Redebeitrag für den Ostermarsch Jagel am 2. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Militär und Klima

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

würden Sie ein Auto kaufen, das auf 100 Kilometern 414 Liter Treibstoff verbraucht? Damit  müssten Sie alle zehn Kilometer tanken. Es würde sich wohl kaum jemand finden, der dieses Auto kaufen wollte. Und doch gibt es Fahrzeuge mit solch einem Durchschnittsverbrauch – einen Leopard-2-Panzer zum Beispiel *. Das Kettenfahrzeug steht hier sinnbildlich für zwei der weltgrößten Schadstoff-Emittenten, die (und das ist von erschreckender Bedeutung) die nicht im Pariser Klimaabkommen auftauchen und vom Weltklimarat nicht zu Berichten verpflichtet werden: nämlich Krieg und Rüstungsindustrie.*/***

Wir feiern heute Karfreitag, den Tag, an dem Christen in ganz besonderer Weise an den Kreuzestod von Jesus, unserem Christos, erinnern. Dieser Tag macht uns bewusst, dass die Opfer menschlicher Macht, die wir in Kauf nehmen, Gott selbst treffen. Er lässt uns hinschauen, die Opfer wahrnehmen, die wir so gerne verdrängen. Also schauen wir doch mal hin: Was hat es auf sich mit den Klima-Opfern des Militärs?

Dabei ist der Schadstoff-Ausstoß beim Militär gewaltig:

  • Ein Eurofighter verbraucht ca. 70-100 Liter Kerosin pro Minute. Allein auf der Base Ramstein finden jährlich 30.000 Starts und Landungen statt. Dabei werden 1,35 Milliarden m³ klimaschädliche Abgase freigesetzt.
  • Der fliegende Großraumtransporter Galaxy verbraucht bei einem einzigen Start 3.500 Liter Treibstoff.
  • Ein F4-Phantom-Jäger braucht ca. 6.000 l/Std, bei Überschallflug fast das Zehnfache**. Es heißt, allein die US-Luftwaffe verbrauche ein Viertel des weltweiten Flugbenzins**.

Was diese Beispiele zeigen: Ambitionierte Klimaziele und Aufrüstung passen schwerlich zusammen. Die Fertigung von Waffen, Fahrzeugen, Jets und Schiffen verursacht eine Menge Treibhausgase, Militär-Vehikel schlucken enorme Mengen Treibstoff, in Übung und Einsatz, die Wartung ist aufwendig, die Munition ein wahres Wegwerfprodukt. Wie viel CO2 das Geschäft verursacht, ist allerdings schwer zu beziffern: Staaten und Konzerne verstecken sich hinter fehlenden Berichtspflichten und dem Schutz der nationalen Sicherheit.

Die Bundesregierung gab im Dezember vergangenen Jahres auf eine entsprechende Anfrage der Linksfraktion an, sie könne den Ausstoß für Deutschland nicht beziffern *. In der UN-Energiestatistik 2018 steht, bei der Produktion von Waffen  fallen in Deutschland 32.000 Tonnen CO2 an, 8700 Tonnen entstehen bei der Herstellung von Kampffahrzeugen. Aber viele Produkte sind da gar nicht enthalten, sie verstecken sich in anderen Wirtschaftszweigen. Kampfflugzeuge zum Beispiel fallen unter die Rubrik des Luft- und Raumfahrzeugbaus, Schuss- und Artilleriewaffen tauchen in den Kategorien „Reparatur von Metallerzeugnissen“ und „Installation von Maschinen und Ausrüstung“ auf. Die Emissionen für Strom und Wärme werden unter Energie berichtet. Der Grundstoff vieler Waffen, der „emissionsrelevante“ Stahl, wird bei der Eisen- und Stahlproduktion verbucht*. Aber die militärischen Produkte gehen dort zwischen den zivilen Gütern unter. Die Rüstungsfirmen selber mauern und geben keine relevanten Zahlen heraus.

Was die Bilanzen der Militärs betrifft, gibt es ohnehin ein großes Aber: Es werden nur die Emissionen im Inland erhoben – wenn überhaupt. Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) teilt der Zeitung WELT mit: „Emissionen aus internationalen Einsätzen der Bundeswehr unter NATO- oder UN-Mandat werden in den deutschen Emissionsinventaren nicht erfasst“, sie würden als „not estimated“ vermerkt*.

