Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2023 in Bremen

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Gedenken an Hiroshima - Wie Abrüstung möglich ist

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Der Hiroshima-Tag ist ein Tag des Gedenkens an die hunderttausenden von Toten in Hiroshima und Nagasaki. Für mich persönlich, der ich selbst in Hiroshima und auch an anderen Orten der Welt Opfer des Atomwaffenzeitalters getroffen habe, ist es immer ein bewegender Tag. Aber - und das wird vielleicht überraschen - es ist auch ein Tag der Ermutigung.

Ich möchte über diese Ermutigung hier sprechen. Ich möchte darüber sprechen, was in diesen schwierigen Monaten des Krieges in Europa, der von Russland gegen die Ukraine geführt wird, trotzdem möglich ist. Und da heute der Hiroshima-Tag ist, konzentriere ich mich auf Atomwaffen.

Viele werden in diesen Tagen den Film „Oppenheimer“ geschaut haben. Das Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe. Die Kinos sind voll. Ich habe viel an Joseph Rotblat gedacht, den polnischen Physiker mit britischem Pass, im Film leider unerwähnt. Ich durfte ihn selbst kennenlernen. Er hatte, als ihm schon 1944 klar wurde, dass Deutschland keine Atombomben haben würde, das US-Atomwaffen-Projekt verlassen, da es seine Begründung verloren hatte. Die Zweifel, die Oppenheimer plagten, hatte Rotblat in seinem Leben so umgesetzt: Er gründete die  Pugwash--Bewegung. Seine Lebensaufgabe wurde: Atomwaffen abschaffen.

Für den deutschen Philosophen Günter Anders war die Entwicklung der Atombombe der Beginn eines neuen Zeitalters. Er beschrieb es sinngemäß so: Es gibt seither eine Kluft zwischen dem, was wir als Menschen herstellen und dem, was wir uns vorstellen können. Soll heißen: Wir werden uns der Auswirkungen nicht mehr wirklich gewahr. Wir können die Folgen unseres Handelns emotional nicht mehr erfassen.

Es ist möglicherweise Bürde und Privileg zugleich von uns Ärztinnen und Ärzten in der IPPNW, dass wir eine „Ahnung“ davon haben, welches Leid ein Atomkrieg bedeuten würden. Wissen und Ahnung geben uns gemeinsam die moralische Autorität und Verpflichtung, aus humanitären Gründen Teil der weltweiten zivilgesellschaftlichen Fürsprecher*innen für die zwingende Notwendigkeit atomarer Abrüstung zu werden. Und zwar unabhängig von politischen Detailfragen, ganz einfach deshalb, weil die Folgen von Atomwaffeneinsätzen global, schwerwiegend, ganz einfach unfassbar schlimm wären. Deshalb müssen Atomwaffen abgeschafft werden.

Der große friedenspolitische Coup ist uns mit der ICAN-Kampagne geglückt. So viele Menschen aus allen Teilen der Welt, jung/alt, aus allen Kontinenten, darunter auch das Bremer Friedensforum, sind daran beteiligt. Das Ergebnis dieser „internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen“ ist der Atomwaffenverbotsvertrag von 2017, der erfolgreich auf UN-Ebene verhandelt wurde. Atomwaffen sind nun weltweit verboten. Dafür steht eine Mehrheit der Staatengemeinschaft.

Unser Land ist ebenso wie die anderen NATO-Staaten sowie die Atomwaffenstaaten bislang nicht Mitglied dieses Vertrages. Insofern bestimmt unsere Regierung für uns Bürgerinnen und Bürger, dass diese internationale Rechtsnorm in unserem Land keine Anwendung finden soll.

Das ist nicht richtig. Ich wiederhole: dass die Bundesregierung diesen bedeutenden UN-Abrüstungs-Vertrag nicht unterschreiben will, ist nicht richtig. 

Zugleich aber findet im Rahmen der weltweiten staatlichen Vertragspartnerinnen ein kontinuierlicher Prozess statt, durch den Fortschritte erzielt werden sollen. Die nächste UN-Überprüfungskonferenz zum Vertrag wird im November 2023 in New York stattfinden. Mehr als 120 Staaten unterstützen den Vertrag und einige Regierungen (ich lobe beispielhaft Österreich) arbeiten daran, dass es mehr Staaten werden. Eine neue internationale Abrüstungsnorm ist hier entstanden.

