Redebeitrag für die Auftaktkundgebung in Frankfurt-Niederrad für den Ostermarsch Frankfurt am 5. April 2021

 

- Sperrfrist: 5. April 2021, Redebeginn: 10 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Nein zu militärischen und zivilen Zwangsdiensten!

Zwangsmilitärdienst ist kein Mittel gegen Rechtsextremismus

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

2011 ist in Deutschland die sogenannte Wehrpflicht ausgesetzt worden. Jahrelang wünschten sich fast nur AfD, Teile der CDU und der Reservistenverband die Zwangsrekrutierung zurück. Seit 2018 häufen sich die Rufe nach Reaktivierung der sogenannten Wehrpflicht. Besondere Aufmerksamkeit bekamen die wiederholten Vorstöße von Kramp-Karrenbauer, inzwischen die für Krieg und Kriegsdienst zuständige Ministerin. Jetzt wird auch aus der SPD gefordert, Menschen wieder in die Bundeswehr zu zwingen: Von der neuen Wehrbeauftragten Eva Högl.

Zunächst: Warum sage ich sogenannte Wehrpflicht? Wehrpflicht und Wehrdienst und davon abgeleitete Begriffe suggerieren bezüglich des zwischenstaatlichen Verhältnisses, dass das Militär der Verteidigung diene. Allerdings führen sogenannte Wehrdienstleistende auch Angriffskriege. Im Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat ist der Begriff ebenfalls abwegig. Wehrdienst leisten gerade diejenigen, denen es nicht gelingt, sich erfolgreich gegen die Rekrutierung zum Militär zu wehren. Deshalb verwende ich diese sachlich unzutreffenden Propagandabegriffe nicht.

Doch zurück zur sogenannten Wehrbeauftragten Högl. Sie will mit unfreiwilligem Militärdienst den Rechtsextremismus in der Bundeswehr bekämpfen, in der Annahme, mutmaßlich demokratisch gesinnte einfache Soldaten könnten die politische Ausrichtung der Bundeswehr bestimmen.

Militär ist grundsätzlich strikt hierarchisch aufgebaut. Es funktioniert nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Offiziere und Berufssoldaten prägen das Militär, nicht die zwangsverpflichteten Befehlsempfänger. Anlass für die Forderung Högls war die Häufung rechtsextremer Vorfälle im Kommando Spezialkräfte. Doch gerade in solchen hochspezialisierten Einheiten würden auch bei Zwangsrekrutierung kaum unerfahrene Rekruten landen.

Högl hat offenbar nicht darüber nachgedacht, warum nicht nur die AfD, sondern Faschisten in aller Welt vehement dafür sind, zumindest möglichst alle Männer ins Militär zu zwingen. Es ist nicht nur die typisch faschistische Glorifizierung von Krieg, Gewalt, Waffen, Militär und Unterordnung. Faschisten wissen, dass nicht einfache Soldaten das Militär ändern, sondern dass das Militär die ihm unterworfenen Menschen nicht nur dazu abrichtet, auf Befehl zu töten, sondern sie auch politisch indoktriniert. Das Militär soll die Schule der Nation sein. Gerade wenn das Militär von Rechtsextremen durchsetzt ist, ist höchst absurd, genau diesen Faschisten Menschen auszuliefern.

Högls Idee, antifaschistische und demokratisch engagierte Personen in nennenswerter Zahl in die Bundeswehr zu bringen, könnte nur funktionieren, wenn das Recht auf Kriegsdienstverweigerung abgeschafft würde oder fast alle Antragsteller in der Gewissensprüfung abgelehnt würden. Denn sonst landen in der Bundeswehr nicht gerade engagierte Antifaschisten und Demokraten, sondern überdurchschnittlich viele Personen mit einem Hang zu militärischer Unterordnung und diejenigen, die zu gleichgültig und träge sind, um einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen.

Wir wissen aus Erfahrung, dass Faschismus bestens funktioniert, wenn möglichst alle im Militär indoktriniert werden. Als die Nazis die Macht übernahmen, haben sie schnellstmöglich den Zwang zum Kriegsdienst wieder eingeführt. Auch als die Bundeswehr noch zwangsweise rekrutierte, gab es in dieser von Nazi-Generälen aufgebauten Armee Rechtsextremismus, auch unter sogenannten Wehrpflichtigen. Die heute als rechtsextrem geltende Verehrung der faschistischen und massenmörderischen Wehrmacht galt damals als normal. Die Geschichte rechter Militärputsche zeigt, dass sie oft von Armeen ausgehen, die beanspruchen, Hüter und Schule der Nation zu sein und über massenhaft zwangsverpflichtete Befehlsempfänger verfügen, egal ob in Lateinamerika oder Griechenland oder Thailand. Faschistische Angriffskriege wurden mit Zwangsverpflichteten geführt.

Der Zwang zum Militärdienst ist ein zutiefst totalitäres Konzept und Wesenselement des Faschismus. Er steht im Zentrum jeder faschistischen Ideologie. Rechtsextremismus zu bekämpfen, indem man eine rechtsextreme Kernforderung verwirklicht, ist nicht nur absurd, sondern extrem gefährlich.

Trotz aller Absurdität: Nehmen wir – ganz gegen die historische Erfahrung - für einen ganz kurzen Moment an, dass an der Hypothese von Högl etwas dran sein könnte.

Jede Zwangsrekrutierung ist eine Menschenrechtsverletzung und ein Akt der Gewalt. Dazu gehören Freiheitsberaubung und Aufhebung der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, aber auch entwürdigende Musterungen, Gewissensprüfungen, juristische und politische Verfolgung von Verweigerung, Zerstörung von Lebens- und Berufswegen. In der Praxis führt Zwangsrekrutierung sehr häufig zu Verletzungen, Verstümmelungen, Traumata und letztendlich auch Tod.

Würde die Hypothese von Högl es rechtfertigen, auch nur einen einzigen Menschen mit Musterung und Gewissensprüfung zu quälen, ihn in einer Kaserne oder einem Gefängnis einzusperren oder letztendlich in den Tod zu schicken? Ich sage: Eindeutig Nein! Militärische und zivile Zwangsdienste dienen nicht nur dem Krieg. Sie sind auch eine gravierende Menschenrechtsverletzung.

Die Bundeswehr gebärdet sich als Verteidigungsarmee. Doch das war sie auch vor dem Kosovo-Krieg nie gewesen. Denn jede Armee, die Menschen zwangsrekrutiert, greift diese Menschen an und ist gegenüber ihnen eine Angriffsarmee.

Deshalb lehnen wir Zwangsdienste ab, aus friedenspolitischen und menschenrechtlichen Erwägungen.

Keine Zwangsdienste, weder militärisch noch zivil!

Keine Reaktivierung der sogenannten Wehrpflicht! Stattdessen Abschaffung, nicht nur Aussetzung des Kriegsdienstzwangs!

Für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung!

Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern und Kriegsdienstverweigerinnen in aller Welt!

Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Kriegsdienstverweigerinnen, Deserteure und Deserteurinnen!

 

Dr. Gernot Lennert ist Landesgeschäftsführer der DFG-VK Hessen.

 

Ausführlicher dazu:

  • Gernot Lennert: „Das KDV-Recht müsste abgeschafft werden.“ In der Jungle Word nicht veröffentlichter Leserbrief zu „Zu den Waffen, Genossen.“ In: Zivilcourage Nr. 4/2018 S. 9
  • Gernot Lennert: Wiederkehr der Zwangsdienste? In: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2018, S. 17-25, www.dfg-vk-hessen.de/fileadmin/Dokumente/Hessen/2018/Wiedzwan.pdf