Ich begann meine Rede mit den Worten:

„Wahrscheinlich wird dieser Tag in wenigen Jahren Eingang in die Geschichtsbücher weltweit gefunden haben. Denn genau um 16 Uhr 53 deutscher Zeit wurde der Vertrag zur Ächtung aller Atomwaffen an der UNO in New York verabschiedet.

Ein großer Tag für die Menschheit, ein großer Erfolg für die Zivilgesellschaft und über 130 Staaten, die mit Nachdruck seit vielen Jahren daran arbeiten….

Wenn wir in ein paar Jahrzehnten zurückblicken werden, könnte dieser Tag zu einer Zäsur der Ordnung nach dem 2. Weltkrieg geführt haben.“

Sind wir bereits mitten in einer Entwicklung, die wir in ein paar Jahrzehnten als Zäsur nach dem zweiten Weltkrieg sowie nach Ende des Kalten Krieges erlebt haben werden? Welche Bedeutung könnte dem Begriff der Zeitenwende, wie in Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar im Bundestag geprägt hat, nicht nur aus zivilgesellschaftlicher Sicht wirklich zukommen?

Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar wirkt bis heute für viele Menschen wie ein Schock. Wie selten (oder nie?) zuvor scheint es eine große Einheit in der Politik, den Medien und großen Teilen der Bevölkerung zu geben, reflexartig die Unterstützung der notleidenden ukrainischen Bevölkerung mit Verachtung gegenüber „den Russen“, immer mehr Waffenlieferungen und Aufrüstung der NATO Ostflanke zu begegnen.

Wie können in dieser Situation wieder Gespräche aufgebaut, gehalten und verstärkt werden, die einen Waffenstillstand vorbereiten und eine zivile und nachhaltige Lösung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft ermöglichen? Welches Eskalationspotential droht oder könnte drohen?

Anders als in so vielen anderen Kriegen steht im Zentrum dieses von Russland angezettelten Angriffskriegs und der langen Vorgeschichte die atomare Abschreckung, die uns scheinbare Sicherheit garantiert, die Erpressbarkeit, die daraus entsteht und die reelle Gefahr eines Atomkriegs. Ob geplant oder aus Versehen. Für Staatengemeinschaften und die Weltbevölkerung. Auch führende Militärs weisen immer wieder darauf hin. Und sie wissen, von was sie reden.

Aufrüstungsprogramme, ob atomar oder konventionell sind der völlig falsche Ansatz, um nachhaltigen Frieden zu erreichen, nicht nur und doch auch gerade in der Ukraine, mit der langen Vorgeschichte und so unterschiedlichen Interessen. Sie übergehen einzig die Menschen, die sich nichts sehnlicher als Frieden wünschen.

Erst Mitte Juni hat das Friedensforschungsinstitut SIPRI davor gewarnt, dass erstmals seit Jahren eine Erhöhung der weltweiten Atomsprengköpfe zu erwarten ist. Aktuell liegt die Zahl bei 12.700. Denn alle Staaten würden ihre Arsenale modernisieren. Das Risiko eines Atomkriegs sei „höher als zu jedem Zeitpunkt seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges“, warnte deren Direktor.

Wir weisen seit langem auf die Veröffentlichungen der WissenschaftlerInnen um das Bulletin of the atomic scientists hin. Sie warnen schon seit mehreren Jahren vor der immer grösser werdenden Gefahr und haben die Zeiger der sogenannten doomsday clock auf 100 Sekunden vor Zwölf gestellt, zuletzt bestätigt Ende Januar 2022.

Verantwortlich u.a. der Klimawandel, atomare Aufrüstung, das Erodieren des Multilateralismus, die Kündigung zahlreicher Verträge und die fehlende Bereitschaft zum Dialog. Zum Ausgleich von Interessen, zur Kooperation, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Ich vermute, der Zeiger wäre im Laufe der letzten vier Monate oft noch viel viel näher an die 12 herangerückt worden.

