ungehaltener Redebeitrag für den Ostermarsch Emden am 3. April 2021

 

(Der Ostermarsch Emden wird auf dem 4.9.2021 verlegt)

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ich möchte Sie sehr herzlich begrüßen und überbringe Ihnen hiermit auch die Grüße des Bremer Friedensforums. Es ist wunderbar zu sehen, wie viele Menschen heute am ostfriesischen Ostermarsch teilnehmen.

Dass ich heute im Emder Stadtgarten einen Redebeitrag halten darf, habe ich mir vor 41 Jahren nicht vorstellen können. Ich erwähne diesen Zeitabschnitt, weil ich im März 1980 mein Studium zur Sozialpädagogin an der damals noch jungen Fachhochschule Ostfriesland abgeschlossen habe.

Die Veranstalter des diesjährigen Ostermarsches haben mit "Frieden braucht Bewegung" ein zeitgemäßes und wichtiges Motto gewählt. Doch vorab etwas Persönliches.

Ich bin auf einem Bauernhof in Niedersachsen aufgewachsen. Meine Eltern waren eher politisch konservativ, aber sie hatten die entscheidenden Lehren aus dem Krieg gezogen. Beide hatten in ihren Familien tote und verwundete Angehörige zu beklagen. 

Sätze wie "Der Tod meines Bruders hat uns viele Tränen gekostet" und "Leidtragende sind immer die kleinen Leute", haben alle meine Eindrücke insofern geprägt, dass Krieg nie etwas Abstraktes ist.

Und Krieg ist auch heute nicht abstrakt. Viele Flüchtlinge in unserem Land können davon berichten.

Aufgrund der allgemeinen Erfahrungen von Leid und Zerstörung, wurde 1945 die UNO gegründet. Seitdem gilt ein weltweites Kriegsverbot. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Das Recht auf Selbstverteidigung und es darf nur Krieg geführt werden, wenn ein ausführliches Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorliegt. Alle anderen Kriege sind völkerrechtswidrig! 

Doch wie sieht es mit dem Gewaltverbot der letzten Jahre aus und wo stehen wir heute?

Über die letzten Jahrzehnte hinweg sind viele illegale Kriege geführt worden. Ohne sie alle benennen zu wollen, sei an dieser Stelle an die Millionen Toten aus den Kriegen in Vietnam, Serbien, Irak, Libyen, Afghanistan, Syrien und Jemen erinnert. 

Und wenn wir uns die entsprechenden Kriegsparteien anschauen, dann sind westliche Staaten mit der NATO, als dem mächtigsten und aggressivsten Militärbündnis der Welt daran beteiligt, wenn nicht gar Urheber der Konflikte.  

Gegründet wurde die NATO 1949 mit zunächst 12 Mitgliedern. Als die Berliner Mauer fiel und sich die Sowjetunion auflöste, gab es eine mündliche und im Protokoll festgehaltene Zusicherung an die Regierung Gorbatschow, keine NATO-Osterweiterung vorzunehmen. Das Ergebnis kennen wir alle. Nach diesem Wortbruch besteht die NATO heute aus 29 Staaten und reicht bis an die Grenze zum heutigen Russland. 

Der Gegenpart zum westlichen Militärbündnis, der Warschauer Pakt wurde dagegen längst aufgelöst. 

Die USA sind zur Zeit das mächtigste Land der Erde und dominieren innerhalb der westlichen Allianz. Der Anspruch, einzige Weltmacht zu sein, hängt mit der größten wirtschaftlichen und militärischen Macht zusammen. Zudem verfügen die USA mit dem Dollar über die Weltleitwährung. Viele US-Politiker sind von der Einzigartigkeit, von ihrer Sonderstellung in der Welt überzeugt und wichtige tonangebende Kreise Amerikas leitet ein hegemoniales Weltbild. Es ist daher nicht überraschend, dass hauptsächlich US-Firmen von der Waffenproduktion und von Militärdienstleistungen profitieren. Allein Lockheed Martin erzielte 2019 einen Gewinn von 8,5 Mrd. Dollar. Diese Konzerne können ihre Interessen in die Politik einbringen.

Wenn mächtige westliche Staaten es vorerst nicht erreichen, Länder wie China oder den Iran in ihren Einflussbereich zu integrieren, werden sie zunächst eingedämmt. 

Dazu nutzt man wirtschaftliche Maßnahmen, bis hin zu Sanktionen, die ebenfalls dem Völkerrecht widersprechen. Mit Sanktionen belegt sind u.a. Russland, Kuba, Venezuela, Syrien, der Iran und der Jemen. Diese Länder werden von lebenswichtigen Importen und globalen Bankgeschäften ausgeschlossen. Derartige Methoden bewirken nicht nur Rückständigkeit in der ökonomischen Entwicklung, sie fordern vor allem direkte menschliche Opfer durch Hunger oder völlig unzureichende medizinische Versorgung.

Wie kann es nun sein, dass über Kriege und andere Formen der Gewalt so wenig öffentlich diskutiert wird?

Ein Grund liegt sicher in der Geschichtsvergessenheit vieler Menschen in Deutschland, die sich nicht mit den Ursachen und ihren Auswirkungen der beiden Weltkriege befassen.

Eine wichtige Rolle spielen auch mächtige Medien, die eigentlich als vierte Gewalt, sachlich und kritisch berichten sollten. Das ist allerdings nur bedingt der Fall. Der renommierte Medienwissenschaftler und Journalist Uwe Krüger, er forscht zur Unabhängigkeit der Medien, kommt zu dem Ergebnis, dass die Einbindung von Journalisten in hochrangige Netzwerke eine unkritische Berichterstattung erzeugt. 

Eine Analyse der Leitartikel und Kommentare von den vier außenpolitisch tonangebenden Journalisten der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der WELT und der ZEIT zeigte eine Übereinstimmung mit den NATO- und US- nahen Netzwerken und Argumentationen. Sie argumentieren u.a. für ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands.  

Die direkte Kriegsberichterstattung unterlag schon immer und überall einer militärgestützten Ausrichtung, doch spätestens seit dem Vietnamkrieg führten die USA strikte Regeln dafür ein. Der „Eingebettete Journalismus“ bildet heute die Grundlage für eine Kooperation zwischen Militär und Journalisten und erlaubt nur eine kontrollierte Berichterstattung.

Wenn es um Krieg und Frieden geht, führen die Befürworter von Kriegseinsätzen immer gesellschaftlich positiv besetzte Werte an. Es geht um Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Verantwortung, als hätte der Westen die Aufgabe, in aller Welt für Ordnung und Fortschritt zu sorgen, ungeachtet geschichtlicher und kultureller Unterschiede und Traditionen. 

In der Anmaßung letztlich über Leben und Tod von Menschen und über die Souveränität eines fremden Staates zu entscheiden, werden die wesentlichen Gründe für Kriege --- nämlich ökonomische, politische, geostrategische und handelspolitische --- Gründe verschleiert und verschwiegen. Dazu zwei ausgewählte Zitate:

Egon Bahr: 

"In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.“

Horst Köhler:

"Meine Einschätzung ist aber, dass wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung … auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege …"

Es ist vor allem der Westen, der sich weiterhin auf einem Konfrontationskurs befindet.

Die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton bekräftigte den Hegemonialanspruch insbesondere gegenüber China, als sie vom 21. Jahrhundert als "Amerikas pazifischem Jahrhundert" sprach.

Die damit verbundene Hochrüstung wurde unter Trump um einen speziellen Wirtschaftskrieg ergänzt.

Gleichzeitig wurden wichtige Verträge wie der INF-Vertrag mit Russland einseitig gekündigt. Kurze Zeit später reagierte W. Putin, indem er ebenfalls den Vertrag außer Kraft setzte.

Der vom neuen Präsidenten Joe Biden angeschlagene Ton gegenüber Europa ist moderater als bei seinem Vorgänger. Mit der Aussage, die Führungsrolle auf der Weltbühne wahrzunehmen, formuliert Biden jedoch keine grundsätzliche Kehrtwende.