Der Grund: fehlende Informationen zu bezogenen Kraftstoffmengen. NATO-Übungen und -Rotationen dürften ebenfalls unter „NE“ verbucht werden. Somit landen die weltweit bei Auslandseinsätzen entstehenden Emissionen unerfasst in der Biosphäre.

Emissionsspitzenreiter im Bereich Rüstung dürften die USA sein. Mehr als ein Drittel des globalen Militärhaushalts entfällt auf sie. 2019 waren die Amerikaner in 80 Staaten militärisch aktiv*, sie unterhalten weltweit über 1000 Militärbasen** und fliegen die ständig an. Einige Forscher halten daher das Pentagon für den größten Einzelemittenten der Welt*.

Für Aufsehen sorgte eine Studie der Brown University*. Ein Forscherteam bezifferte den Kohlendioxidausstoß des US-Verteidigungsministeriums zwischen 2001 und 2017 auf 1,2 Milliarden Tonnen. Allein im Jahre 2017 seien es 59 Millionen Tonnen gewesen. Das ist mehr als Industrieländer wie Schweden verursachen. Wäre das Pentagon ein Staat, läge es der Studie zufolge auf Platz 55 der größten Emittenten weltweit. Allein der Irakkrieg 2008 soll laut einer Studie der Nichtregierungs-organisation Oil Change International 141 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß in vier Jahren verursacht haben. Das entspreche 25 Millionen zusätzlichen Autos auf Amerikas Straßen, über ein ganzes Jahr hinweg*.

Über die anderen großen Militärstaaten – China, Russland, Frankreich, Indien, Saudi-Arabien, Israel… gibt es erst recht keine Zahlen zur Klimabilanz. Gewiss ist aber eines: Rüstung und Krieg sind sehr große Emittenten von Treibhausgasen, und tragen erheblich zum Klimawandel bei – ohne dass ihr Beitrag überhaupt erfasst wird und in die noch verfügbaren CO²-Budgets eingerechnet wird. Und ohne dass nennenswerte Anstrengungen unternommen werden, das Problem zu lösen.

Aber umgekehrt erzeugt die Klimakrise zunehmend innerstaatliche und internationale Konflikte, die auch militärisch ausgetragen werden, sowie eine Menge Flüchtlingsströme, denen wieder durch militärische Maßnahmen begegnet wird. Zunehmend werden Lebensräume, Wasser, Energie knapp und Kriege um diese lebenswichtigen Ressourcen geführt. Das ist ein Teufelskreis: Militärische Aufrüstung sorgt mit für die Konflikte, gegen die das Militär dann helfen soll. Leidtragende sind Millionen von Menschen und das Klima für uns alle.

Aber es kommt noch mehr dazu:

Kriege verheeren fragile Ökosysteme, die von entscheidender Bedeutung für die Erhaltung der menschlichen Gesundheit und der Klimaresistenz sind. Krieg bedeutet grundsätzlich die Zerstörung von Menschen, Tieren und Umwelt.

Der Klimawandel ist ein „Bedrohungs-Multiplikator”, der die bereits bestehenden sozialen und politischen Verhältnisse noch verschlimmert.

Militär vereinnahmt die Gelder für sich, die wir brauchen, um die Klimakrise richtig anzugehen.

Militarisierte staatliche Gewalt richtet sich oft gegen Gemeinschaften, die gegen (von Konzernen angetriebene) Umweltzerstörung Widerstand leisten. Gemeinden, die darum kämpfen, ihr Land und ihre Dörfer vor Ölbohrungen, Bergbauunternehmen, Viehzüchtern, Agrarunternehmen usw. zu schützen, sind häufig staatlicher und paramilitärischer Gewalt ausgesetzt.

Umgekehrt schützt besonders das US-Militär mit seinen weltweit über 1.000 Militärbasen vor allem die Erdöl- und Rohstoffindustrie. Andere NATO-Staaten tun dasselbe, und auch die Bundeswehr hat laut Weißbuch**** u.a. die Aufgabe, „den weitweiten Zugang zu Ressourcen“ zu sichern.

