Redebeitrag für den Ostermarsch Frankfurt am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ganz vielen Dank für die Einladung, hier zu sprechen. Ich freue mich, dass so viele hier sind und die Friedensbewegung so lebendig ist! Denn wir wissen: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts! Demokratie, soziale und globale Gerechtigkeit, das geht nicht ohne Abrüstung, ohne Frieden. Umgekehrt gilt aber auch: Frieden ohne Gerechtigkeit und soziale Sicherheit, ohne Demokratie, ohne Menschenrechte, ohne den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist kein Frieden, sondern die Abwesenheit von Krieg.

Darum begreift sich Attac von jeher als Teil der Friedensbewegung. Und darum geht es im Aufruf zu den Ostermärschen nicht allein um Abrüstung und gegen Militarisierung. Es geht auch um Anti-Rassismus und soziale Sicherheit und einen sozial-ökologischen Wandel.

Denn ob Friedensbewegung, Anti-Atom-Bewegung, Frauenbewegung, globalisierungskritische Bewegung oder Bewegung für Klimagerechtigkeit: Emanzipatorische Auswege aus den Krisen unserer Zeit können wir nur gemeinsam finden und erstreiten!

Und wir wissen: Positive politische und gesellschaftliche Veränderung wird zunächst immer auf der Straße erkämpft – und dann von außen in die Institutionen, die Parlamente hineingetragen. Darum: Eine starke, moderne Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft – sie braucht uns!

Doch die Angriffe auf die Zivilgesellschaft nehmen zu. Weltweit. Es gibt nur noch sehr wenige Flecken auf der Weltkarte, wo die Rechte und Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft uneingeschränkt gelten. Die Spielräume für Zivilgesellschaft werden enger – shrinking spaces. In vielen Ländern müssen wir von closed spaces sprechen. Überall auf der Welt werden Menschen diffamiert, eingeschüchtert oder gar bedroht, wenn sie sich zu sehr einmischen, kritisieren, Forderungen stellen.

Je enger die Spielräume für die Zivilgesellschaft in anderen Teilen der Welt werden, umso wichtiger ist es, dass wir hier eine starke und lebendige Zivilgesellschaft haben! Dass wir uns für die Rechte und die Beteiligungsmöglichkeiten bedrohter Menschen einsetzen können, ihnen solidarisch zur Seite stehen können. Dass wir, um ein Beispiel zu nennen, wie heute gegen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien protestieren können, weil die Menschen, die im Jemen mit deutschen Waffen verletzt und getötet werden, ihre Stimme nicht erheben können.

Doch Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen – das gibt es auch in Deutschland:

Ihr habt es mitbekommen: Der Bundesfinanzhof – das oberste Finanzgericht Deutschlands – hat geurteilt, dass Attac zu politisch sei, um gemeinnützig zu sein. Der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer, für eine Vermögensabgabe, für gerechten Welthandel – das alles soll nicht gemeinnützig sein?

Nachdem Attac in der ersten Instanz haushoch gewonnen hatte, war es das Bundesfinanzministerium, das auf dem Revisionsverfahren bestand. Das muss man sich mal klar machen: Das Bundesfinanzministerium prozessiert gegen Attac, gegen eine Organisation, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzt. Das ist bittere Ironie.

Aber das Attac-Urteil trifft nicht nur Attac. Es ist ein Angriff gegen die ganze Zivilgesellschaft in Deutschland. Es wirkt wie ein Damoklesschwert. Regierung und Parteien versuchen, politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen. Attac nervt? Die Deutsche Umwelthilfe nervt? Warum nicht versuchen, ihnen finanziell das Wasser abzugraben? Und die anderen NGO’s sollen auch aufpassen, was sie fordern und an welchen Protesten sie sich beteiligen, sonst sind sie die nächsten.

Das Zentrum für politische Schönheit provoziert? Da ermitteln wir wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer? Fast schon ein Verbrechen, für das man sich rechtfertigen muss. Abschiebedaten von Geflüchteten veröffentlichen? Da landen Sie als Flüchtlingsrat oder auch Journalistin vielleicht bald schon vor Gericht.

Demokratische Proteste werden mit Panikmache, Repression und gezielter Eskalation von den Behörden behindert. Denken wir an die Blockupy-Proteste hier in Frankfurt, an das letztlich gescheiterte totale Versammlungsverbot 2012 und den berüchtigten Kessel von 2013. Denken wir an die Camp-Verbote und das brutale Vorgehen der Polizei im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg.