Die Forderung nach einem stärkeren Militärengagement der Europäer bleiben genauso auf dem Tisch, wie die Ablehnung von Nordstream 2 und der Wunsch nach härterem Vorgehen gegenüber China.  

Bidens Einstand im Nahen Osten begann mit einem Angriff auf den Konvoi einer pro-iranischen Miliz in Syrien. Bei diesem Angriff spielten weder die territoriale Integrität des Landes noch das Völkerrecht eine Rolle. Zudem wurde dem Iran die Position der militärischen Macht signalisiert, dass eine diplomatische Lösung für einen evtl. neuen Atomvertrag nur aus der Position amerikanischer Stärke erfolgen würde. 

Der mit den Taliban vereinbart Abzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan wurde durch Biden in Frage gestellt. 

Keinen grundlegenden Neuanfang gibt es mit Russland, trotz der Verlängerung des New-Start-Abkommens.

Legitimation für die Aufrüstung der NATO liefert immer wieder die Übernahme der Krim durch Russland und die Behauptung, das Land plane Angriffe auf das Baltikum oder Polen. Dass es mit der Übernahme der Krim zu einem Rechtsbruch gekommen ist, ist nicht zu bestreiten. Trotzdem ist die Behauptung weiterer geplanter Übergriffe völlig absurd und widerspricht jeglichem gesunden Menschenverstand. Das zeigt allein der folgende Vergleich:

Ein Blick auf die Militärausgaben zeigte für 2019 eine fast 16 fache militärische Überlegenheit gegenüber Russland. 

Ein eindrucksvolles Beispiel: die NATO verfügt über rund 6200 Kampfflugzeuge, Russland dagegen über rund 1600.

Es ist nicht nur die NATO, die für die militärische Dominanz des Westens steht.

Schon in den 1990er Jahren wurde mit dem allmählichen Aufbau militärischer Strukturen in Europa begonnen, die bis heute die Außen- und Sicherheitspolitik prägen. Aus der prognostizierten abnehmenden Unterstützung der USA wurde eine neue Form der Zusammenarbeit abgeleitet. Während die USA ihren geostrategischen Einfluss nach Ost- und Südostasien erstreckt, sind für Europa die östlichen Nachbarn, der Mittlere Osten und der westliche Bereich des Indischen Ozeans die Regionen der westlichen Einflussnahme.

Mit der Einbeziehung des Indo-Pazifischen-Raumes wird die Region zunehmend zu einer Priorität der deutschen Außenpolitik. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich bereits mehrfach für eine dortige militärische deutsche Präsenz ausgesprochen. Inzwischen fordern auch SPD-Minister eine verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der Region, was immer das auch heißen mag. Sicher ist, dass das jährlich stattfindende Großmanöver Defender im Indo-Pazifik und an der Grenze zu Russland stattfinden soll.  

Die entscheidenden Punkte für die Konkretisierung der europäischen Militarisierung waren die Aufstellung eines EU-Rüstungshaushalts, eines EU-Hauptquartiers und die Schaffung eines einheitlichen EU-Rüstungsmarktes. All dies wurde in jüngster Zeit, vor allem unter deutsch-französischer Führung auf den Weg gebracht. Es sind drei deutsch-französische Rüstungsprojekte --- von Macron und Merkel 2017 in einer Regierungserklärung vereinbart -- von außerordentlicher Bedeutung. Es sollen neue Kampfpanzer, neue Artilleriesysteme und neue Kampfflugzeugsysteme entwickelt und produziert werden.  

Die Ausgestaltung der geplanten Waffensysteme können an dieser Stelle nicht vertieft werden, doch ich versichere, dass allein das neue Kampfflugzeugsystem Future Combat Air System (FCAS) eine unfassbare Horrorvision darstellt. Das Luftkampfsystem aus Kampfflugzeugen, bewaffneten Drohnenschwärmen, Satelliten und künstlicher Intelligenz wird nach Schätzungen aus der Branche, so das HANDESBLATT einen Umsatz von 500 000 Milliarden Euro bringen.