Auch deshalb war die kürzlich stattgefundene Staatenkonferenz zum UN-Verbotsvertrag von Atomwaffen ein historisches Momentum.

Blicken wir auf den Ausgangspunkt und die Entwicklungen hin zu diesem historischen Ereignis:

Das Desaster des 2. Weltkriegs, den Beginn der Atomwaffenforschung in Deutschland, das geheime Manhattan Projekt in den USA, den ersten Atomtest in der Wüste New Mexicos am 16. Juli 1945. Den von US Präsident Truman in Potsdam erteilten Befehl zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima.

Die infernalischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 mit Hunderttausenden Toten und Auswirkungen auf die Nachkommen bis heute am schrecklichen Ende des furchtbaren 2. Weltkriegs.

Sie markierten den Auftakt des kalten Krieges und eines ungeheuren Rüstungswettlaufs zwischen Ost und West, zwischen der Sowjetunion und den USA, zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt. In welchem ein unvorstellbares atomares Vernichtungspotenzial aufgebaut wurde und die Welt manches Mal an den Rand des Abgrunds brachte. So z. B. in der Kubakrise oder 1983, als der mutige russische General Petrov nur wenige Minuten Zeit hatte, zu entscheiden ob er den roten Knopf drücken sollte.

Bis heute zementieren die fünf offiziellen Atommächte USA, Russland, VR China, Großbritannien und Frankreich die Weltordnung durch ihren ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der UNO. In ihrem Gefolge die späteren Atomwaffenstaaten Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea sowie alle Staaten, die unter dem nuklearen Schutzschirm der NATO stehen.

Das atomare Wettrüsten kostete unzähligen Menschen in den Versuchsgebieten u.a. auf den Marshallinseln, in Polynesien, in Nevada, Kasachstan, Algerien direkt das Leben. Die bei 2000 Atomtests freigesetzte Radioaktivität verstrahlte weite Landstriche und verursachte zahllose Krebstote. Gleichzeitig bedeutet der Abbau von Uran für die Atomwaffenarsenale eine ökologische Katastrophe mit fatalen Folgen für die betroffenen Menschen – bis heute.

Es gibt keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viel Billionen Euro dafür ausgegeben wurde und damit einer sinnvollen und friedlichen Entwicklung der Menschheit entzogen wurde. Nach amerikanischen Schätzungen sind ein Drittel aller Rüstungsausgaben auf die Atomrüstung entfallen.

Sehr früh wurde erkannt, welch Wahnsinn die Forschung, Entwicklung, Produktion und Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen haben. Proteste vielfältiger Art führten zu wichtigen Verträgen und Abrüstungsmaßnahmen. Auch wenn diese den Irrsinn der Hochrüstung und der Drohung mit der atomaren Vernichtung noch nicht stoppen konnten.

Viele von Euch werden bereits in den 80er Jahren engagiert gewesen sein. Gegen die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen sowie alle anderen Atomwaffen in Ost und West, die es damals noch viel zahlreicher als heute gab und die diesen wunderbaren Planeten zig Male hätten zerstören können.

Euer Engagement hat dafür gesorgt, dass der INF-Vertrag 1987 von den damaligen Staatspräsidenten Gorbatschow und Reagan unterzeichnet wurde. Und damit das Ende des Kalten Krieges und den Fall der Mauer einleitete.

Mit der Überwindung der Ost-West-Konfrontation schien es für eine kurze Zeit möglich, weitere weitreichende Abrüstungsschritte in Gang zu setzen. Atomwaffenarsenale wurden massiv abgebaut. Die Annäherung zwischen dem Westen und der damaligen Sowjetunion schien stabilisierend zu wirken.

Der Internationale Gerichtshof erklärte 1996 den Einsatz und die Androhung eines Einsatz von Atomwaffen als völkerrechtswidrig.

Wer hätte damals gedacht, dass nach einer im Nachhinein eher kurzen Phase der Entspannung in den 90er Jahren neue Bedrohungen am Horizont auftauchen, ein atomares Wettrüsten eingeschlossen, bestärkt durch die Zeitenwende nach 9/11?

Wer hätte damals gedacht, dass der historische INF-Vertrag einmal keine Bedeutung mehr haben könnte?

Die schleichende verhängnisvolle Entwicklung im Blick wurde 2006 die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) gegründet mit dem Ziel eines Atomwaffenverbotes.

2010 kommentierte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz:

„Atomwaffen sind einzigartig in ihrer Zerstörungskraft, im entsetzlichen menschlichen Leid, das sie verursachen, in der Unmöglichkeit, ihre Auswirkungen in Raum und Zeit zu steuern, und in der Gefahr, die sie für die Umwelt, zukünftige Generationen und selbst für das Überleben der Menschheit darstellen.“

Das Rote Kreuz war neben ICAN, den internationalen Ärzten zur Verhütung eines Atomkriegs sowie Staaten wie Norwegen, Mexiko und Österreich federführend dafür verantwortlich, dass sich ab 2013 drei Konferenzen diesem humanitären Gedanken widmeten.

Nach vielen weiteren Beratungen an der UNO beschlossen am 7. Juli 2017 122 Staaten den AVV.

Alle Atomwaffenstaaten fehlten bei den Verhandlungen, die von den Medien gerne als „Aufstand der nuklearen Habenichtse“ bezeichnet wurden, genauso wie alle NATO-Saaten, bis auf die Niederlande. Aber auch Japan nahm nicht teil.

Am 10. Dezember 2017 wurde der Friedensnobelpreis verliehen.

Für mich das prägendste politische Ereignis meines Lebens, als ich selbst mit bis zu 300 CampaignerInnen in Oslo war.

Eindrucksvoll erklärte Beatrice Fihn, ICAN Direktorin in ihrer Nobelpreisrede:

„Es ist ein Affront gegen die Demokratie, dass wir von diesen Waffen regiert werden. Aber es sind nur Waffen. Es sind nur Werkzeuge. Und so wie sie in einem geopolitischen Kontext entstanden sind, können sie genauso einfach wieder zerstört werden, indem sie in einen humanitären Kontext gestellt werden.“

Setsuko Thurlow, Überlebende in Hiroshima betonte dabei bewegt:

„Die Entwicklung von Kernwaffen bedeutet nicht den Aufstieg eines Landes zu Größe, sondern seinen Abstieg in die dunkelsten Tiefen der Verderbnis.“

Seit Freigabe des Vertrags haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 66 ratifiziert.

Seit 22. Januar 2021 ist der Vertrag in Kraft. Entwicklung, Herstellung, Lagerung, Weitergabe, Erwerb, Besitz, Testung und der Einsatz von Atomwaffen sind seitdem für die Vertragsstaaten verboten. Und er baut immer stärkeren Druck auf.

Der Vertrag ist ein menschengemachtes Wunder.

Trotz oder gerade wegen der verheerenden Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre ist alles was zu diesem Vertrag geführt hat und seitdem zusätzlich in Bewegung kam Motor für Antrieb, uns gegen die Zerstörung dieses wunderbaren Planeten zu stellen.

So wie die Friedensbewegung Ende der 50er Jahre (z.B. Ostermärsche), Ende der 70er Jahre (Nachrüstung) nicht aus dem Nichts kam, ist die Bewegung heute präsent wie lange nicht, wenn auch noch nicht in Massen. Dafür mit unglaublich hoher Qualität.

Und mit dem Friedensnobelpreis für ICAN und Hunderten Partnerorganisationen im Rücken. So viele tragen auch in Deutschland einen wichtigen Teil dazu bei.

Die Tausenden, die sich in fünfhundert Städten beim Flaggentag der Mayors for Peace engagierten. All jene, die u.a. am Atomwaffenlager Büchel demonstrieren. All die vielen, die zu den Hiroshima und Nagasaki-Gedenktagen mahnen und aufrütteln.

Der Atomwaffenverbotsvertrag weckt Zuversicht, Hoffnung, ein weltweites Gefühl der Gemeinschaft und des Selbstbewusstseins.

Der österreichische Diplomat Alexander Kmentt half 2017 federführend mit, den AVV Wirklichkeit werden zu lassen. Im Juni 2022 war er Leiter der ersten Staatenkonferenz.

Bemerkenswert sind seine Antworten, die er mir bereits vor der Konferenz für dieses Faltblatt der von mir koordinierten Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ gab:

„Der AVV ist eine historische Errungenschaft, die die völkerrechtliche Lücke des Verbots von Nuklearwaffen schließt. Der Vertrag schafft die rechtliche Voraussetzung für echte nukleare Abrüstung und bietet mit dem Fokus auf die humanitären Auswirkungen und Risiken von Nuklearwaffen die diskursiven Argumente für den dazu notwendigen Paradigmenwechsel. Dass dies dennoch politisch ein schwerer und langer Prozess ist, ist auch den Befürwortern des AVV klar.

Der Krieg in der Ukraine und die russischen Nukleardrohungen bestärken die Argumente für den AVV und das Verbot von Nuklearwaffen. Die Fragilität eines Sicherheitssystems, das auf der nuklearen Abschreckung basiert, wird dadurch deutlich unterstrichen. Jeder Einsatz von Nuklearwaffen hätte katastrophale Auswirkungen: von der grenzüberschreitenden Strahlung bis hin zu massiven Fluchtbewegungen, dem Einbruch der Wirtschaft und weiteren gravierenden humanitären Folgen. Ein Vertrauen auf die Stabilität der nuklearen Abschreckung ist angesichts der gravierenden Risiken ein Wunschdenken.

Die Konferenz ist ein wichtiger Meilenstein für die Umsetzung des Vertrages. Sie wird unterstreichen, dass der AVV ein ernsthafter Beitrag zum nuklearen Diskus ist und auf profunden Argumenten aufbaut, die den Sicherheitsbedürfnissen der Mehrheit der Staaten der Welt entsprechen. Nuklearwaffen sind eine existentielle Bedrohung für die gesamte Menschheit. Es ist notwendig, dazu einen viel inklusiveren Dialog zu führen. Dass sich Beobachterstaaten wie Deutschland an diesem Dialog konstruktiv beteiligen wollen, ist begrüßenswert.“

Wie Recht er doch behalten sollte!

Zum ICAN Nuclear Ban Forum am 18./19. Juni waren AktivistInnen und ExpertInnen aus der ganzen Welt vor Ort und bekamen auf vielen Bühnen ein Forum.

Am 20. Juni fand die Vienna Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons statt, organisiert vom österreichischen Außenministerium. Sie brachte Hunderte VertreterInnen von Staaten, internationalen Organisationen, WissenschaftlerInnen, Überlebende und der Zivilgesellschaft zusammen, um sich über die humanitären Folgen und Risiken von Atomwaffen auszutauschen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung weiter voranzutreiben.

Die schrecklichen Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und sozioökonomische Entwicklung wurden sichtbar. Es gab neue wissenschaftliche Erkenntnisse. So z.B. über genderspezifische Krebsraten.

Mit dem Beginn der eigentlichen Vertragsstaatenkonferenz zum AVV wurde die Aufregung größer. Ein historischer Moment.

Der designierte Präsident Alexander Kmentt erinnerte daran, dass das düstere und gefährliche Spektrum nuklearer Waffen den AVV so wichtig und wertvoll macht. Der Generalsekretär des internationalen Roten Kreuzes und die Direktorin von ICAN würdigten den großen Erfolg des Vertrags.

Im Anschluss bestärkte uns UN-Generalsekretär Antonio Guterrés in einer Videobotschaft mit den Worten:

“Let’s eliminate the weapons before they eliminate us”.

Alle RednerInnen wiesen auf die absolute Notwendigkeit hin, den negativen Trend der atomaren Aufrüstung umzukehren und u.a. mit diesem Vertrag für die vollständige Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen zu sorgen.

Im Mittelpunkt der Staatenkonferenz standen zwei zentrale Aspekte des Vertrages. Es sollten erste Vereinbarungen für die internationale Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Opfer von Atomwaffentests und -einsätzen sowie bei der Sanierung kontaminierter Regionen getroffen werden (Artikel 6 und 7). Und die Vertragsstaaten berieten, welche Regeln, Fristen und Vorgehensweisen für die künftige Aufnahme von Atomwaffen- oder Teilhabestaaten in den AVV gelten sollen (Artikel 4).

In den ersten beiden Tagen machten die treibenden Kräfte des Vertrags ihre Standpunkte klar und deutlich. Darunter ICAN, Überlebende von Nukleartests und von Kolonisation und Unterdrückung geprägte Staaten. Der politische Rahmen muss zur Bewältigung der Klimakrise und die Vertreibung von Gemeinschaften gesetzt werden, um die Wunden eines dunklen nuklearen Erbes zu heilen und endlich einen Weg einzuschlagen, der Leben bewahrt und nicht bedroht.

Das Jugend-Statement zielte darauf ab, die Anerkennung junger Menschen in der ganzen Welt als integrale Mitglieder der internationalen Gemeinschaft und die Beteiligung der Jugend an den Konsultations- und Umsetzungsprozessen einzufordern.

Ganz am Ende der SprecherInnenliste stehen Beobachterstaaten. Darunter auch Deutschland.

Die Vertreter des Außenministeriums sagten stolz, dass sie das Ziel, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen, vollkommen teilen, und die Beweggründe und das Engagement der AVV-Vertragsstaaten in dieser Hinsicht erkennen, wobei sie insbesondere die vorgetragene humanitäre Perspektive schätzen.

Allerdings hat die Bundesregierung derzeit keinerlei Absicht, den Vertrag zu unterzeichnen. Ihre Anwesenheit als Beobachtende liege im Interesse, die Komptabilität des AVV mit dem Nichtverbreitungsvertrag sicherzustellen.

ICAN bilanzierte nach der Konferenz:

„Als Reaktion auf die nukleare Bedrohung Russlands und die zunehmende Gefahr eines Atomkriegs haben die Vertragsstaaten des AVV „alle nuklearen Bedrohungen, ob explizit oder implizit und unabhängig von der Umstände unmissverständlich verurteilt.“

ICAN-Exekutivdirektorin Beatrice Fihn:

„Dies ist die schärfste Verurteilung nuklearer Bedrohungen durch eine multilaterale UN-Konferenz und zeigt ein beispielloses Engagement einer globalen Allianz von Staaten, Überlebenden von Atomexplosionen, internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft, einen Atomkrieg zu verhindern und Atomwaffen zu beseitigen.“

Der Nagasaki-Überlebende Masao Tomonaga sagte:

„Diese politische Erklärung ist ein sehr starkes Dokument, trotz vieler Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind. Mit diesem kraftvollen Dokument können wir vorankommen, und alle Hibakusha unterstützen dies. Es ist ein großartiges Dokument, um meine Stadt, Nagasaki, zur letzten Stadt zu machen, die jemals unter einem Atombombenangriff gelitten hat.“

Die Erklärung der Vertragsstaaten bekräftigt, dass der Vertrag angesichts der jüngsten Ereignisse mehr denn je benötigt wird, und beschloss,

„seine Umsetzung voranzutreiben, mit dem Ziel, Atomwaffen weiter zu stigmatisieren und zu delegitimieren und stetig eine robuste globale zwingende Norm gegen sie aufzubauen.“

Die Wiener Erklärung schafft ein neues globales Bündnis, um mit dem AVV gegen inakzeptable und illegale nukleare Bedrohungen und Risiken eines Atomkriegs vorzugehen. Der begleitende Wiener Aktionsplan skizziert konkrete Schritte, die dieses Bündnis unternehmen wird, um atomar bewaffnete Staaten daran zu hindern, Atomwaffen einzusetzen, und ihre Beseitigung voranzutreiben.

Diese neue globale Allianz umfasst Überlebende, Staaten, Wissenschaftler, Parlamentarier, Finanzinstitute und Jugendliche.

Die Vertragsstaaten trafen auch wichtige Entscheidungen zur Verurteilung der jüngsten nuklearen Bedrohungen, zur Aufnahme der Arbeit an einem Treuhandfonds zur Unterstützung von Menschen, die durch die Auswirkungen nuklearer Explosionen geschädigt wurden, zur Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats, zur Festlegung einer 10-Jahres-Frist für die Zerstörung von Atomwaffen und zur Beantragung weiterer Maßnahmen um es Ländern zu ermöglichen, dem AVV beizutreten.

Für die Weiterarbeit innerhalb der NATO ziehe ich folgende Schlüsse nach der Staatenkonferenz:

Während insbesondere Schweden und die Niederlande mit ihren Reden in Wien sehr enttäuschten, Norwegen sich eher bedeckt hielt, gab Deutschland als Beobachter eine Stimme ab, auf der wir als Zivilgesellschaft aufbauen können. Wann ein Beitritt möglich scheint liegt an uns.

Wir können auf unser Engagement der letzten Jahre aufbauen, das die Beobachtung und die Annäherung an diesen Vertrag erst möglich gemacht hat. Mit Belgien war noch ein weiterer NATO Staat der nuklearen Teilhabe dabei, allerdings nur als Zuhörer.

Eine Woche nach den erfolgreichen Wiener Tagen machte der NATO-Gipfel Ende in Madrid deutlich, was wir noch zu tun haben. Die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ kritisierte, dass das Bündnis in ihrem neuen „Strategischen Konzept 2022“ die nukleare Abschreckung und damit die Bereitschaft zur Drohung mit und zum Einsatz von Atomwaffen bekräftigt.

Gerade der Ukraine-Krieg zeigt, wie schnell die Welt an die Schwelle des Atomkrieges geraten kann. Daher benötigen wir dringend vertrauensbildende Maßnahmen.

Russland hat indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht und will nun in Belarus nuklear bestückbare Iskander-Raketen sowie nukleare Fliegerbomben stationieren und belarussische Kampfflugzeuge entsprechend ausstatten.

Dadurch wird die Rüstungsspirale angeheizt, und es besteht die reale Gefahr, dass die NATO nun auch in östlichen Staaten, wie Polen, Atomwaffen stationiert werden. In diesem Kontext macht es Hoffnung, dass die NATO-Russland-Grundakte vonseiten der NATO bislang nicht aufgekündigt wurde. Die Grundakte verbietet die Stationierung von Atomwaffen in den östlichen NATO-Staaten.

Nachdem mit einer Ausnahme sämtliche Abkommen zu Nuklearwaffen aufgekündigt wurden, ist ein Neustart nötig, gerade auch mit dem Nichtverbreitungsvertrag. Dafür treffen sich die Vertragsstaaten in diesen Tagen in New York und machen noch einmal deutlich, wie wichtig der humanitäre Aspekt der Atomwaffen ist und wie wichtig gerade jeder einzelne Schritt ist, die atomare Abrüstung wieder auf die Agenda zu setzen. Begleitet von einer unglaublich engagierten Zivilgesellschaft. Die deutschen Delegierten könnten sich sogar kurz mit Außenministerin Annalena Baerbock treffen. Die wiederum das Treffen über Instagram positiv würdigte. Es ist so wichtig im Gespräch zu bleiben, auch wenn die Meinungen an etlichen Stellen auseinandergehen.

Frieden kann nicht mit immer mehr Waffen gesichert werden. Mit dem 100-Milliarden-Aufrüstungspaket will die Bundesregierung auch neue Atombomber F-35 anschaffen.