Aber auch auf nichtstaatlicher Ebene gibt es zivilgesellschaftliche Einbindung in diesen Vertragsprozess. Wir sitzen mit am Tisch! Mit dem mexikanischen Arzt Dr. Jans Fromow-Guerra entsendet beispielsweise die IPPNW einen Vertreter in ein offizielles Beratungsgremium, dass jüngst neu geschaffen wurde und sich den Fragen von humanitären Folgen der Atomwaffenabwürfe und der Atomtests widmet. Hier sollen unter anderem Konzepte entwickelt werden, wie nicht nur Gesundheitsdaten besser erhoben werden können, sondern auch Betroffenen geholfen werden kann.

Was können wir in Deutschland tun? Für uns in Deutschland heißt das: Die Bundesregierung oder der Bundestag könnten sich auch als Nicht-Vertragspartei Teilaspekten des Vertrages widmen. Zum Beispiel könnte auch die Bundesrepublik finanzielle und organisatorische Ressourcen zur Verfügung stellen, um humanitäre Fragen konkret anzugehen. Im Frühjahr 2023 hatte es bereits eine Anhörung im Bundestag gegeben. 

Politisch - und das sagen uns Diplomat*innen vertraulich - müssen wir die sicherheitspolitische Debatte vor allem auch zum Thema „atomare Abschreckung“ führen. Die NATO-Abschreckungs-Doktrin, die mit großer ideologischer Leidenschaft von deren Befürwortern verteidigt wird und

jetzt vor dem Hintergrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine ganz neuen Auftrieb zu nehmen droht, bedeutet eine Falle. Es ist ein Mythos, der entzaubert gehört.

Atomare Abschreckung heißt, militärisch im Zweifel alles auf eine Karte zu setzen, ohne die Gewissheit zu haben, dass diese Rechnung aufgeht. Atomare Abschreckung heißt, diese Waffen würden auch eingesetzt. Dass sich die Bundesregierung an diesem Wahnsinn durch die nukleare Teilhabe - die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland - beteiligt, ist kein „politischer Spagat“, wie Außenministerin Baerbock mir hier in Bremen auf einer Veranstaltung antwortete, sondern einfach nur verantwortungslos.

Die erwartbare politische Quittung: Auch Russland hat angekündigt, russische Atomwaffen außerhalb des eigenen Territoriums zu stationieren. Aber wo soll das nur enden? Nein, mit der nuklearen Teilhabe machen wir uns in Deutschland mit etwas gemein, mit dem man sich nicht gemein machen darf.

Die Zukunft atomarer Abrüstung zu gestalten ist neben dem Problem des Klimawandels die entscheidende Aufgabe für unser globales Überleben. Aber ist das heute in Zeiten des Krieges noch möglich?

In diesen Tagen findet in Wien eine UN-Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages statt. Dieser Vertrag ist sowohl von den USA als auch China und Rußland unterzeichnet worden - und bislang nicht gekündigt worden. Er verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, alle Atomwaffen nicht nur abzurüsten sondern vollständig abzuschaffen. Er ist der größte und wichtigste Rüstungskontrollvertrag weltweit.

Ich bin über lange Jahre für die IPPNW regelmäßig als Beobachter und Vertreter dabei gewesen. Erstaunlich war immer, dass die Atomwaffenstaaten, darunter die USA und Russland, oft gemeinsame Erklärungen abgegeben haben. Zuletzt noch im Januar 2022 mit der Aussage, Atomkriege seien nicht gewinnbar und dürften daher nicht geführt werden. Gemeinsames Handeln zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren ist also doch möglich.

Lassen wir uns also bitte nicht einreden, Gespräche oder Verhandlungen mit Russland seien nicht möglich. Denkbar wäre zu Beispiel zu erklären, dass die Atomwaffenstaaten USA, China und Russland erklären, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten und Atomwaffen aus der höchsten Alarmbereitschaft zu nehmen.

Um es mit den Worten von Henry Kissinger jüngst in der ZEIT zu sagen:

Alles Probleme, die lösbar sind.

Ich komme zum Schluss. Die Zeiten sind schrecklich, keine Frage. Und dennoch gibt es auch jetzt noch diplomatische Strukturen und politische Instrumente, um eine Rückkehr zu Rüstungskontrolle und Abrüstung zu  erreichen. Daran mitzuwirken, ist unser aller Verantwortung. Auf Aufrüstung zu setzen, ist nicht bezahlbar, moralisch nicht vertretbar, wir haben dafür nicht die Menschen und wir benötigen ohnehin das intellektuelle Potential von jedem und jeder einzelnen, um die globalen Zukunftsfragen wie den Klimawandel anzugehen.

Dass dies alles einfach wäre, behaupte ich nicht. Aber es zu versuchen,

ist ohne Alternative! 

Danke.

 

Dr. med. Lars Pohlmeier ist Co-Vorsitzender der IPPNW.