Redebeitrag für den Ostermarsch Marburg am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 11 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sicherheit neu denken - von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik

 

Liebe Friedensfreunde,

Europa steht aktuell vor einer erneuten Aufrüstungsspirale. Die NATO-Mitgliedsstaaten erhöhen ihre Militärbudgets deutlich, obwohl die NATO bereits jetzt ungefähr das 15-fache für Militär ausgibt wie Russland. In Deutschland ist angesichts dieser Entwicklung ein deutliches Bauchgrimmen spürbar. Doch die seit Jahren anhaltende Unterstützung dieser Entwicklung durch Politik und Medien lässt sie scheinbar alternativlos erscheinen.

Die Synode der Evangelischen Landeskirche in Baden hat 2013 beschlossen, „gleich dem nationalen Ausstiegsgesetz aus der nuklearen Energiegewinnung ein Szenario zum mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung zu entwerfen."

Daraufhin hat seit 2015 eine Arbeitsgruppe ein entsprechendes Szenario erarbeitet, das im April 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Dieses Szenario zeigt auf, wie die deutsche Sicherheitspolitik bis zum Jahr 2040 auf eine rein zivile Sicherheitspolitik umgestellt werden könnte.

Dabei stützt sich das Szenario auf bereits erprobte und umgesetzte Instrumente ziviler Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung, wie sie im entsprechenden Aktionsplan der Bundesregierung im Jahr 2004 vereinbart und seitdem entwickelt und ausgebaut worden sind.

Frieden schaffen. Abrüsten statt aufrüsten. Für eine neue Entspannungspolitik.

Das Szenario zeigt, wie das bis zum Jahr 2040 konkret aussehen kann. Ein kompletter Umstieg von der militärischen zu ziviler Sicherheitspolitik ist möglich.

Lasst uns eine Zukunft zu denken, in der wir pro Jahr 70 Mrd. Euro in die zivile Krisenprävention anstatt in die Bundeswehr investieren. Lasst uns investieren in erprobte und realisieñe Instrumente wie Zivile Krisenprävention, Gerechtes Wirtschaften, die Förderung nachhaltiger Entwicklung im Nahen Osten und in Afrika sowie eine Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft mit Russland bzw. der Eurasischen Wirtschaftsunion.

Lasst uns in den nächsten Jahren so viel Überzeugungsarbeit leisten, dass der Deutsche Bundestage 2025 und 2035 Beschlüsse fasst für eine nachhaltige zivile Sicherheitspolitik.

Diese könnte ab dem Jahr 2025 auf folgenden Säulen basieren:

1. Gestaltung ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechter Außenbeziehungen

2. Förderung wirtschaftlicher Perspektiven und staatlicher Sicherheit östlich und südlich der EU

3. Teilhabe an der Internationalen Sicherheitsarchitektur: Deutschland als Mitglied der EU, der OSZE, der NATO und der UNO

4. Resiliente Demokratie

5. Konversion der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie

So könnte die OSZE zur polizeilichen Sicherheitsorganisation für Europa ausgebaut und die Bundeswehr komplett zum Technischen Hilfswerk transformiert werden.

Flächendeckend würden wir in unseren Schulen die Instrumente gewaltfreier Konfliktbearbeitung erlernen - dazu gehört auch die Planung zivilen Widerstands gegen Gefährdungen unserer Demokratie von innen wie von außen.

Teil des Szenarios ist die Gründung einer gemeinsamen Kampagne nach dem Vorbild der weltweiten Kampagne für den Erlass von Auslandsschulden der Länder des Südens, in der von 1996 bis 2000 in Deutschland über 2.000 zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen gemeinsam Gesellschaft mitgestaltet haben. Am 12. Dezember 2018 haben auf Einladung der badischen Landeskirche 30 bundesweite Organisationen die Chancen zur Vorbereitung einer Kampagne zur Umsetzung des Szenarios ausgelotet.

Ende Juni wird nun ein Team aus Vertreter*innen von 12 Organisationen mit der Planung einer solchen Kampagne beginnen, die von 2021 bis 2025 auf einen entsprechenden Bundestagsbeschluss hinwirken soll. Dieses und nächstes Jahr wollen wir das Szenario zunächst innerhalb der Friedensbewegung und Kirchen bekannt machen, danach in der der breiten Öffentlichkeit.

Mit dabei sind neben der DFG-VK und pax christi, dem BSV, church and peace auch die Badische Evangelische Landeskirche, das Friedenspfarramt der Württembergischen Evangelischen Landeskirche und die AG Frieden der Evangelischen Landeskirche im Rheinland. Die badische Landeskirche finanziert zunächst für fünf Jahre eine entsprechende Projektstelle.

Vorgestellt haben wir das Szenario bisher schon bei über 50 Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet - bei den großen deutschen Friedensnetzwerken und auch bei verschiedenen MdBs des Veıteidigungsausschusses) sowie bei der Jahrestagung der Vereinigung deutscher Wissenschaftler vor Vertretern von Sicherheitsforschungsinstituten und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Lasst uns als Friedensbewegung nicht mehr nur reagieren auf das, was passiert, sondern in der politischen Debatte unseres Landes unsere eigene Vorstellung eines friedlichen Deutschlands und Europas auf die Tagesordnung setzen.

Wir wollen eine Sicherheitspolitik ohne Militär - dafür braucht es ein neues Denken einer nachhaltigen zivilen Sicherheitspolitik.

Vor vierzig Jahren wurde der Ausstieg aus der Atomkraft gedacht. Seit zwanzig Jahren wurden dazu konsequent Alternativen in Form von Wind- und Solaranlagen entwickelt. Auf dieser Grundlage ist inzwischen sowohl der Atom- wie auch der Kohleausstieg beschlossen.

Und seit zwanzig Jahren entwickeln wir in Deutschland und darüber hinaus bereits erfolgreiche Alternativen ziviler Sicherheitspolitik in Form ziviler Friedensdienste. Auch viele andere Instrumente zivilen Widerstands und gewaltfreier Konfliktlösung sind lange bekannt. ln unseren Schulen lernen unsere Kinder inzwischen flächendeckend das Streitschlichten, die Gewaltfreie Kommunikation boomt sogar in Unternehmen. Es ist Zeit, die für uns innergesellschaftlich bereits erprobten und zivilen Konflikt-Regelungsmechanismen auf die Außen- und Sicherheitspolitik zu übertragen.

Mit dem Szenario wollen wir dem Diskurs über Sicherheit und Frieden eine neue Richtung geben. Damit dieses Szenario einer breiteren kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht und in die kirchliche und gesellschaftliche Debatte eingebracht werden kann, braucht es Eure Unterstützung. Gern stellen wir das Szenario bei Tagungen und Veranstaltungen vor. Weitere Infos incl. Dateidownload unter: http://www.ekiba.de/friedensszenario

Vielen Dank!

 

Ralf Becker ist Projektkoordinator „Sicherheit neu denken“ der Evangelischen Landeskirche in Baden.