Statt weiterer Aufrüstung ist es dringend erforderlich, darüber nachzudenken, wie nach dem Ukrainekrieg eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur in und außerhalb Europas - unter Einbeziehung Russlands, der VR China, allen anderen Atomwaffenstaaten in der Region sowie dem Iran – konstituiert werden kann. Wir benötigen dazu zunächst eine wahrhaftige Bereitschaft auf allen Seiten, einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erwirken.

Liebe MitstreiterInnen für eine atomwaffenfreie Welt.

Letztes Wochenende haben wir einen Aufruf veröffentlicht. Darin heißt es u.a.:

Wir freuen uns, dass sich neben vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Kirchen über 600 deutsche Europa-, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, fast 140 Städte sowie 4 Bundesländer für den Beitritt der Bundesregierung zum Verbotsvertrag aussprechen.

Wir bitten die Bundesregierung,

  • Atomwaffen aufgrund der katastrophalen humanitären Folgen ihres Einsatzes zu ächten
  • auf dem Weg zur Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags auf die atomare Bewaffnung neuer Kampfflugzeuge zu verzichten
  • kooperative Sicherheit durch eine Politik der Friedenslogik in den Blick zu nehmen und damit die nukleare Abschreckung überwinden zu helfen

Wir rufen für den 6. und 9. August deutschlandweit zu Gedenkaktionen auf, um an möglichst vielen Orten sichtbar an die Opfer zu erinnern und einen deutschen Beitritt zum UN-Atomwaffenverbot zu fordern!“

Die nächste Staatenkonferenz wird voraussichtlich vom 27. November bis 1. Dezember 2023 in New York stattfinden.

Bis dahin werden wir in Deutschland unser Bestmögliches tun, im Zuge immer stärkerer Vernetzung und gegenseitiger Stärkung die Haltung der Bundesregierung nachdrücklich zu verändern, um aus der atomaren Abschreckung perspektivisch auszusteigen. Dazu gehört auch, deutlich mehr Unterstützung aus Reihen von Abgeordneten und Städten zu bekommen.

Werfen wir schließlich einen Blick in die Zukunft. Träumen wir von dem was kommen könnte oder sollte.

Wir schreiben das Jahr 2045. Unendliche Freude. Die Atommächte verkünden bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag feierlich, ihre letzten jeweils 10 Atomsprengköpfe in ihrem Besitz im Laufe des Jahres zu verschrotten. Das Ende des Atomzeitalters ist endgültig eingeläutet. Mit dabei: ein paar Veteranen der internationalen Friedensbewegung, die bereits über 50 Jahre auf diesen Schritt hingearbeitet haben.

Damit ist das umgesetzt, was die UNO in ihrer allerersten Resolution Hundert Jahre zuvor eingefordert hat: die Abschaffung aller Atomwaffen. Seit dem Beschluss zum Verbot von Atomwaffen hatte es eine nicht aufzuhaltende Dynamik gegeben.

Es ist Zeit für eine zivile Zeitenwende. Die weltweiten ökologischen, politischen und sozialen Herausforderungen und Konflikte können mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig gelöst werden.

Richten wir den Fokus auf uns, unsere Kraft, unsere Ermutigungen, und unsere Leidenschaft, was wir mit aktiver Gewaltfreiheit alles erreichen können. Glauben wir an das scheinbare Unmögliche. So viel wurde mit dieser Begeisterung in der Geschichte möglich. Stehen wir als Mensch und Gemeinschaft zusammen, um das scheinbar Unmögliche vorzubereiten und zu leben: eine Welt ohne Atomwaffen, eine Welt ohne Rüstung und Krieg. Mit Frieden und Vertrauen in und zwischen uns sowie zu unserer Mitwelt.

Herzlichen Dank!

 

Roland Bach ist Korrdinator der Kamapgne atomwaffenfrei.jetzt.