Die bisherigen Themen beschäftigten sich mit den Beiträgen des Militärs zur Erderwärmung. Aber das Militär könnte auch im Gegenteil eine dramatische Abkühlung erzeugen: einen sog. „Nuklearen Winter“. US-Klimaforscher haben berechnet*****, was bei einem sogenannten „kleinen Atomkrieg mit Mini-Nukes“, das sind so niedliche kleine Atombomben vom Kaliber der Hiroshima-Bombe, zwischen Indien und Pakistan mit dem Erdklima passieren würde.

 Angenommen wurde der Einsatz von jeweils 50 Atomsprengköpfen solcher „Mini-Nukes“ auf Großstädte und Industrieanlagen. Ergebnis: 20 Millionen Menschen würden unmittelbar an den Folgen der Brände, der Druckwellen und der nuklearen Strahlung sterben. Durch die entstehenden Flächenbrände würden Feuerstürme ausgelöst und Rußpartikel hoch in die Troposphäre getragen. Die Erde würde großflächig verdunkelt, ein Phänomen, das von großen Vulkanausbrüchen her bekannt ist. Aber anders als bei Vulkanausbrüchen, bei denen die Partikel meist transparent sind, würden die schwarzen Rußpartikel von der Sonne erwärmt und in die Stratosphäre aufsteigen. Innerhalb weniger Wochen verteilt sich der Dunst über die gesamte Erde. Weltweit würde die Sonneneinstrahlung reduziert und die Durchschnittstemperatur würde um 1,25 Grad C sinken. Die Temperaturveränderung geschähe nicht allmählich wie beim Klimawandel, sondern innerhalb von Wochen. 10 Jahre würde es dauern, bis die Partikel auf die Erde abgesunken seien. 10 Jahre lang würde eine Abkühlung der Jahresdurchschnittstemperatur anhalten. Was für drastische Folgen das auf die Landwirtschaft und das Leben an Land und im Wasser hat, beginnen wir gerade zu ahnen.

Würden aber viele und größere Atomsprengköpfe eingesetzt, etwa in einem Krieg zwischen USA und Russland, dann betrüge der Temperatursturz bis zu 30 Grad Celsius. Dann ist die ganze Erde vereist.

Was folgt aus dem Allem? Für die Lösung der existentiellen Krisen der Menschheit – Klimakrise, Artensterben, Entwaldung, Vermüllung, Atomkriegsgefahr - muss unbedingt abgerüstet werden! Innerstaatlich und international. Die beflissene Bereitwilligkeit der Bundesregierung, der US-Forderung nachzukommen und aufzurüsten bis 2% des BNP für‘s Militär ausgegeben werden, stellt einen Irrweg dar, der die Sicherheit der Welt und der Deutschen nicht verbessert, sondern verschlechtert. Abrüsten ist das Gebot der Stunde, dringend und unbedingt! Ich gebe zu, dass weder die neue US-Regierung noch China oder Russland dieses Gebot verstanden haben. Und die sich immer mehr zuspitzende Rivalität Chinas mit der westlichen Welt macht es nicht leichter. Aber es ist unabweisbar – wir haben nicht mehr viel Zeit, wenn die Menschheit und wir die existentiellen Krisen überleben wollen. Es ist wie damals im Kalten Krieg: Nur kooperative Sicherheit kann das Überleben der Menschheit retten. Es steht schon wieder spitz auf Knopf.

Und es gibt noch einen Aspekt dabei: Wir wissen alle, wie schwer es allen Staaten und Konzernen fällt, die Klima-Ziele einzuhalten und nicht mehr klimaschädliche Gase zu emittieren als die Erde noch ertragen kann. Aber weil die Emissionen des Militärs nirgendwo erfasst und eingerechnet werden, müssen die CO²-Budgets für die zivilen Emissionen noch einmal deutlich nach unten korrigiert werden, wenn die menschliche Zivilisation überleben soll! Es reicht nicht, sie einzuhalten, sie müssen deutlich unterschritten werden. Es gibt viel zu tun …

Ich danke Euch für’s Zuhören.

 

Dr. med. Helmreich Eberlein ist

 

Anmerkungen: