Redebeitrag für den Ostermarsch Erlangen am 20. April 2019

 

- Sperrfrist: 20. April 2019, Redebeginn: 13 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Die Lüge vom Frieden und die Vision einer Zukunft

 

Liebe Befreundete einer friedlichen Welt,

lasst uns gleich mit einem Mythos aufräumen, der nur Illusionen nährt:

Europa ist kein Hort des Friedens und war auch kein Friedensprojekt, sondern ein Wirtschaftsprojekt.

Damit es ein Friedensprojekt wird, dafür werden wir uns anstrengen müssen!

Denn derzeit ist Europa dabei, um die Rolle des politischen Unterbaus der NATO mit den USA zu konkurrieren.

Der Mythos vom Friedensprojekt Europa und von einer langen angeblich kriegsfreien Periode, entlarvt sich als Wunschvorstellung bei genauerem Hinsehen: Aus Ramstein werden die Befehle für die Drohnentoten im Nahen und Mittleren Osten geschickt, die Destabilisierung der Ukraine und der Krieg in Libyen sind nur einige Beispiele wenig friedliebenden Handelns.

Und wie befinden uns inzwischen im Jahr 20 der neuen Weltkriegsordnung.

1999 hat uns die Kriegsbeteiligung bei der Zerbombung Jugoslawiens nicht nur die Unschuld der Nazikinder und Nazienkel genommen, sondern uns auch eine neue NATO-Doktrin beschwert.

Nach deren Vorgaben haben wir nun drei gute Gründe für den Krieg, die da lauten:

  • humanitäre Krise
  • Massenmigration
  • Ressourcensicherung

Bisher werden diese Kriegsziele noch in der Ferne umgesetzt und oft nur in Form von Ausbildung und Know-How-Transfer – offiziell, denn die Waffensysteme liefert Deutschland auch.

Deshalb muss auch der Begriff der Kriegsbeteiligung und der Kriegs­vorbereitung weiter gefasst werden: Waffenlieferungen gehören da dazu.

Die ARTE-Doku „Jemen – Europas tödliche Exporte“ zeigt die Heuchelei, wie EU-Staaten mit Tricks und auf Umwegen Kriegswaffen in Krisengebiete liefern.

Aber, machen wir uns ehrlich:

Was ist das für eine Politik und Gesetzgebung, die so tut, als gäbe es moralisch vertretbare Waffenlieferungen?

Und was ist das für ein Journalismus, der immer wieder groteske Interviewsituationen schafft, in denen Politiker zur vermeintlichen Solidarität innerhalb Europas gedrängt werden? Solidarität im Sinne von gemeinsamer Aufrüstung und Waffenlieferungen.

Schlimm genug, wenn dabei glasklar ist, dass diese Waffen in Syrien, Jemen und anderswo Zivilisten töten.

Aber mal wirklich ehrlich:

Wer glaubt an die Legitimität von Bewaffnung rein zu Verteidigungszwecken? Welche Verteidigungszwecke soll es geben, wenn die Welt gerecht ist und die Menschen vernunftbegabt begreifen, dass sie das Reden, Klären und die Nachkriegsverhandlungen auch vor dem Krieg führen können?

Was, wenn das gezielte Schüren von Konflikten geächtet und geahndet würde und die wirklichen Gründe und Zusammenhänge für Ungerechtigkeit, Ausbeutung, seltende Erden und Hass aufgedeckt würden?

Was, wenn wir mehr Bewusstsein dafür hätten, dass mehr Geld von den Ländern des Südens auf die Nordhalbkugel fließt als umgekehrt – und dass die Menschen als Symptom folgen? John Perkins „Bekenntnisse eine Economic Hitman“ sind immer noch aktuell.

Diese Fakten zu nennen wäre die genuine Aufgabe von Medien als Vierter Gewalt.

Formate der Aufklärung sind inzwischen weniger Reportagen, wie die genannte ARTE-Sendung, als vielmehr Kunst und Satire. Letztere erfüllt die alte Rolle der Hofnarren sozusagen, die noch aussprechen durften, was andere nur hinter vorgehaltener Hand tuschelten. Man musste es ja nicht so ernst nehmen.

Aber, das Resultat ist vernehmbar und wichtig:

Die Zusammenhänge werden klarer, sie lassen sich nicht mehr ausblenden.

Die Anstalt des ZDF hilft Nachrichtenfetzen einzuordnen in einen größeren Zusammenhang und korrigiert dabei so manche Fehlinformation bzw. ergänzt das weggelassene Wichtige, das erst ermöglicht Zusammenhänge zu verstehen.

Der Kinofilm „Eldorado“ des schweizer Filmemachers Markus Imhoof hilft die Zerstörung afrikanischer Märkte mit den Verzweifelten auf dem Mittelmeer und den Mittelmeertoten im Zusammenhang zu sehen. Dazu soll auch heute hier die großartige Kapitänin Pia Klemp sprechen, denn sie steht stellvertretend für die Menschen, die die Menschenrechte wirklich ernst nehmen.