Nun komme ich zur deutschen Militärpolitik

Mit dem 2-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben für die nächsten Jahre sollen je nach wirtschaftlicher Entwicklung bis zu 100 000 Mrd. Euro ausgegeben werden. Finanziert werden soll damit die umfassende Aufrüstung von Heer, Marine und Luftwaffe.

Bis 2031, so die Vorstellung von Frau Kramp-Karrenbauer, ist die Heeresschlagkraft zu verdoppeln.

Für die Marine ist eine massive Aufrüstung mit U-Booten, Fregatten und Korvetten vorgesehen.

Die Luftwaffe bekommt die größten Neunschaffungen. Alte Eurofighter und Tornados sollen durch mehr moderne Kampfflugzeuge ersetzt werden.

Drohnen werden ebenfalls von der Luftwaffe betrieben. Auch sie sollen ergänzt und modernisiert werden. Drohneneinsätze werden schon jetzt von den USA über die weltweit größte Air Base in Ramstein für ihre weltweiten Kriegseinsätze benutzt.

Besonders bedrohlich sind die 30 Super Hornets, welche die in Büchel gelagerten US-Atombomben tragen sollen. Hierbei geht es um den deutschen Beitrag zur nuklearen Teilhabe der NATO.

Zurzeit sind schätzungsweise 20 nukleare amerikanische Freifallbomben unterirdisch in Büchel gelagert. Auch diese sollen durch Nachfolgemodelle ersetzt werden, die wesentlich treffsicherer sind und tief ins Erdreich eindringen können. Als mögliche konkrete Angriffspunkte kommen durchaus russische Ziele in Betracht. Von deutschem Boden ist das Gebiet um Kaliningrad direkt zu erreichen. Erfolgt eine Betankung in den baltischen Staaten, können zentrale Ziele in Moskau und St. Petersburg direkt angegriffen werden.

Durch die Aussage des amerikanischen NATO-Oberbefehlshabers Wolters, er sei ein „Anhänger des flexiblen nuklearen Ersteinsatzes,“ muss man bei einer Realisierung --- und sei es durch ein Versehen oder einen Unfall --- von einem Katastrophenszenario ausgehen, dass das Leben in Europa vernichten würde. Dies ist einer der Gründe, warum die sogenannte Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr zurzeit auf 2 Minuten vor 12 steht. So gefährlich schätzen renommierte Wissenschaftler die Weltlage ein.

Das alles dürfen wir nicht zulassen! Wir stehen vor Menschheitsaufgaben. Die möglichen globalen Gefahren von Klimawandel und Atomkrieg müssen gestoppt werden. Zeigen wir Haltung und vertreten eine kompromisslose Kritik an jeder Form von Krieg und Militarisierung der Gesellschaft.

Es gibt sie, die vielen Menschen und Organisationen, die sich für eine friedliche Welt einsetzen: Künstler, Publizisten, die internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung ICAN, die Ärzteorganisation IPPNW, lokale und bundesweite Friedensinitiativen, Teile der Gewerkschaften, der Parteien und der Kirche, der Pabst, die Mayors for Peace, Umweltverbände wie Greenpeace und die Naturfreunde, der BUND, nicht zu vergessen Fridays for Future. 

Wir müssen uns einmischen und Haltung zeigen! 

Nutzen wir das Wahljahr 2021 um unsere friedenspolitischen Forderungen laut zu formulieren:

  • Ächtung aller Atomwaffen und sofortiger Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag
  • Abzug der US-Atombomben aus Büchel, Schließung der Air Base Ramstein
  • Abkehr vom 2-Prozent-Ziel für Aufrüstung
  • Abkehr von der Entwicklung bewaffneter Drohnen und neuer Waffensysteme
  • Keine Rüstungsexporte
  • Keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten
  • Nein zu alten und neuen Feindbildern!

Stattdessen: 

  • Für die Umverteilung von Rüstungsausgaben in Corona-Hilfsprogramme
  • Für die Beendigung des Wettrüstens
  • Für umfassende vertrauensbildende Maßnahmen und diplomatische Konfliktlösungen weltweit!

Bleiben wir in Bewegung für eine neue Entspannungs- und Friedenspolitik!

 

Anne Biermann-Asseln ist aktiv beim Bremer Friedensforum.