Dazu kommen die neuen Polizeigesetze in vielen Bundesländern. Sie bedeuten massive Grundrechtseinschränkungen – bis hin zum unbegrenzten polizeilichen Gewahrsam.

Natürlich kann man nicht alles miteinander gleichsetzen und vergleichen. Wer bei uns auf die Straße geht, riskiert nicht sein Leben.

Aber es gibt einen roten Faden. Einen roten Faden, der die zunehmende Einschränkung der Zivilgesellschaft weltweit verbindet: Engagierte Menschen werden als Störer gesehen. Umweltschützer*innen, Friedens- und Menschenrechtsaktivist*innen stören die Kreise und Pläne der Reichen und Mächtigen. Menschenrechte oder Naturschutz stehen im Weg, verhindern Investitionen. Aktivist*innen werden zum „Investitionsrisiko“, das ausgeschaltet werden muss.

Das ist die schlechte Nachricht.

Teil eins der guten Nachricht ist: Diese Angriffe gegen die Zivilgesellschaft zeigen, dass wir viel nerviger sind und viel mehr bewegen, als uns oft selbst bewusst ist. Es juckt die Mächtigen wirklich, wenn da Akteure sind, die immer wieder den Finger in die Wunde legen. Die sagen, was zu sagen ist.

Seit dem Urteil werde ich oft gefragt, wie Attac sich weiter wehren wird. Klar – wir werden vors Bundesverfassungsgericht gehen, wenn nötig. Die wichtigere, die politische Antwort lautet aber: Wir wehren uns, indem wir weiter machen!

Das ist Teil zwei der guten Nachricht: Es gibt ein vielfältiges demokratisches Aufbegehren. Weltweit. Und bei uns.

Es gab die Platzbesetzungen von Kairo über New York, Madrid, Athen, Frankfurt und Paris. Es gibt die Bewegung für globale Klimagerechtigkeit. Es gibt die globalisierungskritische Bewegung, die sich Freihandelsabkommen wie TTIP widersetzt und mit mehr als 70.000 Menschen in Hamburg gegen den G20-Gipfel protestiert hat. Es gibt die Bewegung zur Unterstützung von Geflüchteten. Es gibt die Frauenmärsche und die Me-too-Bewegung. Und es gibt die Care-Bewegung für die Aufwertung von Sorgearbeit.

Es gab riesige Demos gegen die Polizeigesetze in Bayern, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Unter dem Motto "Wir sind mehr" haben zigtausende in Chemnitz gezeigt, dass wir dem nationalistischen Mob nicht die Straße überlassen. Mit der "Seebrücke" haben Tausende für Seenotrettung, sichere Fluchtwege und eine humanitäre Aufnahme von Flüchtenden demonstriert. Eine Viertelmillion Menschen ist unter dem Motto „Unteilbar“ in Berlin für eine solidarische, freie und offene Gesellschaft auf die Straße gegangen. Hunderte Klimaschützer*innen haben in Baumhäusern den Hambacher Forst verteidigt. Friedensaktivist*innen sind quer durch Deutschland für Abrüstung gelaufen. Jahr für Jahr gehen wie heute Tausende bei den Ostermärschen gegen Krieg und Rüstungswahn auf die Straße. Die Initiativen zur Enteignung großer Wohnkonzerne bringen mit der sozialen Frage auch die Eigentumsfrage aufs Tapet. Und mit den seit Monaten anhaltenden Fridays-for-Future-Protesten rütteln Kinder und Jugendliche uns alle wach und machen klar, dass sich Klimaschutz und eine sozial-ökologische Wende unserer Wirtschaft nicht mehr aufschieben lassen.

All diese Bewegungen greifen ineinander. Gemeinsam verteidigen wir die demokratischen, sozialen und menschenrechtlichen Standards unserer Gesellschaft. Gemeinsam kämpfen wir dafür sie auszuweiten. Weil wir die Politik nicht den Politikerinnen und Politikern überlassen können.

Für Frieden, für Demokratie, für soziale und globale Gerechtigkeit! Für ein gutes Leben für alle Menschen!

Vielen Dank!

 

Frauke Distelrath ist Pressesprecherin von attac Deutschland.