Wie Esther Benbassa aus Paris anlässlich der Reaktionen auf den Brand von Notre Dame twitterte, wird Mitgefühl und Empathie nur sehr selektiv vergeben. Die Heuchelei prangern auch andere in den sogenannten Sozialen Medien an, wenn beispielsweise die große Sorge um Notre Dame mit der täglich ignorierten und rasant fortschreitenden Abholzung der Lebensressource Regenwald verglichen wird.

Da scheint mir die Schülerbewegung FridaysForFuture schon weiter zu sein, die ich gestern bei ihrem Protest in Berlin hörte.

Es wurden Zusammenhänge aufgezeigt, die vonseiten der Jugendlichen erkannt wurden: nämlich dass wir keine nachhaltige Weltwirtschaft haben, dass diese die Welt zerstören wird und ungerecht den Wohlstand der einen mit Ausbeute und Armut der anderen erzwingt, dass Lösungen nur gerecht im Sinne aller Menschen gefunden werden können.

Die Kinder haben erkannt: Es geht ums Ganze!

So, wie bisher kann es nicht weitergehen – das war allen klar – sie hätten die Umstellung auf eine gerechte und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung nur gerne wesentlich schneller als die etablierten Profiteure des jetzigen Systems.

Der Zusammenhang zwischen Ressourcenverschwendung, Klimaveränderung, Kriegswirtschaft, Verlust der Lebensgrundlagen, Vertreibung und Flucht sind dieser Generation bereits bewusst.

So, wie bisher wird es auf keinen Fall weitergehen: Die Reserven sind bald aufgebraucht.

In der Debatte um die Klimakatastrophe kritisiert Naomi Klein den Kapitalismus. Fabian Scheidler sagt das „Ende der Megamaschine“ voraus. Jean Ziegler spricht von einer „kannibalischen Weltordnung“ in seinem neuen Buch „Was ist so schlimm am Kapitalismus“. Piketty, Eribon, Stiglitz, Zisek u.v.m. machen deutlich, das System frisst seine Kinder.

Aber was kommt dann?

Sind wir in der Lage ein anderes System zu entwerfen? Eines, das nicht auf Wachstumszwang, Profitmaximierung, Ausbeute und Zusammenbruch basiert? Eines, das nicht dem vielleicht letzten Zusammenbruch entgegensteuert?

Wir wissen doch alle:

  • Aufrüstungsziele sind immer Hungerziele
  • Aufrüstungsziele fressen Ressourcen für Menschenbildung
  • Aufrüstungsziele bieten keinen Schutz, sie laden den Krieg nach Hause ein

Aber ist uns folgendes bewusst?

  • die sogenannte „Wohlstandswahrung“ ist eine Kriegserklärung an die Abgehängten
  • der „Wirtschaftskolonialismus“, wie ihn Markus Imhoof nennt, befördert die Kriegsgründe der NATO-Doktrin
  • eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ist möglich, ansonsten sollten wir das Wort „Aufklärung“ und „Werte“ nicht mehr im Munde führen

Richtige Analysen gibt es genug und sie sind wichtig. Aber es fehlt an einer positiven Vision, an einem Konzept für eine Friedenswirtschaft! Diese müssen und diese können wir entwickeln.

Eine andere Welt ist möglich und nötig – und darum sagen wir:

  • Nein zum Mitrüsten aus (falscher) Solidarität!

Weder die EU noch andere Wirtschaftsvereinbarungen dürfen dazu missbraucht werden, bei Auf- und Ausrüstung und Waffenlieferungen mitzutun.

  • Nein zu Lebensmittelembargos, die Hunger und Verlust bedeuten!

Die selektive Anwendung von Sanktionen ist geostrategisch durchschaubar und hungert gezielt bestimmte Länder aus und verrät dadurch seine eigentlichen Interessen selbst.

Hingegen sagen wir:

  • Ja zu Waffenembargos!

Keine Waffen oder Lizenzen mehr an Saudi-Arabien, Libyen, Mexiko und und und…! Die vielen Toten gehen auf unser Wohlstandskonto.

Und wir fordern eine Überwindung der Kriegswirtschaft – also fairen Handel und die Schaffung von Grundlagen für schließlich nur noch freiwillige Migration statt erzwungener.

Und wir fordern die Konversion der Waffenindustrie und Arbeitsplätze für sinnvolle und nachhaltige technologische Entwicklungen für die Zukunft aller Menschen.

Ja, wir fordern nichts weniger als eine Zukunft für unsere Kinder und Kindesinder und die aller anderen Menschen auch!

Die Natur braucht und nicht, wir brauchen sie.

Darum sagen wir:

  • Ja, zu Investitionen in Bildung und Umweltschutz – weltweit.
  • Ja, zu Investitionen in soziale Gerechtigkeit – weltweit.

Also:

  • Ja, zu Investitionen ins Leben – statt in den Tod!

Die Leitfrage für die Umorganisation unseres tödlichen Wirtschaftsmodells sollte sein:

Was aber braucht der Mensch zum Leben?

Vielen Dank! Bleiben wir dran und tun wir uns zusammen mit denen, die sich als Weltenbürger empfinden und entsprechend versuchen im Sinne allen Lebens zu handeln!

 

Prof. Dr. Sabine Schiffer ist Medienwissenschaftlerin.