Redebeitrag für den Ostermarsch Berlin am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Du liebe Zeit.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist wenige Sekunden vor Zwölf. Die Säbel rasseln wieder in Form von B1 Bombern, die an der norwegischen Grenze zu Russland Patrouille schieben. Amerikanischen Panzern, die auf Deutschen Straßen zu Manövern in den Osten ziehen. Die Eskalationsstufen der nuklearen Abschreckung werden erprobt. Es weht der Wind eines Kalten Krieges. Nuklearen Arsenale werden aufpoliert, für viel zu viel Geld. Auch die derzeitigen in Deutschland stationierten Atombomber kommen in die Jahre - zu alt für die präziseren polierten neuen Bomben. Die Augen im Verteidigungsministerium blitzen, wenn es darum geht, Nachfolgemodelle zu bestellen. Haben wir vergessen, was wir hier tun, für was wir Milliarden ausgeben? Das Konzept dieses strategischen Massenmordens in Europa ist absurd. Und doch so real. Und wir werden gezwungen uns daran zu beteiligen! Es ist wenige Sekunden vor Zwölf.

Du liebe Zeit, halt ein, wir möchten das nicht. Die Bestellung der neuen Atombomber für die 20 Bomben in Büchel kommt ins Stocken. Es weht ein wärmerer Wind des Widerstandes, der die verhärteten Böden tauen lässt - Aufrüstungspläne versinken darin. Kehr Vernunft in den Bundestag ein? Widerstand regt sich auch in den Städten und Länderparlamenten. Die Kampagnenarbeit der Zivilgesellschaft „von unten“ zeigt Erfolg. Mehr und mehr Politiker:innen in den Kreisen, Städten und Ländern fragen sich, warum unterschreibt Deutschland nicht den Atomwaffenverbotsvertrag, der im Januar in Kraft getreten ist. Welche Machtstrukturen halten uns davon ab in diesem Land die Stationierung und den Einsatz von Atombomben zu ächten? Es ist eine Minute nach 12, es regt sich Widerstand.

Du liebe Zeit, liegt es jetzt nicht an uns, atomwaffenfrei zu sein? Im Herbst wird der Bundestag neu gewählt. Eine neue Regierung nimmt sich zum Ziel, die nukleare Teilhabe zu beenden. Ein deutliches [Russisch] „njet“, [Französich] "non" und [Englisch] "no" zur Abschreckung in Europa. Ein Wind der Verständigung regt sich. Deutsche Diplomat:innen nehmen als Beobachter:innen an der ersten Überprüfungskonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages teil. Der Atomwaffenverbotsvertrag wird im Bundestag ratifiziert. Ebenso beschließen die Parlamente in den Niederlanden und Belgien auf die nukleare Teilhabe zu verzichten. Die Vision einer nuklearwaffenfreien Zone in Europa nimmt Gestalt an. Es ist zwei Minuten nach Zwölf und der Widerstand keimt und treibt wurzeln.

Du liebe Zeit, es weht nun ein anderer Wind in Europa. Was derzeit nicht vorstellbar ist lesen wir in den Nachrichtenkanälen. Die Regierungschefs der Atommächte Frankreichs, Russlands, Großbritanniens und den USA treffen sich zu einer Konferenz für Abrüstung und Frieden in Europa. Hier in Berlin. Die Schlagzeile sagt weiter: "Die Atommächte bekennen sich zum Frieden in Europa und beschließen eine nuklearwaffenfreie Zone in Europa. Frankreich und Großbritannien rüsten alle Atomwaffen ab und die USA und Russland ziehen alle Atomwaffen ab." Für Europa wird ein Kompetenzzentrum für nukleare Verifikation und Rüstungskontrolle errichtet, um die technischen Risiken der nuklearen Abrüstung und Endlagerung zu bändigen. Es ist drei Minuten nach Zwölf, und die Pflanzen des Friedens wachsen.

Du liebe Zeit, schenke uns diesen Frieden und den Wind der Einigkeit und des Vertrauens in Europa. Es ist erstaunlich zu sehen, welch neuer Geist nun die Menschen bewegt. Die Rüstungsindustrie stellt auf Nachhaltigkeitsschutz um, was wesentlich profitabler ist. Die NATO baut ihre logistischen Fähigkeiten aus und koordiniert die gerechte Verteilung von knappen Gütern. Die Innovationskraft kann sich austoben, da grenzübergreifend und zum Wohle aller gearbeitet wird. Dinge, von denen wir gar nicht wussten, dass sie möglich sind, werden erdacht und umgesetzt. Aus Krisen wird gelernt. Du liebe Zeit, ich möchte diesen Garten, diesen Wald des Friedens sehen. Ich wünschte, es wäre schon vier Minuten nach Zwölf.

Du liebe Zeit, viel zu lange schon weht wieder der eisige Wind der Feindschaft um unsere Herzen. Bringe uns Tauwetter. Wir in der Zivilgesellschaft haben unsere Segel schon gesetzt und unsere Windräder drehen sich schon mutig, beharrlich und geduldig bei jedem Wind - egal aus welcher Himmelsrichtung. In diesem Sinne, Frieden, Pace, Paix, Mir, Shalom Salam, Peace in unserer Welt.

Vielen Dank.

 

Dominikus Vogl ist aktiv bei ICAN in Berlin.